So verschieden ist Elternliebe: Kinder erziehen in Deutschland, Kenia und Japan – Was ist anders und warum?
Strenge, Freiheit, Liebe – was Eltern ihren Kindern mitgeben, hängt von der Kultur ab.
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Unterschiedliche Kulturen bedeuten unterschiedliche Wege, Liebe auszudrücken. © Pexels
Eltern auf der ganzen Welt wollen das Beste für ihre Kinder. Doch was das genau bedeutet, unterscheidet sich je nach Land und Kultur. In manchen Gesellschaften wird Strenge als liebevolle Fürsorge verstanden, in anderen gilt eine lockere Erziehung als ideal. Auch die Art, wie Eltern ihre Zuneigung zeigen oder welche Werte sie vermitteln, variiert stark. Die Entwicklungspsychologin Jennifer Lansford hat untersucht, wie sich Kindererziehung in verschiedenen Kulturen unterscheidet und welche Rolle die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dabei spielen.
Unterschiedliche Erziehungswerte weltweit
Lansford hat Eltern aus Ländern wie Deutschland, Kenia und den USA befragt und dabei große Unterschiede festgestellt. Ein Beispiel: Kinder in Deutschland lernen früh, dass Leistung belohnt wird. In einem Experiment sollten Kinder Plastikfische angeln und anschließend Preise vergeben. Deutsche Kinder verteilten die Belohnungen je nach gefangener Fischmenge – wer mehr hatte, bekam mehr. In Kenia und Namibia achteten die Kinder darauf, dass jeder gleich viel erhielt, unabhängig vom individuellen Erfolg.
Diese Unterschiede sind kein Zufall. In Regionen mit schwankendem Nahrungsangebot ist es überlebenswichtig, Ressourcen zu teilen. Kinder lernen dort von klein auf, dass jeder mal mehr oder weniger hat und dass eine gerechte Verteilung entscheidend für das soziale Miteinander ist. In westlichen Gesellschaften, in denen Einkommen oft von Bildung und beruflichem Erfolg abhängt, verinnerlichen Kinder stattdessen den Gedanken, dass Belohnungen an individuelle Leistung gekoppelt sind.
Strenge als Zeichen der Fürsorge?
Regeln und Grenzen gehören weltweit zur Erziehung. Doch die Wahrnehmung von Strenge unterscheidet sich. In Ländern wie Jordanien und Kenia sehen Kinder strenge Eltern oft als besonders fürsorglich. Sie erleben Kontrolle und feste Regeln als Zeichen dafür, dass ihre Eltern sich um sie kümmern.
In Schweden oder den USA wird Strenge dagegen häufig als distanziert empfunden. Lansford erklärt laut ZEIT Online: „Je gefährlicher die Umgebung, desto strikter setzen Eltern Grenzen.“ In unsicheren Gegenden kontrollieren Eltern ihre Kinder stärker, um sie vor Gefahren zu schützen. In stabilen Gesellschaften haben Kinder dagegen mehr Freiheiten.
Liebe zeigen – mit Worten oder Taten?
Auch in der Zuneigung zu ihren Kindern unterscheiden sich Eltern stark. Während in den USA oder Deutschland Umarmungen und liebevolle Worte selbstverständlich sind, zeigen Eltern in anderen Kulturen ihre Liebe eher durch Handlungen. In Indien etwa schält und entkernt eine Mutter ihrem Kind eine Orange und gibt sie ihm – eine stille, aber deutliche Form der Zuneigung.
Die Nähe zwischen Eltern und Kind variiert ebenfalls. In westlichen Ländern liegen Babys oft in Wippen oder auf Decken, während sie in afrikanischen und asiatischen Kulturen meist am Körper getragen werden. Diese Methode bietet Schutz und fördert die Bindung zwischen Eltern und Kind.
Lernen durch Beobachtung
Schon früh prägen kulturelle Unterschiede, wie Kinder die Welt wahrnehmen. Japanische Eltern legen großen Wert darauf, dass Kinder Gesichter lesen und Emotionen verstehen. In westlichen Ländern dagegen zeigen Eltern oft auf Gegenstände und animieren ihr Kind, Dinge zu benennen.
Lansford betont, dass die kognitive Entwicklung unabhängig von der Erziehung verläuft – entscheidend sei, dass Eltern sich liebevoll mit ihrem Kind beschäftigen.
Singen, Vorlesen oder gemeinsames Spielen reichen aus, um die geistige Entwicklung eines Kindes zu fördern.
Jennifer Lansford
Gesellschaftliche Normen und ihre Auswirkungen
Erziehung wird auch durch politische Entwicklungen geprägt. Schweden war 1979 das erste Land, das körperliche Strafen gegen Kinder verbot. Heute haben 67 Staaten ähnliche Gesetze erlassen – oft nicht, weil die Bevölkerung überzeugt war, sondern auf Druck internationaler Organisationen.
Ein Beispiel ist Kenia: Dort war es bis 2010 üblich, Kinder körperlich zu bestrafen. Erst durch ein Gesetz änderte sich das – allerdings nicht, weil die Eltern ihre Haltung geändert hatten, sondern weil es gesetzlich vorgeschrieben wurde. Laut Lansford brauchen Eltern in solchen Fällen konkrete Alternativen, um Kinder zu erziehen, etwa Ablenkung oder das Entziehen von Privilegien.
Kinder als Teil der Familie
In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern übernehmen Kinder früh Verantwortung. Sie helfen im Haushalt, kümmern sich um jüngere Geschwister oder erledigen Besorgungen. In westlichen Ländern sind solche Pflichten weniger verbreitet. Kinder, die früh Verantwortung übernehmen, sind später oft sozial kompetenter.
Wer von klein auf Aufgaben übernimmt, lernt Empathie und Fürsorge.
Jennifer Lansford
Pubertät: Rebellion oder Gehorsam?
Wenn Kinder in die Pubertät kommen, streben sie nach mehr Unabhängigkeit. Doch auch hier gibt es kulturelle Unterschiede. Während Jugendliche in westlichen Ländern früh gegen elterliche Regeln aufbegehren, halten sich ihre Altersgenossen in Asien oder Südamerika oft länger an Vorgaben – auch dann, wenn sie damit nicht einverstanden sind.
Trotzdem gibt es universelle Muster: In persönlichen Bereichen wie Musik oder Kleidung lassen sich Jugendliche kaum Vorschriften machen. Lansford rät Eltern: „Wählt eure Kämpfe! Man kann nicht in allen Bereichen erziehen.“
Kurz zusammengefasst:
- Während in westlichen Ländern Leistung und individuelle Erfolge im Vordergrund stehen, wird in vielen anderen Gesellschaften der Gemeinschaftssinn betont, etwa durch das Teilen von Ressourcen.
- In unsicheren Umfeldern gelten strikte Regeln als Fürsorge, während in stabilen Gesellschaften mehr Freiheiten gewährt werden.
- Während in westlichen Ländern Umarmungen und Worte üblich sind, äußern Eltern in anderen Kulturen ihre Zuneigung eher durch Fürsorgehandlungen wie das Vorbereiten von Essen.
Bild: © Pexels