Mit Nasentropfen gegen Hirntumor – Forscher entdecken völlig neuen Weg ins Gehirn

Forscher zeigen, dass Medikamente über Nasentropfen direkt ins Gehirn gelangen und dort Immunzellen gegen Hirntumoren aktivieren können.

Nasentropfen gegen Hirntumor – Neuer Weg ins Gehirn entdeckt

Nanomedizin durch die Nase: Die roten Partikel wandern entlang grüner Nervenbahnen ins Gehirn und aktivieren dort das Immunsystem gegen Tumorzellen. © Alexander Stegh

Glioblastome gehören zu den aggressivsten Krebsarten, die die Medizin kennt. Kaum ein anderer Tumor wächst so schnell, ist so schwer zugänglich und so widerstandsfähig gegen Therapien. Patienten haben meist nur wenige Monate Zeit, selbst mit Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Nun könnte eine Entdeckung aus den USA das ändern – und sie klingt erstaunlich einfach: Forscher wollen den Weg ins Gehirn über die Nase nutzen.

Ein Team der Washington University School of Medicine (WashU) in St. Louis und der Northwestern University hat erstmals gezeigt, dass sich Medikamente in Form von Nanopartikeln über Nasentropfen direkt ins Gehirn transportieren lassen. Diese Partikel aktivieren dort gezielt das Immunsystem – und greifen Tumorzellen an, ohne das Gehirn operativ zu öffnen. Die Studie erschien jüngst im Fachjournal PNAS.

Nanopartikel nutzen die natürliche Verbindung zwischen Nase und Gehirn

Das Prinzip klingt fast zu einfach: Die Nasenhöhle steht über Nervenbahnen mit dem Gehirn in direkter Verbindung. Vor allem der Trigeminusnerv, der Gesicht und Nase versorgt, bietet eine Art „biologischen Zugang“. Über ihn gelangten die in der Studie eingesetzten Nanopartikel direkt in den Tumorbereich.

Die Partikel bestehen aus winzigen Goldkernen, umhüllt von kurzen DNA-Fragmenten. Diese sogenannten „sphärischen Nukleinsäuren“ wurden so konstruiert, dass sie das Immunsystem aktivieren, sobald sie im Gehirn ankommen. In Tierversuchen reichte es, die Substanz als Tropfen in die Nasenhöhle zu geben – sie wanderte dann von selbst dorthin, wo sie wirken sollte.

„Wir wollten eine Behandlung entwickeln, die das Immunsystem dazu bringt, Glioblastome selbst anzugreifen“, sagt Studienleiter Alexander H. Stegh. „Mit dieser Forschung haben wir gezeigt, dass sich das Immunsystem im Gehirn gezielt aktivieren lässt.“

Das Immunsystem wird direkt im Gehirn aktiviert

Der entscheidende Mechanismus: Die Nanopartikel aktivieren den sogenannten cGAS–STING-Signalweg. Dieses System erkennt fremde DNA und löst eine Kette von Abwehrreaktionen aus, darunter die Bildung von Botenstoffen, die Immunzellen in den Tumor lenken.

Glioblastome gelten bisher als „kalte Tumoren“ – sie sind für das Immunsystem kaum sichtbar. Durch die Aktivierung des STING-Signalwegs wird aus einem „kalten“ ein „heißer“ Tumor, also einer, auf den Immunzellen reagieren können. In den Versuchen der Forscher veränderte sich das Tumorgewebe deutlich: Entzündungszellen nahmen zu, während Krebszellen schrumpften.

Als die Forscher die Behandlung mit sogenannten Checkpoint-Hemmern kombinierten, also Medikamenten, die das Immunsystem zusätzlich anregen, verschwanden die Tumoren vollständig. Die behandelten Mäuse blieben langfristig tumorfrei – ein Hinweis auf eine stabile Immunantwort.

Nasentropfen statt Operation

Die neue Methode umgeht ein zentrales Problem der Krebsmedizin: die Blut-Hirn-Schranke. Diese natürliche Barriere schützt das Gehirn vor Schadstoffen, verhindert aber auch, dass viele Medikamente an ihr Ziel gelangen. Die Forscher nutzten deshalb den „Nasen-Gehirn-Weg“, um die Barriere zu umgehen.

Im Gegensatz zu bisherigen Ansätzen, bei denen Medikamente direkt in den Tumor injiziert werden müssen, ist diese Behandlung nicht invasiv. Sie könnte also auch für geschwächte Patienten geeignet sein, die keine weiteren Eingriffe verkraften.

  • Zielgenaue Verteilung: Die Partikel gelangen über den Trigeminusnerv direkt in die Tumorregion.
  • Geringe Nebenwirkungen: Im Körper selbst blieben kaum Rückstände, unerwünschte Reaktionen wurden nicht beobachtet.
  • Wiederholbare Therapie: Anders als Operationen oder Injektionen lässt sich die Anwendung bei Bedarf leicht wiederholen.

Frauen könnten besser auf die Therapie ansprechen

Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Wirkung fiel bei weiblichen Mäusen deutlich stärker aus als bei männlichen. Das könnte daran liegen, dass weibliche Immunzellen empfindlicher auf die Aktivierung des STING-Signalwegs reagieren.

„Unsere Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern“, erklärt Erstautorin Akanksha Mahajan. Frühere Studien hätten bereits gezeigt, dass Frauen im Durchschnitt über eine aktivere Immunabwehr verfügen. Das müsse künftig stärker berücksichtigt werden, wenn neue Krebstherapien entwickelt werden.

Nasentropfen erreichen das Gehirn über die Nervenbahnen

Die Forscher untersuchten genau, wie die Tropfen ihren Weg ins Gehirn finden. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass die Nanopartikel entlang der Nervenfasern wandern, die die Nasenschleimhaut mit dem Gehirn verbinden. Vor allem der Trigeminusnerv, der unter anderem für Gesichtsempfindungen zuständig ist, diente als „Transportstraße“.

Im Gehirn sammelten sich die Partikel bevorzugt im Tumor und in bestimmten Immunzellen an. Dort lösten sie die gewünschte Reaktion aus, ohne andere Organe zu belasten.

  • Nachweis per Lichtmarkierung: Die Partikel wurden mit fluoreszierenden Markern sichtbar gemacht.
  • Keine Schädigung des Lungengewebes: In den Kontrollgruppen fanden sich keine Anzeichen für Entzündungen oder Nebenwirkungen.

Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom

Glioblastome gehören zu den wenigen Krebserkrankungen, bei denen das Immunsystem bisher kaum eine Rolle spielt. Immuntherapien, die bei Haut- oder Lungenkrebs wirken, zeigen hier meist keinen Erfolg. Das könnte sich mit der neuen Methode ändern.

„Diese Arbeit eröffnet eine neue Möglichkeit, das Gehirn sicher zu erreichen“, sagt Stegh. „Sie könnte auch für andere therapieresistente Krebsarten nützlich sein.“ Noch ist die Methode allerdings im Tierstadium, klinische Studien stehen aus.

Was der Ansatz künftig bedeuten könnte

Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, könnte der Weg über die Nase künftig ein wichtiger Bestandteil moderner Krebstherapie werden. Eine Behandlung ohne Operation, Spritzen oder Infusionen – das wäre nicht nur für Patienten mit Hirntumoren ein Fortschritt, sondern auch für viele andere Erkrankungen, bei denen Medikamente bisher nicht ins Gehirn gelangen.

Die Forscher wollen nun die Struktur der Nanopartikel weiter verbessern und ihre Wirksamkeit bei verschiedenen Dosierungen testen. Parallel soll untersucht werden, wie sich die Methode sicher auf den Menschen übertragen lässt.

Kurz zusammengefasst:

  • Forscher der Washington University und Northwestern University haben gezeigt, dass Medikamente über Nasentropfen direkt ins Gehirn gelangen können.
  • Die Nanopartikel aktivieren das Immunsystem gezielt gegen aggressive Hirntumoren und stoppten bei Mäusen das Tumorwachstum vollständig.
  • Die Methode umgeht Operationen und könnte langfristig neue, schonendere Therapien für Hirntumorpatienten ermöglichen.

Übrigens: Ein einfacher mRNA-Impfstoff könnte die Krebsmedizin verändern – er macht selbst widerstandsfähige Tumoren wieder angreifbar und stoppt ihr Wachstum. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Alexander Stegh

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