Studie: Lesen bricht dramatisch ein – Forscher warnen vor Folgen

Immer weniger Menschen lesen zum Vergnügen. Eine Langzeitstudie zeigt sinkende Quoten und wachsende Unterschiede nach Bildung und Einkommen.

Studie: Lesen bricht dramatisch ein – Forscher warnen vor Folgen

Seit Generationen sinkt die Lesefreude – immer weniger Menschen greifen in ihrer Freizeit zum Buch. © Vecteezy

Ein Buch aufschlagen, in eine Geschichte eintauchen, für einen Moment die Welt um sich herum vergessen – jahrzehntelang gehörte das für viele zum Alltag. Doch diese Gewohnheit verschwindet zunehmend. Immer weniger Menschen lesen zum Vergnügen. Eine neue Studie des University College London (UCL) und der University of Florida zeigt nun, wie stark dieser Rückgang tatsächlich ist – und warum er nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein gesellschaftliches Problem darstellt.

Lesekultur bricht ein – Zahlen belegen den Trend

Die Auswertung von Daten des „American Time Use Survey“ über zwei Jahrzehnte macht den Einbruch sichtbar:

  • 2004 lasen noch 28 Prozent der Amerikaner an einem Tag zum Vergnügen.
  • 2023 waren es nur noch 16 Prozent – ein Rückgang um rund 40 Prozent.
  • Pro Jahr bedeutet das ein Minus von etwa drei Prozent.
  • Die durchschnittliche tägliche Lesezeit der Gesamtbevölkerung sank von 23 Minuten (2004) auf 16 Minuten (2023).

Wer allerdings liest, nimmt sich mehr Zeit: Statt 1 Stunde 23 Minuten im Jahr 2003 lag die Lesezeit 2023 im Schnitt bei 1 Stunde 37 Minuten. „Die Größe dieses Rückgangs hat uns überrascht“, sagte Daisy Fancourt, Professorin am University College London. „Zumal wir Lesen sehr breit definiert haben – von Büchern über Magazine bis hin zu E-Books und Hörbüchern.“

„Lesen zum Vergnügen“ umfasst alle Arten des Freizeitlesens – von Romanen über Magazine bis hin zu E-Books und Hörbüchern. © Studie
„Lesen zum Vergnügen“ umfasst alle Arten des Freizeitlesens – von Romanen über Magazine bis hin zu E-Books und Hörbüchern. © Studie

Vorlesen bleibt Ausnahme – Chancen für Kinder ungenutzt

Besonders ernüchternd: Nur zwei Prozent der Befragten gaben 2023 an, mit Kindern gelesen zu haben. Über die gesamte Stichprobe entspricht das einer Minute pro Tag. Wer vorlas, tat dies im Schnitt 28 Minuten. An dieser niedrigen Quote hat sich in 20 Jahren nichts geändert – eine vertane Möglichkeit, Kinder früh an Bücher heranzuführen. Pädagogen warnen seit Jahren: Wer nicht früh lernt, Geschichten zu verstehen und Sprache bewusst wahrzunehmen, hat es in Schule und Ausbildung schwerer.

Folgen für Bildung, Gesundheit und Gesellschaft

Die sinkende Lust am Lesen bleibt nicht ohne Konsequenzen. Wer seltener liest, baut Wortschatz und Sprachkompetenz langsamer aus, hat mehr Mühe, sich zu konzentrieren und komplexe Inhalte zu erfassen. Diese Fähigkeiten sind Grundlage für schulischen Erfolg, Studienleistungen und beruflichen Aufstieg – fehlen sie, drohen langfristig Nachteile im Arbeitsmarkt.

Zudem wirkt Lesen wie ein Schutzfaktor: Es reduziert Stress, fördert besseren Schlaf und kann depressive Symptome lindern. Es verlangsamt den geistigen Abbau im Alter und wird sogar mit einer höheren Lebenserwartung in Verbindung gebracht. Sinkende Lesegewohnheiten könnten also auch die psychische Gesundheit einer ganzen Gesellschaft schwächen.

Darüber hinaus hat Lesen eine soziale Dimension. Es fördert Empathie, Vorstellungskraft und kulturelles Verständnis. Wenn aber gerade einkommensschwache Haushalte oder Schwarze Amerikaner – wie die Studie zeigt – deutlich seltener lesen, drohen gesellschaftliche Spaltungen größer zu werden.

Wer liest und wer nicht? Unterschiede nach Einkommen, Bildung und Herkunft

Die Auswertung macht deutliche soziale Unterschiede sichtbar:

  • Bildung: Menschen mit postgradualem Abschluss lasen fast dreimal so häufig wie Personen mit höchstens High-School-Abschluss.
  • Einkommen: In der höchsten Einkommensgruppe lag die Quote 1,47-mal höher als in der niedrigsten.
  • Ethnische Unterschiede: Schwarze Teilnehmer lasen 2023 rund 49 Prozent seltener als Weiße – eine Kluft, die sich in den vergangenen 20 Jahren vergrößert hat.
  • Geschlecht: Frauen griffen häufiger zu Büchern als Männer.
  • Alter: Ältere Menschen lasen öfter als 15- bis 24-Jährige, doch die Unterschiede schrumpften.

Pandemie brachte nur ein kurzes Zwischenhoch

Während der COVID-19-Pandemie stiegen die Verkaufszahlen von Printbüchern deutlich. Doch das schlug sich kaum in tatsächlichem Leseverhalten nieder. Nur bei Menschen mit Behinderung war 2021 ein merklicher Anstieg messbar, vermutlich weil viele von ihnen besonders lange zu Hause waren. Bis 2023 ging dieser Effekt wieder zurück.

Vom Lesen profitieren alle

Lesen darf nicht allein Privatsache bleiben. So fordern auch die Studienautoren gezielte Maßnahmen: Bibliotheken, Leseförderung in Schulen, niedrigschwellige Zugänge zu Büchern und digitalen Formaten. Nur so lasse sich verhindern, dass Bildung, Gesundheit und kulturelle Teilhabe ungleich verteilt bleiben.

Denn klar ist: Wer liest, gewinnt – sprachlich, gesundheitlich und gesellschaftlich. Und wenn die Lesekultur weiter erodiert, verliert am Ende die ganze Gesellschaft.

Kurz zusammengefasst:

  • In den USA ist der Anteil der Menschen, die täglich zum Vergnügen lesen, in 20 Jahren von 28 auf 16 Prozent gesunken – ein Rückgang um rund 40 Prozent.
  • Besonders betroffen sind Menschen mit geringerer Bildung, niedrigerem Einkommen und nicht-weiße Bevölkerungsgruppen, wodurch Ungleichheiten wachsen.
  • Lesen stärkt Sprachkompetenz, Bildungserfolg, Gesundheit und Empathie – wer weniger liest, verliert langfristig in vielen Bereichen.

Übrigens: Nach einem Schlaganfall fällt das Lesen abstrakter Begriffe wie „Freiheit“ oft schwerer als das von anschaulichen Wörtern wie „Apfel“. Warum das so ist, erklärt unser Artikel.

Bild: © Vecteezy

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