Nostalgie heilt Einsamkeit und Stress – Warum wir öfter zurückblicken sollten

Wer sentimental zurückblickt, wird mutiger. Nostalgie schärft unseren Fokus und stärkt das Selbstbewusstsein.

Nostalgie

Nostalgie lässt uns in vergangenen Zeiten schwelgen. © Pexels

Ob alte Fotos an der Wand, Omas Apfelkuchen oder die Lieblingsserie aus Kindertagen – wer sich nostalgisch erinnert, tut mehr als bloß in der Vergangenheit zu schwelgen. Laut Spektrum macht Nostalgie Menschen im Schnitt zufriedener, selbstbewusster und optimistischer. Was früher als krankhafte Schwäche galt, entpuppt sich inzwischen als emotionale Ressource. Nostalgie kann trösten, motivieren und sogar die Verbindung zu anderen Menschen stärken.

Dabei galt das Gefühl einst als gefährlich. Im 17. Jahrhundert beschrieb der Arzt Johannes Hofer das Heimweh Schweizer Söldner als „Nostalgie“ – eine Krankheit. Erst in den 1970er Jahren stellte der Soziologe Fred Davis diese Einschätzung infrage. In seinem Buch Yearning for Yesterday erkannte er: Erinnerungen an die Kindheit schaffen Geborgenheit und stützen das Selbstbild. Die Annahme stieß damals auf Skepsis – heute bestätigen viele Studien seinen Blickwinkel.

Selbstbewusstsein durch Vergangenheit

Nostalgie erfüllt nach aktuellen Forschungen drei zentrale Funktionen: Sie stärkt das Selbstbild, gibt dem Leben Sinn und verbindet uns mit anderen Menschen. „Dass Menschen ihr Zuhause häufig mit Hochzeits- und Kindheitsfotos dekorieren“, sei laut Spektrum also keine reine Geschmackssache, sondern Ausdruck einer unbewussten Strategie, um sich emotional zu stabilisieren.

Diese Wirkung kann besonders in schwierigen Zeiten helfen. Die Sozialpsychologin Wing-Yee Cheung und ihr Team baten Probanden, sich an ein nostalgisches Erlebnis zu erinnern. Das Resultat: Nur bei jenen mit sentimentalen Erinnerungen stieg der Optimismus spürbar. „Et hätt noch emmer joot jejange“, zitiert Spektrum das sogenannte Rheinische Grundgesetz – und meint: Wer sich an vergangene Erfolge erinnert, glaubt auch eher an zukünftige.

Sinn und Zusammenhalt

Auch das Gefühl, dass das eigene Leben sinnvoll ist, lässt sich durch Nostalgie stärken. Der Psychologe Clay Routledge ließ Versuchspersonen nostalgische Songtexte lesen. Sie bewerteten ihr Leben anschließend als bedeutungsvoller. Besonders Menschen, die häufig nostalgische Gefühle erleben, fühlten sich stärker verbunden – mit anderen und mit sich selbst.

Der Forscher Wijnand Van Tilburg entdeckte, dass Nostalgie die Wahrnehmung eines „roten Fadens“ im Leben fördert. Menschen empfinden ihre Persönlichkeit dadurch als stabil über die Zeit hinweg. Diese sogenannte Selbstkontinuität vermittelt ein Gefühl von Identität – und Sinn.

Bittersüße Gefühle mit globaler Wirkung

Nostalgie sei demnach laut Spektrum eine „bittersüße, jedoch vor allem positive und grundlegende soziale Emotion“. Denn in der Freude über Vergangenes liegt immer auch Wehmut. Etwas ist vorbei – und wird nicht zurückkehren. Dennoch empfinden Menschen rund um den Globus Nostalgie ähnlich, wie ein internationales Forscherteam mit 20 Beteiligten aus 18 Ländern zeigte. Sie ist offenbar ein universelles Gefühl.

Bildgebende Verfahren bestätigten diese Einschätzung: Während nostalgischer Gedanken werden Hirnareale aktiv, die sowohl mit dem Gedächtnis als auch mit Belohnung zusammenhängen. Erinnern kann also glücklich machen.

Ein Mittel gegen Einsamkeit

Wer neu in einer Stadt ist und sich einsam fühlt, kann auf Nostalgie als Kraftquelle zurückgreifen. Das zeigte ein Experiment von Xinyue Zhou aus dem Jahr 2008. Menschen, die nostalgisch wurden, fühlten sich weniger allein – und stärker sozial eingebunden. Besonders bei resilienten Personen, also solchen mit hoher psychischer Widerstandskraft, wirkte dieser Effekt besonders deutlich.

Nostalgie ist somit auch eine psychologische Ressource, schreibt Spektrum. Sie helfe, selbst unter Belastung das emotionale Gleichgewicht zu wahren.

Alte Lieder, neue Erkenntnisse

Nostalgische Inhalte wie Serien oder Musik aus der Kindheit sind mehr als bloß Unterhaltung. In mehreren Studien belegte Kommunikationsforscher Tim Wulf, dass diese Medieninhalte Menschen helfen, über sich selbst nachzudenken. Auch James Bonus von der Ohio State University fand heraus: Studierende fühlten sich zufriedener, wenn sie Popmusik aus der Schulzeit hörten statt aktuelle Hits. Konzentrierten sie sich dabei auf persönliche Entwicklung, verstärkte sich der Effekt.

Nostalgie als Marketing-Werkzeug

Längst hat auch die Werbung die Wirkung nostalgischer Gefühle erkannt. Studien aus den USA zeigten, dass Konsumenten Produkte bevorzugen, die sie mit ihrer Vergangenheit verbinden. Spielsachen aus der eigenen Kindheit oder Getränke im Retro-Design verkaufen sich besser. Besonders stark wirkt sogenannte kollektive Nostalgie – gemeinsame Erinnerungen an prägende Erlebnisse.

Marika Dimitriadou vom Business College of Athens belegte, dass kollektive Nostalgie die Vorliebe für heimische Produkte steigern kann. Unternehmen nutzen deshalb häufig nationale Ereignisse wie den Mauerfall oder Fußballtriumphe für ihre Kampagnen.

Wenn die Vergangenheit politisch wird

Doch Nostalgie birgt auch Risiken. Populistische Bewegungen nutzen gezielt Erinnerungen, um politische Ziele zu verfolgen. Der Politikwissenschaftler Michael Kenny sieht darin eine Verbindung zu Ereignissen wie dem Brexit oder der Wahl von Donald Trump. Mit Slogans wie „Make America Great Again“ oder „Wir sind das Volk“ greifen Politiker auf kollektive Erinnerung zurück – jedoch mit anderem Zweck.

Eine Studie von Anouk Smeekes in den Niederlanden zeigt: Menschen mit starker kollektiver Nostalgie identifizieren sich stärker mit ihrer Nation und haben mehr Vorurteile gegenüber anderen Gruppen. Wer mit den „guten alten Zeiten“ wirbt, verfolgt nicht immer nur positive Absichten.

Nostalgie bringt uns einander näher

Doch Nostalgie kann auch verbinden – selbst über ethnische Grenzen hinweg. Eine Umfrage unter geflüchteten Kroaten, Serben und Bosniaken in Australien zeigte: Wer nostalgisch auf Jugoslawien zurückblickte, suchte eher Kontakt zu Angehörigen anderer Gruppen und machte ihnen seltener Vorwürfe. Gemeinsame Erinnerungen können also helfen, Brücken zu bauen.

Heilsame Wirkung im Beruf und Alter

Auch im Berufsleben kann Nostalgie helfen. Studien der Universität Rotterdam zeigten, dass sie Menschen motiviert, selbst wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Sie erleben ihre Arbeit wieder als sinnvoll und denken seltener ans Aufhören. Besonders Angestellte mit hoher Burnout-Belastung profitierten stark.

In der Altenpflege hat man die Wirkung bereits erkannt. Menschen mit Demenz, die nostalgische Lieder hören oder sich an bedeutende Momente erinnern, fühlen sich weniger allein und optimistischer. Sie erkennen in ihrem Leben wieder einen roten Faden – und schöpfen Kraft aus der Vergangenheit.

Kurz zusammengefasst:

  • Nostalgie stärkt das Selbstbewusstsein, das Gefühl von Sinn im Leben und die soziale Verbundenheit.
  • Sie hilft in belastenden Situationen wie Einsamkeit, Stress oder Ungerechtigkeit und wirkt als emotionale Ressource.
  • Wird Nostalgie bewusst genutzt, kann sie Motivation, Optimismus und persönliche Stabilität nachhaltig fördern; sie kann aber auch politisch missbraucht werden.

Bild: © Pexels 

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