Als Kind nur Durchschnitt – warum genau das später zum Erfolg führt
Eine große Analyse zeigt: Die späteren Spitzenkräfte gehörten als Jugendliche nicht zur Spitze. Vielfalt und langsame Entwicklung zahlt aus.
Frühe Spitzenplätze täuschen: Nur ein kleiner Teil der besten Kinder gehört später zur Weltspitze – wer Talente auswählt, sollte Potenzial erkennen, nicht frühe Ranglisten. © Pexels
Viele Lebensläufe beginnen unspektakulär. In der Schule reicht es oft nur fürs Mittelfeld, im Sport fehlt der Platz auf dem Treppchen, im Musikunterricht bleiben andere vorne. Lange galt das als Warnsignal. Wer früh nicht herausragt, so die verbreitete Annahme, wird später kaum zur Spitze gehören. Eine große internationale Studie stellt dieses Bild nun auf den Kopf. Sie zeigt: Durchschnittlich als Kind – erfolgreich als Erwachsener ist kein Widerspruch, sondern eher die Regel bei außergewöhnlichen Karrieren.
Die Forscher werteten Daten von mehr als 34.000 erwachsenen Spitzenkräften aus. Darunter finden sich Nobelpreisträger, weltbekannte Komponisten, Olympiasieger und Schach-Großmeister. Verglichen wurden ihre Werdegänge mit denen von Menschen, die schon als Jugendliche zur absoluten Spitze gehörten. Das Ergebnis fällt überraschend klar aus.
Warum frühe Spitzenleistung wenig über späteren Erfolg sagt
Die Analyse zeigt eine deutliche Trennung: Die besten Jugendlichen und die erfolgreichsten Erwachsenen sind fast nie dieselben Personen. In vielen Disziplinen überschneiden sich beide Gruppen nur zu rund zehn Prozent. Besonders gut belegt ist das im Schach. Die zehn besten Jugendspieler weltweit und die zehn besten Spieler im Erwachsenenalter sind zu fast 90 Prozent unterschiedliche Menschen.
Ähnliche Muster zeigen sich im Leistungssport und in der Bildung. Internationale Top-Athleten gehörten als Jugendliche oft nicht zur Weltspitze. Auch sehr gute Schülerinnen und Schüler werden später an Universitäten nur selten zu den leistungsstärksten Studierenden. Früh glänzen und später dominieren verlaufen meist auf getrennten Bahnen.
Zwei Wege zur Spitze – und nur einer führt langfristig weiter
Die Forscher identifizieren zwei typische Entwicklungspfade. Junge Ausnahmetalente erreichen ihre Höchstleistungen oft früh. Sie trainieren intensiv in einer einzigen Disziplin, machen schnelle Fortschritte und spezialisieren sich sehr früh. Dieses Modell erzeugt kurzfristige Erfolge, stößt jedoch häufig an Grenzen.
Spätere Spitzenkräfte entwickeln sich anders. In der Kindheit und Jugend probieren sie vieles aus. Sie wechseln Sportarten, spielen mehrere Instrumente oder interessieren sich parallel für verschiedene Fachgebiete. Der Leistungszuwachs verläuft langsamer, dafür stabiler. Erst später folgt die Spezialisierung – dann aber mit nachhaltigem Erfolg.
Durchschnittlich als Kind – erfolgreich als Erwachsener durch Vielfalt
Besonders bemerkenswert ist ein statistischer Befund der Studie: Auf dem höchsten Leistungsniveau besteht ein negativer Zusammenhang zwischen früher Leistung und späterem Erfolg. Vereinfacht gesagt: Wer als Jugendlicher außergewöhnlich stark war, erreicht als Erwachsener seltener die absolute Weltklasse. Viele spätere Spitzenkräfte lagen in jungen Jahren sogar unter dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe.
„Die Besten in jungen Jahren und die späteren Besten im Höchstleistungsalter sind weitgehend zwei verschiedene Populationen“, sagt Studienautor Arne Güllich. Die spätere Weltklasse habe „in ihren frühen Jahren überwiegend noch nicht zu den Besten ihres Alters“ gezählt.

Warum Abwechslung Lernvorteile schafft
Die Studie erklärt diesen Effekt mit mehreren Mechanismen. Frühe Vielfalt erhöht die Chance, die passende Disziplin zu finden. Wer verschiedene Interessen verfolgt, sammelt breiteres Wissen und entwickelt flexiblere Lernstrategien. Diese Fähigkeiten zahlen sich später aus, wenn komplexe Anforderungen steigen.
Hinzu kommt ein geringeres Risiko für Überlastung. Frühe Spezialisierung erhöht die Gefahr von Verletzungen, Motivationsverlust und Burnout. Breite Erfahrungen wirken wie ein Puffer. Sie erlauben Pausen, Perspektivwechsel und langfristige Entwicklung.
Was Förderprogramme daraus lernen müssen
Die Ergebnisse haben direkte Folgen für Schulen, Akademien und Leistungszentren. Die Forscher warnen davor, junge Menschen allein nach früher Spitzenleistung auszuwählen. Wer nur die Besten eines Jahrgangs fördert, übersieht einen Großteil des späteren Potenzials.
„Viele junge Menschen, die gute, aber nicht herausragende Leistungen zeigen, können durchaus das Potenzial haben, langfristig Spitzenleistungen zu entwickeln“, so Güllich. Frühzeitige Selektion sei deshalb kein verlässliches Instrument, um künftige Spitzenkräfte zu erkennen.
Vielfalt fördert langfristige Stärken bei Kindern und Jugendlichen
Auch für Eltern und Lehrkräfte liefern die Ergebnisse eine wichtige Orientierung. Statt Kinder früh auf eine einzige Richtung festzulegen, empfiehlt sich Ermutigung zur Vielfalt. Die Disziplinen müssen dabei nicht verwandt sein. Naturwissenschaften und Musik, Mannschaftssport und Einzeltraining oder Technik und Geisteswissenschaften können sich sinnvoll ergänzen.
Mehrere Sportarten, unterschiedliche Instrumente oder fachliche Kombinationen können langfristig Vorteile bringen. Entscheidend ist nicht maximale Frühleistung, sondern ein Umfeld, das Neugier und Ausdauer fördert.
Kurz zusammengefasst:
- Frühe Spitzenleistungen sagen wenig über späteren Erfolg aus: Die besten Jugendlichen und die erfolgreichsten Erwachsenen sind meist unterschiedliche Personen; viele spätere Spitzenkräfte waren als Kinder nur durchschnittlich.
- Langfristiger Erfolg entsteht durch Vielfalt: Breite, multidisziplinäre Erfahrungen und ein langsameres Lernwachstum begünstigen Weltklasseleistungen im Erwachsenenalter stärker als frühe Spezialisierung.
- Förderung sollte Potenzial statt Frühleistung bewerten: Auswahl nach früher Spitze übersieht Talente; nachhaltige Förderung setzt auf Zeit, Vielfalt und stabile Entwicklung.
Übrigens: Während Studien zeigen, dass Vielfalt und Zeit entscheidend für langfristigen Erfolg sind, warnt das Deutsche Schulbarometer 2025 vor neuen Risiken im Klassenzimmer – viele Lehrkräfte sehen durch KI soziale Fähigkeiten und kritisches Denken in Gefahr. Mehr dazu in unserem Artikel.
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