Haar wächst anders als gedacht – das steckt wirklich hinter Haarausfall
Eine neue Studie zeigt, dass Haarwachstum anders funktioniert als lange angenommen. Das eröffnet neue Ansätze für künftige Behandlungen bei Haarausfall.
Haarausfall entsteht womöglich nicht durch Zellteilung im Haarboden, sondern durch gestörte Zugkräfte im Follikel. © Unsplash
Haarausfall ist für viele Menschen ein unausweichlicher Teil des Älterwerdens – manche nehmen ihn gelassen hin, andere empfinden ihn als starke seelische Belastung. Entsprechend groß ist das Angebot an Shampoos, Seren und medizinischen Wirkstoffen. Doch der Erfolg bleibt oft aus. Eine neue Studie liefert nun eine mögliche Erklärung und stellt ein zentrales biologisches Prinzip infrage.
Denn: Haare wachsen offenbar nicht so, wie es jahrzehntelang in Lehrbüchern stand. Statt vom Haarboden nach oben gedrückt zu werden, werden sie durch eine Art inneren Zugmechanismus nach außen gezogen. Eine spezielle Zellbewegung im äußeren Bereich des Haarfollikels könnte dabei eine zentrale Rolle spielen und erklären, warum viele gängige Therapien ins Leere laufen.
Zellbewegung zieht Haare nach oben
Ein internationales Team unter Beteiligung der Queen Mary University of London untersuchte menschliche Haarfollikel im Labor. Möglich machte das eine spezielle 3D-Live-Mikroskopie. Damit ließen sich einzelne Zellen in Echtzeit verfolgen. Dabei fiel den Forschern ein ungewöhnliches Muster auf. Zellen an der Außenseite bewegten sich spiralförmig nach unten, während das Haar selbst nach oben wanderte. Offenbar erzeugen die äußeren Zellschichten eine Zugkraft, die das Haar nach oben transportiert.
„Unsere Ergebnisse zeigen eine faszinierende Choreografie“, sagt Dr. Inês Sequeira. Lange habe man geglaubt, Zellteilung schiebe das Haar nach oben. „In Wirklichkeit wird es aktiv gezogen – wie von einem winzigen Motor.“
Zellteilung allein reicht nicht für Haarwachstum
Um ihre Beobachtungen zu prüfen, blockierten die Forscher gezielt die Zellteilung im unteren Bereich. Nach bisherigem Verständnis hätte das den Wachstumsprozess stoppen müssen. Doch das Haar wuchs weiter – fast ohne Veränderung.
Erst als sie ein Eiweiß namens Actin hemmten, kam das Wachstum zum Stillstand. Actin ist Teil des Zellskeletts und spielt eine zentrale Rolle für Bewegung und Zugkraft. Wurde es blockiert, sank das Haarwachstum um mehr als 80 Prozent. Dr. Thomas Bornschlögl fasst es so zusammen:
Nicht die Zellteilung ist entscheidend, sondern der aktive Zug durch die äußere Wurzelscheide.
Bewegung entscheidet über Wachstum
Die Messungen zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Zellschichten. Einige der wichtigsten Erkenntnisse:
- Zellen der inneren Wurzelscheide bewegen sich schneller nach oben als die Haarzellen
- Zellen der äußeren Schicht wandern nach unten und erzeugen Zug
- Ohne diesen Zug kommt das Wachstum fast zum Erliegen
Zusätzliche Computermodelle bestätigten die Ergebnisse. Nur ein aktiver Zug passte zu den beobachteten Bewegungen. Ein reines Schieben von unten reicht nicht aus.
Neue Hoffnung bei Haarausfall
Viele Mittel gegen Haarausfall sollen die Zellteilung anregen – etwa durch Wachstumsfaktoren oder bessere Durchblutung. Doch wenn das Haar durch Zugkräfte wächst, greifen diese Ansätze zu kurz. Das bedeutet nicht, dass sie völlig wirkungslos sind. Zellteilung bleibt ein Faktor. Aber ohne funktionierende Zugmechanik kommt das Wachstum kaum voran. Künftig könnten Behandlungen gezielt die mechanischen Eigenschaften des Follikels stärken. Denkbar wären Wirkstoffe, die:
- die Beweglichkeit bestimmter Zellschichten verbessern
- das Zellskelett mit Actin stabilisieren
- das Zusammenspiel der Zelltypen fördern
Kurz zusammengefasst:
- Haare wachsen nicht durch Druck von unten, sondern werden im Haarfollikel aktiv nach oben gezogen – ausgelöst durch bewegliche Zellschichten an der Außenseite.
- Zellteilung allein treibt das Haarwachstum nicht an: Selbst bei gestoppter Zellteilung wächst Haar weiter, bricht aber ein, wenn die zugrunde liegende Zugmechanik blockiert wird.
- Viele Mittel gegen Haarausfall wirken deshalb begrenzt, weil sie auf Zellwachstum setzen und die entscheidenden mechanischen Kräfte im Haarfollikel bislang kaum berücksichtigen.
Übrigens: Nicht Sport oder Ernährung entscheiden am stärksten über ein langes Leben, sondern ausreichend Schlaf. Eine große US-Analyse zeigt, dass chronischer Schlafmangel die Lebenserwartung deutlich senkt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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