Klimawandel könnte bis 2100 fast die Hälfte des Amazonas-Regenwalds vernichten
Bis 2100 könnte der Amazonas-Regenwald fast 40 Prozent seiner Fläche verlieren. Laut LMU-Studie treiben Klimawandel und Abholzung das Ökosystem an den Rand des Kollapses.
Ab einer Erwärmung von mehr als 2,3 Grad droht der Amazonas-Regenwald laut LMU-Studie abrupt zu kollabieren. © Philippe Ciais
Der Amazonas gilt als grüne Lunge der Erde – doch sein Herz schlägt immer schwächer. Steigende Temperaturen, anhaltende Trockenheit und massive Abholzung schwächen das größte zusammenhängende Waldgebiet der Erde. Eine aktuelle Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zeigt, wie stark der Klimawandel den Amazonas-Regenwald bereits verändert und wie eng menschliche Eingriffe und Erwärmung zusammenwirken.
Wenn die globale Temperatur weiter steigt und sich landwirtschaftliche Flächen ausbreiten, könnte bis Ende des Jahrhunderts fast die Hälfte des Waldes verschwinden. Das Ökosystem droht zu kippen, sobald wenige Zehntel Grad dazukommen – ein empfindliches Gleichgewicht, das längst ins Wanken geraten ist.
LMU-Forscher analysieren doppelte Bedrohung
Das Forschungsteam um Geographin Selma Bultan nutzte komplexe Klimamodelle, um zu berechnen, wie sich der Amazonas seit 1950 verändert hat und wie er sich bis 2100 entwickeln könnte. Dabei betrachteten die Wissenschaftler erstmals getrennt, welchen Anteil die Abholzung und welchen die globale Erwärmung an der fortschreitenden Waldzerstörung haben. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten bis zu 38 Prozent der Waldfläche, die 1950 noch existierte, verloren gehen. Davon wären
- 25 Prozent auf Landnutzungsänderungen zurückzuführen, etwa durch landwirtschaftliche Flächen oder Weidewirtschaft,
- 13 Prozent auf steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse.
„Unsere Analyse zeigt, dass Ende des Jahrhunderts bis zu 38 Prozent der 1950 vorhandenen Waldfläche verloren gehen könnten. Damit würden wir den Schwellwert erreichen, vor dem frühere Studien als Kipppunkt des Amazonaswaldes gewarnt haben,“ so Bultan.
Kipppunkt bei 2,3 Grad Erwärmung
Der Amazonas bedeckt heute rund 5,5 Millionen Quadratkilometer und spielt eine zentrale Rolle im globalen Klimasystem. Er speichert rund zehn Prozent des weltweiten Kohlenstoffs in seinen Pflanzen und Böden. Doch dieser Speicher droht instabil zu werden.
Die LMU-Studie identifiziert eine kritische Temperaturgrenze: Steigt die globale Durchschnittstemperatur um mehr als 2,3 Grad Celsius, könnte der Wald nicht mehr schrittweise, sondern plötzlich kollabieren. Ein solcher Prozess würde riesige Mengen an Treibhausgasen freisetzen und den Klimawandel weiter beschleunigen.
Koautorin Julia Pongratz, Professorin für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der LMU, warnt:
Mit den derzeitigen Politikmaßnahmen und gesicherten Klimaschutzversprechungen steuern wir auf eine Erderwärmung von mindestens 2,5 Grad zu.
Wie der Amazonas Regenwald Klimawandel und Trockenheit verstärkt
Der Amazonas erzeugt sein eigenes Klima. Durch Verdunstung entsteht Feuchtigkeit, die sich über den Kontinent verteilt und wieder abregnet. Wird Wald abgeholzt, versiegt dieser Kreislauf. Der Boden trocknet, Wolken bleiben aus – und der verbleibende Wald verdunstet weniger Wasser. Ein Teufelskreis beginnt.
Die Forscher sehen darin einen zentralen Mechanismus, der das Risiko abrupten Waldsterbens erhöht. Wenn die Vegetation weiter abnimmt, kann der Regenwald sich selbst nicht mehr stabilisieren. Frühere Studien nannten den Verlust von 20 bis 25 Prozent der Fläche als Schwelle, ab der das System kippen könnte. Nach den aktuellen Berechnungen ist dieser Punkt bald erreicht.
Menschliche Nutzung bleibt Haupttreiber der Zerstörung
Zwischen 1950 und 2014 gingen rund 80 Prozent des Waldverlusts auf Landnutzungsänderungen zurück. Die Umwandlung von Wald in Weideland oder Sojafelder bleibt also der größte Risikofaktor – weit vor den Folgen des Klimawandels. Doch beide Einflüsse verstärken sich gegenseitig: Wo Wald fehlt, heizt sich die Luft stärker auf, und Trockenperioden werden länger.
Für die Menschen vor Ort bedeutet das nicht nur den Verlust von Lebensraum, sondern auch ein höheres Risiko für Brände und Wasserknappheit. Indigene Gemeinschaften, die seit Jahrhunderten im Einklang mit dem Regenwald leben, verlieren zunehmend ihre Lebensgrundlage.
Forscher drängen auf schnellere Gegenmaßnahmen
Den Experten der LMU zufolge müssen der Schutz des Amazonas und internationale Klimapolitik enger verzahnt werden. „Positive Entwicklungen wie der verstärkte Regenwaldschutz müssen ausgebaut werden, während wir das Tempo beim Kampf gegen die Erderwärmung beschleunigen“, fordert Pongratz. „Der Wert des Amazonaswaldes ist viel zu hoch, als dass wir seine Existenz aufs Spiel setzen könnten.“
Die Studie verweist auf die Klimabeschlüsse von Belém als wichtigen Schritt, doch ohne striktere Maßnahmen könnte der Kipppunkt schon in wenigen Jahrzehnten erreicht werden. Nur ein konsequenter Stopp der Abholzung und ein globaler Temperaturanstieg von weniger als zwei Grad könnten verhindern, dass der Regenwald seine ökologische Funktion verliert.
Jeder Hektar Regenwald stärkt den Schutz des Klimas
Der Amazonas beeinflusst das Klima weit über Südamerika hinaus. Sein gewaltiges Wassersystem stabilisiert Niederschlagsmuster und wirkt kühlend auf die Atmosphäre. Wenn dieser natürliche Kreislauf ausfällt, könnten sich Dürren und Hitzewellen weltweit verschärfen.
Man muss sich immer wieder bewusst machen: Der Amazonas-Regenwald ist kein isoliertes Naturgebiet, sondern ein entscheidender Faktor für das globale Klimasystem. Jeder erhaltene Hektar Wald trägt dazu bei, die Erderwärmung zu bremsen und das ökologische Gleichgewicht zu sichern.
Kurz zusammengefasst:
- Der Amazonas-Regenwald steht durch den Klimawandel und die fortschreitende Abholzung vor einem Kipppunkt, ab dem sich das Ökosystem nicht mehr erholen kann.
- Laut einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München könnten bis 2100 bis zu 38 Prozent der Waldfläche verloren gehen – 25 Prozent durch Landnutzung, 13 Prozent durch steigende Temperaturen.
- Überschreitet die globale Erwärmung 2,3 Grad, droht der Zusammenbruch des Regenwaldes, der gewaltige Mengen an Treibhausgasen freisetzen würde.
Übrigens: Nicht nur der Regenwald speichert CO₂ – auch die Tiefsee wirkt wie ein riesiger Klimapuffer. Forscher der University of California – Santa Barbara haben jetzt herausgefunden, welche Mikroben dort das meiste Kohlendioxid binden. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Philippe Ciais
