Bouldern, wo einst gebetet wurde: Ideen für ungenutzte Kirchen-Gebäude
Viele Kirchen in Deutschland stehen leer und setzen auf neue Nutzungen: vom inklusiven Wohnprojekt bis zur Kletterhalle im Kirchenschiff.

Wo einst gebetet wurde, wird heute gebouldert: Die Kletterhalle in Bad Orb nutzt das Kirchenschiff der ehemaligen St. Michael-Kirche. © impulsphoto by claus jünger
Zehntausende Gotteshäuser in Deutschland stehen vor dem Aus. Viele davon prägen das Ortsbild seit Jahrhunderten, doch sie verlieren ihren ursprünglichen Zweck. Sinkende Mitgliederzahlen, steigende Kosten – für viele Gemeinden wird der Erhalt zu einer finanziellen Last. In Eschwege will die katholische Pfarrei deshalb gleich drei Kirchengebäude auf Ebay Kleinanzeigen verkaufen. Kirchen sollen so neu genutzt werden können – als Ort zum Klettern oder Wohnen.
Inklusives Wohnen statt Bordell oder Spielhalle
Die Preise liegen zwischen 50.000 und 220.000 Euro. Für den leitenden Pfarrer Mario Lukes ist das kein leichter Schritt, aber ein notwendiger. „Wir hätten viel Geld aufwenden müssen, um die Kirchen baulich zu erhalten. Aber wir haben keine Gläubigen mehr, die diese Kirchen nutzen würden“, sagte er laut Tagesschau. Besonders schwer falle der Abschied, weil viele Menschen persönliche Erinnerungen mit den Gebäuden verbinden, von Taufen bis Trauungen.
Doch nicht jeder darf ein Kirchenschiff zum Schnäppchenpreis erwerben. Spielhallen, Bordelle oder esoterische Nutzungen sind ausgeschlossen. Und auch beim Abriss gibt es Regeln: Der Grundstein muss im Neubau erhalten bleiben. Viel lieber setzen die Gemeinden auf Ideen, die den Geist des Ortes erhalten.
Wie in Bad Nauheim: Dort überließ die Evangelische Kirche ein denkmalgeschütztes Gotteshaus dem Förderverein Inklusion – für einen symbolischen Euro. Auf dem Grundstück in bester Wohnlage soll nun ein Zuhause für junge Menschen mit Behinderung entstehen. Ein Ort, an dem sie eigenverantwortlich leben und an dem Gemeinschaft entsteht. Pfarrer Ulrich Schröder ist überzeugt: „In dieser Kirche wird wieder Begegnung stattfinden.“
Bouldern im Kirchenschiff
Auch in Bad Orb haben Menschen eine Vision, aber eine ganz andere: Die katholische Kirche St. Michael wurde dort zu einer Boulderhalle umgebaut. Sportlich, nachhaltig, mit Liebe zum Detail. Wo der Altar stand, wachsen bald Kletterwände in die Höhe. Die Theke besteht aus alten Kirchenbänken, der Beichtstuhl wird zur Umkleidekabine.

Marc Ihl, studierter Betriebswirt, erinnert sich noch gut an Jugendfreizeiten in der Kirche. Sein Partner Marco Köhler, Schreinermeister, kennt die Bedeutung des Gebäudes für seine Familie. „Meine Schwiegereltern wurden hier getraut, meine Frau getauft. Und ich habe das Taufbecken rausgeschleppt“, sagt er mit einem Lächeln. Für beide ist die Boulderhalle mehr als ein Geschäftsmodell, sie ist ein Herzensprojekt.
Trotz Hürden gelingt Neues
Einzigartig ist: Ein Teil der Kirche bleibt geweiht. Die seitlich gelegene Kapelle wird weiterhin als sogenannte Winterkirche genutzt. Schon jetzt hat die Jugend der 4.000 Mitglieder zählenden Gemeinde dort einen Taizé-Gottesdienst gefeiert. Die Kombination aus sportlicher Nutzung und spirituellem Rückzugsort sei bislang einmalig, sagt Ihl.
Ganz einfach war der Umbau allerdings nicht. Die Kirche war seit 2016 geschlossen, Heizung defekt, Turm einsturzgefährdet, kaum noch aktive Gemeindemitglieder. Ursprünglich war eine Kita oder ein Kolumbarium geplant. Doch beides ließ sich nicht realisieren. Für Pfarrer Stefan Kümpel war klar: „Wir wollten das Gebäude nicht verfallen lassen oder zur Lagerhalle machen.“
Investitionen schaffen Zukunfts-Perspektiven
Seit November wurde gebaut – 26 Tonnen Holz allein für die zweite Ebene. Entstehen sollen 500 Quadratmeter Kletterfläche im Inneren und später 200 Quadratmeter außen. Die Gesamtinvestitionen liegen bei rund 650.000 Euro. 100.000 Euro davon stammen aus einem europäischen Fördertopf für Regionalentwicklung.
Dann wird in Bad Orb nicht nur geklettert, sondern auch gestaunt: über die Bereitschaft einer Gemeinde und über die neue Zukunft eines alten Gotteshauses. „Wir haben es geschafft, dass seit unserer Eröffnung auch wieder Gottesdienste stattfinden“, sagt Ihl. Die Idee: nicht gegen den Glauben, sondern gemeinsam mit ihm.
Kurz zusammengefasst:
- Zehntausende Gotteshäuser in Deutschland stehen leer, weil immer weniger Menschen zur Kirche gehören und Gemeinden sich den Erhalt der Gebäude nicht mehr leisten können.
- Einige Kirchen werden verkauft, aber nur unter Auflagen: Spielhallen, Bordelle oder esoterische Nutzungen sind verboten. Außerdem muss der Grundstein erhalten bleiben.
- Beispiele wie in Bad Nauheim und Bad Orb zeigen, wie Kirchengebäude sinnvoll umgenutzt werden, etwa als inklusives Wohnprojekt oder als Boulderhalle mit erhaltener Kapelle.
Übrigens: Religiöse Menschen gelten oft als großzügiger – doch eine Studie zeigt: Das gilt vor allem gegenüber Glaubensgenossen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Impulsphoto by Claus Jünger