Wenn Wellen Luft verschlucken: Forscher messen neuen Klima-Effekt im Ozean – 15 Prozent mehr CO₂-Bindung

Neue Messdaten zeigen, dass starker Wellengang dem Klima guttut: Entstehende Luftblasen lassen die Ozeane mehr CO₂ aufnehmen als bisher angenommen.

Seitliche Aufnahme von einer brechenden Welle im Meer

Starker Wind bricht Wellen und zieht Kohlendioxid ins Wasser, das sich in großer Tiefe im Meer löst. © Pexels

Der Klimawandel wird politisch mit Zahlen verhandelt: Emissionsbudgets, Zielpfade, Restmengen. Doch wie viel Spielraum tatsächlich bleibt, hängt nicht nur davon ab, was Menschen ausstoßen, sondern auch, wie viel die Erde noch aufnehmen kann. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Ozean – als größter natürlicher CO₂-Speicher des Planeten. Derzeit bindet er netto rund drei Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr – mehr als viele Industrieländer jährlich ausstoßen.

Neue Messdaten legen nahe, dass dieser Speicher bislang unterschätzt wurde. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern wegen eines physikalischen Details, das in vielen Modellen fehlte. Es entscheidet darüber, wie belastbar Klimaprognosen sind, auf die sich Politik, Wirtschaft und internationale Abkommen stützen. Und es verändert den Blick darauf, wie stark der Ozean die Erderwärmung bisher tatsächlich gebremst hat.

Was passiert, wenn Wellen Luft verschlucken

Wie viel CO₂ der Ozean aufnimmt, entscheidet sich dort, wo Wind Wellen bricht und Luft ins Wasser gelangt. Brechende Wellen reißen Luft mit sich und pressen sie als Blasen unter die Wasseroberfläche. Mit zunehmender Tiefe steigt der Druck – dort verändert sich der Kohlenstoffhaushalt des Ozeans. Kohlendioxid löst sich unter diesen Bedingungen besonders effizient im Wasser. Es gelangt schneller ins Meer und verbleibt dort länger, als viele Modelle bislang annahmen.

Diesen Effekt haben Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel gemeinsam mit internationalen Partnern erstmals systematisch untersucht. „Der Ozean nimmt CO₂ schneller auf, als er es wieder abgibt“, fasst Erstautor Yuanxu Dong das Ergebnis der Studie zusammen. Damit gerät eine Annahme ins Wanken, die über Jahre als Grundlage vieler Klimamodelle diente.

Warum alte Rechenmodelle an ihre Grenzen stoßen

Lange Zeit gingen Berechnungen von einem symmetrischen Austausch aus. Kohlendioxid sollte mit gleicher Geschwindigkeit ins Meer gelangen und wieder entweichen. Diese Vereinfachung erleichterte die Modellierung, blendete aber reale physikalische Prozesse aus. Die neue Analyse zeigt, dass genau hier ein systematischer Fehler lag.

Das Team wertete mehr als 4.000 direkte Messungen des Luft-Meer-Austauschs aus. Die Daten stammen aus 17 Forschungsfahrten in unterschiedlichen Ozeanregionen. Mithilfe einer neuen zweidimensionalen Analysemethode ließ sich der asymmetrische Effekt erstmals direkt in Beobachtungsdaten nachweisen – nicht nur theoretisch, sondern messbar.

Wie viel mehr CO₂ die Ozeane binden

Auf dieser Basis berechneten die Forscher die globalen CO₂-Flüsse für den Zeitraum von 1991 bis 2020 neu. Das Ergebnis fällt deutlich aus. Im Mittel nahm der Ozean jedes Jahr rund 300 bis 400 Millionen Tonnen Kohlenstoff mehr auf als bislang angenommen. Damit erklärt der neu identifizierte Effekt rund ein Sechstel der gesamten jährlichen CO₂-Aufnahme der Meere.

Insgesamt liegt die globale Aufnahme damit rund 15 Prozent über früheren Schätzungen. Für das weltweite Kohlenstoffbudget ist das kein Randaspekt. Viele politische Zielmarken, Emissionspfade und Klimaszenarien stützen sich genau auf diese Größenordnung. Zugleich zeigt die Studie, dass dieser zusätzliche Effekt über die vergangenen Jahrzehnte weiter zugenommen hat – um rund drei Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahrzehnt.

Stürme machen den Unterschied

Der zusätzliche Effekt verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig über die Weltmeere. Besonders stark wirkt er in Regionen mit häufigem Starkwind und hohem Wellengang. Dazu zählt vor allem der Südliche Ozean rund um die Antarktis. Auf ihn entfällt etwa die Hälfte des zusätzlich gebundenen Kohlendioxids. Dort treffen kräftige Stürme auf große, offene Wasserflächen – ideale Bedingungen für die Bildung und das Absinken von Luftblasen.

Auch der Jahresverlauf spielt eine Rolle. In den Wintermonaten nehmen Stürme zu. Mehr Luft wird ins Wasser gedrückt, die zusätzliche Bindung von Kohlendioxid steigt. In der Folge vergrößert sich der Anteil der Meeresfläche, der netto CO₂ aufnimmt, von bislang rund 65 auf etwa 75 Prozent.

Folgen für Klimamodelle und Prognosen

Die neuen Ergebnisse machen eine bekannte Schwäche vieler Klimamodelle sichtbarer: Messdaten aus dem Ozean und Ergebnisse vieler globaler Klimamodelle passen seit Langem nicht sauber zusammen. Durch die Berücksichtigung der Luftblasen wird diese Diskrepanz größer. Ming-Xi Yang, einer der Studienautoren, erklärt: „Wenn man die Asymmetrie berücksichtigt, weichen die aus Beobachtungen berechneten CO₂-Flüsse des Ozeans noch stärker von den Schätzungen globaler Modelle ab.“

Für die Klimaforschung bedeutet das zusätzlichen Anpassungsbedarf. Modelle sollen reale Prozesse möglichst präzise abbilden. Fehlt ein zentraler Mechanismus, verlieren langfristige Projektionen an Aussagekraft – insbesondere mit Blick auf Szenarien für die kommenden Jahrzehnte.

Warum dieser Prozess lange übersehen wurde

Messungen bei starkem Wind und hohem Wellengang gelten als technisch anspruchsvoll. Messgeräte stoßen an ihre Grenzen, Forschungsfahrten werden riskanter. Gerade dort, wo der Effekt am stärksten ist, fehlten bislang verlässliche Daten. Die aktuelle Studie schließt diese Lücke zumindest teilweise.

Ganz ausgeräumt sind die Unsicherheiten jedoch nicht. Vor allem die Ausgasung von Kohlendioxid unter extremen Bedingungen bleibt wenig untersucht. Weitere Messkampagnen gelten als notwendig, um die Rolle der Ozeane im globalen Kohlenstoffkreislauf künftig noch präziser zu erfassen.

Kurz zusammengefasst:

  • Der Ozean bindet mehr Kohlendioxid als bisher angenommen, weil Luftblasen aus brechenden Wellen CO₂ unter Druck besonders effizient ins Meer transportieren und dort länger festhalten.
  • Messdaten aus über 4.000 Beobachtungen zeigen eine asymmetrische Aufnahme, bei der der Ozean CO₂ schneller aufnimmt als abgibt, was die globale CO₂-Aufnahme um rund 15 Prozent erhöht.
  • Viele Klimamodelle unterschätzen diesen Effekt, da sie Luftblasen und starken Wellengang bislang nicht ausreichend berücksichtigen, besonders in stürmischen Regionen wie dem Südlichen Ozean.

Übrigens: Während der Ozean natürlicherweise mehr CO₂ bindet als gedacht, wollen neue Technologien diesen Effekt gezielt verstärken – doch Forscher warnen vor Risiken und fehlender Kontrolle. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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