Unterschätzte Gefahr: Warum Reden am Steuer den wichtigsten Sinn verlangsamt
Laut einer neuen Studie bremst Sprechen beim Autofahren die Reaktion der Augen aus: Reize und Gefahren werden später wahrgenommen.
Beim Autofahren zählt jede Millisekunde: Gespräche können die Augen so stark beeinflussen, dass entscheidende Hinweise später ins Blickfeld geraten. © Pexels
Autofahren ist Hochleistung für die Sinne. Augen, Gehirn und Hände arbeiten im Sekundentakt zusammen. Der Blick scannt Asphalt, Schilder, Spiegel und den Verkehr nebenan. Was dabei viele unterschätzen: Schon ein kurzes Gespräch kann diesen Ablauf bremsen. Neue Forschung zeigt, dass Reden am Steuer nicht nur ablenkt – es verlangsamt das Sehen selbst.
Das erklärt, warum Gefahrensituationen oft „plötzlich“ entstehen. Die Straße wirkt frei, dann taucht ein Hindernis auf – und die Reaktion kommt einen Tick zu spät. Lange galt mangelnde Konzentration als Ursache. Die aktuelle Studie geht tiefer. Sie zeigt: Gespräche kosten bereits auf der Ebene der Wahrnehmung Zeit. Noch bevor das Gehirn entscheidet, verlieren die Augen wertvolle Millisekunden.
Wie Gespräche den Blick ausbremsen
Untersucht wurde dieser Effekt von Forschern der Fujita Health University. Das Team konzentrierte sich nicht auf Bremswege oder Reaktionszeiten der Hände. Im Mittelpunkt standen die Augen. Sie liefern beim Autofahren den Großteil aller Informationen.
In einem Experiment führten 30 gesunde Erwachsene schnelle Blickbewegungen aus. Lichtpunkte erschienen plötzlich am Rand eines Bildschirms. Die Aufgabe blieb gleich, die Bedingungen wechselten. Mal sprachen die Teilnehmer, mal hörten sie zu, mal gab es keine Zusatzaufgabe. Die Reihenfolge variierte über mehrere Tage. „Wir wollten prüfen, ob die geistige Belastung durch Gespräche die Steuerung der Augenbewegungen beeinflusst“, sagt Studienleiter Shintaro Uehara.
Warum Reden stärker belastet als Zuhören
Sobald die Teilnehmer sprachen, veränderte sich ihr Blickverhalten deutlich. Die Augen starteten später nach dem Reiz. Sie benötigten mehr Zeit bis zum Ziel. Auch die Fixierung dauerte länger. Diese drei Schritte bestimmen, wie schnell ein Objekt erkannt wird.
Beim reinen Zuhören traten diese Verzögerungen nicht auf. Ohne Zusatzaufgabe ebenfalls nicht. Entscheidend sei das aktive Formulieren von Antworten.
Zuhören beansprucht Aufmerksamkeit, verlangt aber weniger geistige Arbeit. Beim Sprechen läuft mehr gleichzeitig ab. Gedanken ordnen, passende Worte finden, Sätze formulieren. Diese Prozesse binden Ressourcen, die dann bei der Steuerung der Augen fehlen.
Die Verzögerungen wirken klein. Im Straßenverkehr summieren sie sich. Ein späterer Blickstart verschiebt das gesamte Wahrnehmungsfenster. Hindernisse tauchen gefühlt plötzlich auf. Jede weitere Reaktion rückt nach hinten.
Ablenkung beginnt vor dem Handeln
Besonders brisant ist der Zeitpunkt dieses Effekts. Die Verzögerung setzt ein, ehe bewusstes Denken oder Handeln beginnt. Noch bevor ein Fahrer entscheidet, zu bremsen oder auszuweichen, arbeiten die Augen langsamer.
„Die kognitiven Anforderungen des Sprechens stören die neuronalen Mechanismen, die Augenbewegungen einleiten und steuern“, so Uehara. Die Ablenkung greift also sehr früh in den Wahrnehmungsprozess ein.
Warum es keine Entwarnung für Freisprechen gibt
Viele verlassen sich auf Freisprechanlagen. Die Hände bleiben am Lenkrad, der Blick vorne. Die Studie zeigt jedoch, dass dieser Ansatz das Problem nicht löst. Die Belastung entsteht im Kopf. Sie bleibt auch ohne Smartphone in der Hand bestehen. Es wird eine Kettenreaktion ausgelöst:
- Gespräche binden geistige Ressourcen.
- Diese fehlen bei schnellen Blickbewegungen.
- Die Verzögerung entsteht unbemerkt.
In welchen Situationen das Risiko steigt
Besonders kritisch wird es in komplexen Verkehrslagen. Enge Straßen, Wohngebiete oder schlechte Sicht verlangen schnelle Blickwechsel. Genau dort wirkt sich die verlangsamte Wahrnehmung aus.
Auch Bewegungen außerhalb des direkten Blickfelds spielen eine Rolle. Kinder, Tiere oder Hindernisse tauchen oft seitlich oder unten auf. Verzögerte Augenbewegungen erhöhen hier das Risiko.
Doch nicht Gespräche am Steuer allein entscheiden über Sicherheit im Straßenverkehr. Autofahren bleibt ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Dennoch liefert die Studie einen wichtigen Baustein für das Verständnis von Ablenkung.
Kurz zusammengefasst:
- Reden beim Autofahren verlangsamt das Sehen. Gespräche bremsen nicht Hände oder Füße, sondern die Augen – Gefahren werden später wahrgenommen.
- Die Ablenkung beginnt sehr früh. Schon beim Starten und Steuern der Blickbewegungen entstehen Verzögerungen, noch bevor bewusstes Denken oder Reagieren einsetzt.
- Freisprechen schützt nicht vor dem Effekt. Entscheidend ist die geistige Belastung durch das Sprechen selbst, besonders in komplexen Verkehrssituationen.
Übrigens: Noch bevor wir Details erkennen, sortiert das Gehirn unsere Aufmerksamkeit in Bruchteilen von Sekunden und legt fest, was wichtig ist. Warum dieser Mechanismus für Verkehrssicherheit, Konzentration und Lernen entscheidend ist, mehr dazu in unserem Artikel.
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