Ozean als Klimaretter? Neue CO₂-Technologien wecken große Hoffnungen – und große Sorgen
Der Ozean soll gezielt CO₂ binden und das Klima stabilisieren – doch Forscher warnen vor unklaren Folgen und fehlender Kontrolle.
Feldversuch auf Helgoland: Forscher testen, wie mehr Alkalität im Meer das CO₂-Aufnahmevermögen beeinflusst. Im Bild: Dr. Carsten Spisla beim Probennehmen an den Mesokosmen des Projekts CDRmare „RETAKE“. © Michael Sswat, GEOMAR
Der Ozean gilt seit Langem als natürlicher Klimaschützer. Jahr für Jahr schlucken die Meere Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und bremsen so die Erderwärmung. Doch nun soll das Meer noch mehr leisten: Es soll gezielt dabei helfen, CO₂ zu entfernen – ähnlich wie Wälder an Land. Die Idee klingt verlockend, birgt aber erhebliche Risiken.
Forscher der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) und des Norwegischen Instituts für Luftforschung haben im Auftrag des European Marine Board untersucht, ob solche Methoden tatsächlich etwas bringen – und warnen: Ohne klare Regeln und ein strenges Kontrollsystem könnten neue Meerestechnologien mehr schaden als nützen.
Forscher fordern Kontrolle und klare Regeln
Hinter der Idee stehen sogenannte marine CO₂-Entfernungsverfahren. Sie sollen die Fähigkeit des Meeres verstärken, Kohlendioxid aufzunehmen und zu speichern. Dafür gibt es verschiedene Ansätze: Manche setzen auf Algen- oder Seegrasfarmen, andere auf chemische Verfahren, die CO₂ direkt aus dem Meerwasser ziehen.
„Die Ozeane können Teil der Lösung sein, aber wir müssen sicherstellen, dass sie nicht weiter belastet werden, bevor wir diese Systeme ausweiten“, sagt die Klimaforscherin Helene Muri von der NTNU. Sie leitete die Expertengruppe, die den Bericht „Monitoring, Reporting and Verification for Marine Carbon Dioxide Removal“ erstellte. Er wurde parallel zur Klimakonferenz COP30 in Brasilien veröffentlicht.
Warum das Meer ins Visier der Klimaforschung rückt
Der Druck wächst. Um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, reicht es nicht mehr, Emissionen nur zu verringern. Manche CO₂-Quellen – etwa aus der Luftfahrt oder Industrie – lassen sich technisch kaum vermeiden. Daher suchen Forscher weltweit nach Wegen, zusätzliches Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu holen.
Das Meer erscheint dafür prädestiniert: Es bedeckt über 70 Prozent der Erdoberfläche und speichert rund 30 Prozent des menschengemachten CO₂. Schon heute gilt es als größter natürlicher Kohlenstoffspeicher der Erde.
Wie CO₂ im Meer gespeichert werden soll
Einige Methoden setzen auf biologische Prozesse: Durch gezielte Düngung mit Eisen sollen winzige Meeresalgen, das sogenannte Phytoplankton, stärker wachsen und mehr CO₂ aufnehmen. Wenn sie absterben, sinken sie auf den Meeresgrund – und nehmen den gebundenen Kohlenstoff mit.
Andere Verfahren sollen chemisch wirken: Dabei wird Kohlendioxid direkt aus dem Wasser gefiltert oder in Gesteinsschichten unter dem Meeresboden eingelagert. All das soll langfristig den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre senken.
Risiken reichen von Ökosystemen bis zur Glaubwürdigkeit
Das Problem: Niemand weiß genau, wie dauerhaft diese Speicher tatsächlich sind – oder ob sie am Ende neue Umweltschäden verursachen. „Wenn man Kohlenstoff im Meer speichert, ist es viel schwieriger, den Verbleib zu überwachen. Der Ozean bleibt nicht an einem Ort“, warnt Muri.
Zudem fehlen internationale Standards, um zu prüfen, ob solche Projekte tatsächlich CO₂ entfernen. Ohne ein einheitliches System für Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung könnten Unternehmen behaupten, Emissionen kompensiert zu haben – ohne Beweis. Das Risiko: ein unkontrollierter Markt für sogenannte blaue Klimakredite.
Was bislang fehlt:
- Ein wissenschaftlich geprüftes Messsystem, das sicherstellt, dass CO₂ wirklich gebunden bleibt.
- Internationale Regeln, wer solche Projekte kontrolliert und zertifiziert.
- Nachweise, dass Meeresökosysteme dabei nicht geschädigt werden.
Emissionen senken bleibt oberstes Ziel
Trotz aller Forschung bleibt für die meisten Experten klar: Vorrang hat weiterhin die Reduzierung von Treibhausgasen. „Wir wissen, wie man Emissionen verringert, und haben viele funktionierende Methoden“, so Muri. „Das muss an erster Stelle stehen.“
Doch langfristig könnten ergänzende Verfahren nötig werden. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die Restemissionen aus Industrie, Schifffahrt und Luftfahrt ausgeglichen werden. Laut dem Weltklimarat IPCC müssten bis Ende des Jahrhunderts zwischen fünf und zehn Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr entfernt werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten.
Viele Ideen, wenig erprobte Lösungen
Bisher existieren nur wenige praktische Tests. Projekte mit Algen oder Eisen-Düngung liefern zwar erste Daten, doch die Ergebnisse sind unklar. Einige Experimente zeigen kurzfristige CO₂-Aufnahme, andere kaum messbare Effekte.
„Keines dieser Verfahren ist reif für den breiten Einsatz, solange wir nicht wissen, welche Folgen es hat und wohin der Kohlenstoff verschwindet“, sagt Muri. Sie fordert eine enge internationale Zusammenarbeit, bevor Staaten oder Unternehmen auf diese Technologien setzen.
Warum Vertrauen über Erfolg entscheidet
Sollten Regierungen oder Firmen künftig Gutschriften für CO₂-Entnahme im Meer vergeben, muss das transparent und überprüfbar geschehen. Andernfalls drohen Fehlanreize und Glaubwürdigkeitsprobleme im globalen Klimaschutz.
„Wenn wir ernsthaft herausfinden wollen, ob CO₂-Entnahme im Meer verantwortungsvoll funktionieren kann, müssen wir das Monitoring und die Überprüfung ernst nehmen“, warnt Muri. Nur so ließen sich Vertrauen schaffen und Umweltfolgen vermeiden.
Ozean bleibt Hoffnungsträger – mit Vorbehalt
Noch sind marine CO₂-Methoden ein Versprechen für die Zukunft. Doch bevor sie zur tragenden Säule des Klimaschutzes werden, braucht es klare Regeln, internationale Kooperation – und Zeit.
Die Meere sind ein gewaltiger Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel. Doch wer sie überfordert, riskiert, dass der vermeintliche Klimaretter selbst zum Problem wird.
Kurz zusammengefasst:
- Der Ozean könnte beim Klimaschutz helfen, indem er zusätzliches CO₂ speichert – doch viele dieser Technologien sind noch kaum erforscht.
- Forscher der Norwegian University of Science and Technology warnen: Ohne klare Regeln und Kontrolle drohen Umweltgefahren und falsche Klimabilanzen.
- Vorrang bleibt die Senkung von Emissionen; CO₂-Entnahme im Meer kann erst dann eine Ergänzung sein, wenn Wirksamkeit und Sicherheit bewiesen sind.
Übrigens: Auch Muscheln könnten im Klimaschutz eine Rolle spielen. Neue Daten zeigen, dass Austernfarmen nicht nur Nahrung liefern, sondern überraschend viel CO₂ im Meer binden – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Michael Sswat, GEOMAR
