Forscher analysieren 38 Millionen Todesanzeigen – die Formel für erfülltes Leben änderte sich mit Krisen

Eine Analyse von Millionen Nachrufen zeigt, dass Fürsorge, Leistung und Tradition das Bild vom glücklichen Leben prägen und wie Krisen gesellschaftliche Werte verschieben.

Nachrufe zeigen, wie die Gesellschaft glückliches Leben definiert

Nachrufe halten fest, welche Werte ein Leben prägen – Tradition und Fürsorge dominieren, doch Krisen verschieben diese Erinnerungen. © Pexels

Was bleibt von einem Menschen, wenn andere sein Leben in Worte fassen? Todesanzeigen geben darauf überraschend ehrliche Antworten. Sie erzählen, welche Werte ein Leben aus Sicht der Hinterbliebenen ausgemacht haben – und sie verraten, wie Krisen und Umbrüche ganze Gesellschaften verändern. Eine riesige Analyse von 38 Millionen Todesanzeigen aus den USA über drei Jahrzehnte zeigt, was wirklich zählt.

Tradition und Fürsorge stehen an erster Stelle

Wenn Angehörige ein Leben zusammenfassen, betonen sie vor allem zwei Dinge: Tradition und Fürsorge. In 80 Prozent der untersuchten Nachrufe tauchten Bezüge zu Religion, Ritualen oder gesellschaftlichen Bräuchen auf. In 76 Prozent hoben die Texte Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit und Vertrauen hervor.

„Todesanzeigen sind eine einzigartige Informationsquelle darüber, wie Gesellschaften verschiedene Lebensweisen wertschätzen“, sagt David Markowitz, Kommunikationswissenschaftler und Hauptautor der Studie. Sie seien eine Art kulturelles Gedächtnis, in dem sich Werte einer Gesellschaft niederschlagen.

Große Krisen verschieben das Bild

Besonders spannend: Werte in Nachrufen sind nicht starr, sondern verändern sich durch Ereignisse, die alle betreffen. Die Forscher verglichen die Sprache nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, der Finanzkrise 2008 und der Corona-Pandemie ab 2019.

  • Nach 9/11 sank die Betonung von Sicherheit, während Tradition und Fürsorge zunahmen. Auffällig war, dass Menschen in New York in dieser Zeit besonders oft als hilfsbereit und verlässlich beschrieben wurden.
  • Nach der Finanzkrise verlor das Thema Leistung an Gewicht. Beruflicher Erfolg oder Status wurden weniger hervorgehoben. Stattdessen gewann Hedonismus, also Freude und Genuss, kurzfristig an Bedeutung.
  • Seit Beginn der Pandemie geht die Fürsorge zurück – und hat sich auch vier Jahre später nicht erholt. „Während einer Zeit großer gemeinschaftlicher Opfer legten Nachrufe weniger Wert auf Fürsorge für andere“, erklärt Markowitz. Stattdessen stieg die Bedeutung von Religion und Tradition dauerhaft.

Männer werden anders erinnert als Frauen

Neben kulturellen Umbrüchen prägen auch Geschlecht und Alter die Art, wie Menschen beschrieben werden. Männer erscheinen in Nachrufen häufiger als leistungsorientiert, machtbewusst und ordnungstreu. Frauen dagegen werden vor allem für Fürsorge und Lebensfreude erinnert.

Mit zunehmendem Alter verstärken sich diese Unterschiede. Männer werden später im Leben stärker mit traditionellen Werten in Verbindung gebracht. Bei Frauen bleibt das Bild über die Jahre stabiler.

Geschlechterstereotype spiegeln sich nicht nur in persönlichen Vorurteilen wider, sondern sind auch in unseren kulturellen Praktiken des Erinnerns verankert und werden so über Generationen weitergegeben“, erklärt Markowitz.

Nachrufe spiegeln Werte im Wandel

Todesanzeigen sind damit weit mehr als persönliche Worte von Angehörigen. Sie sind ein Spiegel des Zeitgeists und zeigen, welche Werte im Alltag zählen – und welche in Vergessenheit geraten. Gerade in Krisenzeiten verändert sich das, was als wichtig empfunden wird.

Markowitz fasst es so zusammen: „Verschiebungen in persönlichen Werten stehen im Zusammenhang mit entscheidenden kulturellen Ereignissen.“ Große Umbrüche prägen nicht nur das Verhalten im Moment, sondern verändern langfristig, wie Gesellschaften über das Leben ihrer Mitglieder sprechen.

Warum Nachrufe Werte bewahren – und sogar unser Verhalten beeinflussen

Damit sind Nachrufe mehr als letzte Worte – sie sind Zeitkapseln. Sie halten fest, was Menschen in einer bestimmten Epoche unter einem erfüllten Leben verstehen und welche Werte an neue Generationen weitergegeben werden.

Der Forschungsansatz ist nicht neu: Nicht die Frage, wie jemand erinnert werden möchte, steht im Vordergrund, sondern wie andere den Verstorbenen tatsächlich beschreiben. Und: Diese Erinnerungen haben Folgen. Sie prägen das Verhalten der Lebenden – von Spendenentscheidungen bis hin zu Fragen, wie Menschen ihr Lebensende gestalten.

Kurz zusammengefasst:

  • In 38 Millionen Nachrufen dominierten zwei Werte: Tradition (80 Prozent) und Fürsorge (76 Prozent).
  • Große Krisen wie 9/11, die Finanzkrise und Corona verschoben diese Gewichtung dauerhaft.
  • Männer wurden stärker mit Leistung und Macht beschrieben, Frauen mit Fürsorge und Lebensfreude.

Übrigens: Nicht nur Nähe und Gespräche stärken Beziehungen in Krisen – auch eine gemeinsame Sicht auf die Welt wirkt wie ein Schutzschild. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert