Kriege, Krisen, Reformen – seit über 100 Jahren erschüttert nichts die Vermögensungleichheit in Deutschland
Trotz Weltkriegen, Inflation und Reformen bleibt Vermögen in Deutschland extrem konzentriert. Historische Daten zeigen: Ungleichheit ist erstaunlich stabil.
Große Vermögen in Deutschland bleiben über Generationen fest in der Hand von Familien, abgesichert durch langfristige Besitz- und Unternehmensbindungen. © Pexels
Ein erheblicher Teil des Vermögens in Deutschland liegt noch immer in denselben Familien wie vor über 100 Jahren. Überraschend ist dabei weniger das Ausmaß der Ungleichheit als ihre Dauer. Zwei Weltkriege, Hyperinflation, Enteignungen, Währungsreformen und politische Umbrüche haben Staaten und Existenzen erschüttert. Doch manche Vermögen haben all das überstanden – nahezu unberührt.
Wer in Deutschland über Geld spricht, denkt meist an Löhne, Preise oder Steuern. Vermögen dagegen wirkt leise. Es fällt im Alltag kaum auf, wächst über Jahrzehnte und entscheidet oft erst im Rückblick über Chancen und Macht. Gerade deshalb wird unterschätzt, welchen Einfluss die Vermögensverteilung hat. Sie bestimmt, wer Rücklagen hat, wer investieren kann – und wessen Stimme Gewicht bekommt.
Eine neue Analyse historischer Vermögensdaten zeigt nun, wie erstaunlich stabil diese Verteilung seit mehr als hundert Jahren geblieben ist.
Warum sich die Vermögensverteilung in Deutschland kaum verändert
Aktuelle Zahlen zeigen eine klare Konzentration. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung besitzen rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens. Das oberste Prozent vereint mehr als ein Drittel auf sich. Gleichzeitig verfügt etwa die Hälfte der Menschen über kaum Rücklagen oder lebt mit Schulden. Vermögen erfüllt damit nicht für alle dieselbe Funktion.
Für viele Haushalte bedeutet es Sicherheit. Rücklagen federn Jobverlust oder Krankheit ab. In höheren Einkommensschichten ermöglicht Vermögen Wohneigentum, bessere Bildung und unternehmerische Risiken. Ganz oben verändert sich seine Rolle grundlegend. Dort geht es um Einfluss. Großes Kapital entscheidet mit über Unternehmen, Immobilienmärkte und politische Prozesse. Genau diese Zusammenhänge untersucht die Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung.
Historische Vermögen überstehen selbst extreme Brüche
Für ihre Analyse griffen die Forscher auf Reichenlisten zurück. Aktuelle Rankings beruhen auf Recherchen in Handelsregistern und Archiven. Für den historischen Vergleich nutzte das Team Jahrbücher aus den Jahren 1911 bis 1914. Damals wurden Vermögen erstmals systematisch erfasst.
Der Vergleich fällt deutlich aus. Rund acht Prozent der größten heutigen Privatvermögen lassen sich direkt auf Reichtum aus dem frühen 20. Jahrhundert zurückführen. Mit anderen Worten: Vorfahren von 82 der reichsten Familien gehörten bereits vor über 100 Jahren zur wirtschaftlichen Elite.
Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von „entrenchment“. Gemeint ist damit Vermögen, das so tief im wirtschaftlichen und sozialen System verankert ist, dass selbst extreme Erschütterungen es kaum verschieben. Vergleichbar ist das mit einem Fundament, das so tief im Untergrund liegt, dass Kriege, Krisen oder Währungsbrüche zwar Erdbeben auslösen – den Kern aber nicht erreichen.
„Etwa 8 Prozent der größten Privatvermögen unserer Zeit lassen sich auf Reichtum zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurückführen“, erklärt Sozialwissenschaftlerin und Autorin Daria Tisch.
Alte Unternehmensgründungen wirken bis heute nach
Auch der Blick auf die Unternehmen hinter den großen Vermögen liefert Hinweise. Mehr als ein Drittel dieser Firmen wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegründet. Manche waren schon früh erfolgreich, andere begannen unscheinbar. Entscheidend war nicht der schnelle Gewinn, sondern das Durchhalten über Generationen.
Typische Merkmale dieser Entwicklung:
- Unternehmen blieben häufig in Familienhand
- Anteile wurden selten verkauft oder aufgespalten
- Übergaben erfolgten gezielt innerhalb der Familie
So überstanden Betriebe Kriege, Inflation und politische Umbrüche. Der wirtschaftliche Kern blieb erhalten – und mit ihm das Vermögen.

Familie als stabiler Schutzmechanismus für Reichtum
Erbschaften spielen dabei eine zentrale Rolle. Eltern übertragen Kapital, Immobilien oder Unternehmensanteile an ihre Kinder. Das verschafft Startvorteile, die sich kaum aufholen lassen. Hinzu kommt ein weiterer Mechanismus, der oft übersehen wird: die Partnerwahl.
In den obersten Schichten heiraten Menschen häufig innerhalb derselben sozialen Gruppe. Fachleute sprechen von Heirats-Homogamie. Vermögen verbindet sich dadurch mit Vermögen. Alte und neue Reichtümer wachsen zusammen.
So entstehen Netzwerke, die über Generationen wirken – und nach außen kaum sichtbar sind.

Ungleichheit zeigt sich auch zwischen den Geschlechtern
Die Weitergabe großer Vermögen folgt häufig traditionellen Mustern. Unternehmensanteile gehen öfter an Söhne als an Töchter. Damit verfestigen sich Unterschiede nicht nur beim Besitz, sondern auch beim wirtschaftlichen Einfluss.
Vermögen konzentriert sich nicht nur sozial, sondern auch geschlechtsspezifisch.
Diese Strukturen wirken unspektakulär – aber dauerhaft. Sie verstärken bestehende Ungleichheiten und begrenzen Veränderungsspielräume über Jahrzehnte hinweg.
Steuerdebatten treffen auf gewachsene Machtstrukturen
Auch rechtlich rückt das Thema wieder in den Fokus. Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2014 Teile der Erbschaftsteuer für verfassungswidrig. Eine neue Entscheidung steht an. Parallel diskutiert die Politik über Vermögenssteuern. Umfragen zeigen ein gemischtes Bild: Viele lehnen Erbschaftsteuern grundsätzlich ab, während Steuern auf sehr hohes Vermögen auf mehr Zustimmung stoßen.
Die Analyse macht verständlich, warum diese Debatten so aufgeladen sind. Vermögen entsteht nicht nur im Hier und Jetzt. Es wird vererbt, verknüpft und abgesichert – über Generationen hinweg. Wer diese historischen Linien kennt, versteht besser, warum Ungleichheit in Deutschland so beharrlich bleibt.
Kurz zusammengefasst:
- Vermögen in Deutschland ist stark konzentriert und erstaunlich stabil: Ein erheblicher Teil der größten Privatvermögen liegt bis heute in Familien, die schon vor über 100 Jahren reich waren, trotz Kriegen, Inflation und politischer Umbrüche.
- Die Vermögensverteilung prägt Chancen und Macht: Während viele Menschen kaum Rücklagen haben, ermöglichen große Vermögen Sicherheit, Investitionen und politischen Einfluss, was soziale Ungleichheit langfristig festschreibt.
- Familien, Unternehmen und Erbschaften sichern Reichtum: Vermögen wird über Generationen weitergegeben, oft durch Familienunternehmen, gezielte Übergaben und Heiraten innerhalb derselben sozialen Schicht, wodurch sich Ungleichheit dauerhaft verfestigt.
Übrigens: Nicht nur alte Strukturen entscheiden über Reichtum – viele Vermögen scheitern schon im Alltag an falschen Finanzentscheidungen. Welche Denkfehler beim Sparen und Investieren besonders teuer werden, mehr dazu in unserem Artikel.
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