Scheinbare Lösung entpuppt sich als noch größeres Problem: Plastic Credits lassen Müllberge weiter wachsen
Plastic Credits sollen Plastikverschmutzung ausgleichen, doch laut einer Studie führen sie ins Leere und verschärfen Umwelt- und Klimabelastungen.

Plastic Credits versprechen Umweltschutz durch Kompensation – doch laut einer Studie verschärfen sie die Plastikflut, statt sie wirksam zu begrenzen. © Alfred-Wegener-Institut / Melanie Bergmann
460 Millionen Tonnen – so viel Plastik produziert die Welt jedes Jahr. Fast alles davon bleibt über Jahrzehnte in der Umwelt. Es landet im Meer, im Boden, in Fischen, Tieren, dem Trinkwasser und am Ende auch im menschlichen Körper. Die Belastung ist allgegenwärtig. Und sie wächst weiter. Jetzt können Konzerne sich freikaufen: mit sogenannten Plastic Credits.
Wer Plastik herstellt, kann solche Gutschriften erwerben und behaupten, das Problem ausgeglichen zu haben. Denn irgendwo auf der Welt wird dann Plastikmüll eingesammelt. Klingt nach einem Fortschritt, ist aber genau das Gegenteil. Internationale Forscher haben die Wirkung dieser Gutschriften jetzt genau analysiert. Eine aktuelle Studie der University of California Berkeley zeigt: Plastic Credits verschleiern die Verantwortung, anstatt sie zu übernehmen.
Bei den Projekten werden oft Aktivitäten gutgeschrieben, die auch ohne die Gutschriften stattgefunden hätten.
Sangcheol Moon, Studienleitung
Heißt konkret: Das Plastik würde auch ohne Geld von Konzernen eingesammelt. Für die Umwelt ändert sich nichts – aber auf dem Papier wirkt es, als hätte der Käufer etwas bewirkt.
Plastic Credits versprechen viel – doch der Müll bleibt in der Umwelt
Plastic Credits liefern also keine zusätzliche Entlastung. „Unsere Analyse zeigt, dass solche Gutschriften kein geeigneter Ansatz sind, um die Plastikverschmutzung zu verringern“, erklärt Co-Autorin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut.
Außerdem zeigt die Studie auf, dass gesammelter Müll nicht immer umweltfreundlich entsorgt wird. Häufig wird er verbrannt, zwischengelagert oder gelangt später erneut in Flüsse, Böden und Meere. Was auf dem Papier verschwindet, bleibt in der Realität bestehen.
Plastik ist nicht gleich Plastik
Ein zentrales Problem liegt im Prinzip „Tonne für Tonne“. Das Konzept geht davon aus, dass ein Kilo eingesammelter Müll ein Kilo produzierten Kunststoff neutralisiert. Doch diese Rechnung ist falsch. Es sei unmöglich, pauschal ein Kilo Plastik in der Produktion gegen ein Kilo eingesammelten Plastikmüll aufzurechnen, warnt Melanie Bergmann.
Die Folgen dieser Rechnung sind dramatisch. Denn wenn Unternehmen glauben, das Problem „kompensieren“ zu können, wächst die Produktion ungebremst weiter. Schon heute macht Plastik weltweit 5,3 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen aus. Bis 2030 könnten es bis zu 30 Prozent des verbleibenden CO2-Budgets sein – wenn der Trend anhält.
Die Plastikproduktion soll sich bis 2060 sogar verdreifachen. Das heißt auch: Noch mehr Müll, noch mehr Mikroplastik, noch mehr Belastung für Gewässer, Meere und unsere Gesundheit. Schon jetzt gelangen jährlich bis zu 23 Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane – das sind fast zwei Lkw-Ladungen pro Minute.
Kritik an Plastic Credits wächst
Plastic Credits sind eine fehlgeleitete Lösung, die Greenwashing ermöglichen und gleichzeitig Transparenz und Verantwortlichkeit umgehen können.
Co-Autor Andrea Bonisoli-Alquati
Bergmann bringt es in der Studie noch klarer auf den Punkt: „Wir müssen drosseln und wir können es nicht zulassen, dass Plastikhersteller einfach irgendwo was einzahlen, um sich frei zu kaufen.“ Denn genau das passiert – und zwar in großem Stil.
UN-Abkommen soll echte Verantwortung einfordern
Seit 2022 verhandeln alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen über ein verbindliches Abkommen gegen Plastikverschmutzung. Die nächste Runde findet im August 2025 in Genf statt. Ziel ist, die weltweite Produktion deutlich zu senken und Hersteller stärker in die Pflicht zu nehmen.
Wenn die Welt die Plastikflut stoppen will, braucht es klare Regeln, echte Verantwortung – und den Willen, die Produktion zurückzufahren. Plastic Credits bieten all das nicht. Im Gegenteil: Sie verleiten dazu, alles beim Alten zu belassen. Und das können wir uns längst nicht mehr leisten.
Kurz zusammengefasst:
- Plastic Credits gaukeln Umweltschutz vor, führen aber oft nicht zu zusätzlichem Nutzen, weil sie Maßnahmen finanzieren, die ohnehin stattgefunden hätten, und gesammelter Müll häufig nicht dauerhaft entfernt wird.
- Ein Kilogramm Plastik in der Produktion lässt sich nicht einfach durch ein Kilogramm Müll kompensieren, da Kunststoffe sehr unterschiedlich zusammengesetzt sind und verschiedene Umweltwirkungen haben.
- Die Plastikproduktion steigt ungebremst weiter, und Experten warnen, dass Plastic Credits echte politische Maßnahmen ersetzen könnten, anstatt Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.
Übrigens: Während viele Konzerne sich mit Plastic Credits von ihrer Verantwortung freikaufen, tüfteln Forscher an echten Alternativen. Eine neue Methode macht Zellulose erstmals so stabil und günstig, dass pflanzliche Verpackungen alltagstauglich werden könnten – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Alfred-Wegener-Institut / Melanie Bergmann