Mini-Roboter formen Knochenzellen – Münchner Durchbruch könnte Medizin verändern

Forscher der TU München haben winzige Lichtroboter entwickelt, die Stammzellen durch gezielten Druck in Knochenzellen umwandeln.

Nanoroboter formen Knochenzellen – Durchbruch aus München

Im Microrobotic Bioengineering Lab der TU München entwickelte Prof. Berna Özkale Edelmann (im Bild mit Dr. Philipp Harder, rechts) ein Lichtsystem, das Stammzellen gezielt zu Knochenzellen „trainiert“. © Astrid Eckert / TUM

Ein Knochenbruch heilt meist – aber oft langsam. Knorpel oder Herzgewebe dagegen wachsen nach Verletzungen kaum nach. Weltweit suchen Forscher deshalb nach Wegen, körpereigene Zellen gezielt zu lenken, um geschädigtes Gewebe zu ersetzen. Eine Gruppe der Technischen Universität München (TUM) ist nun einen entscheidenden Schritt weiter: Ihr ist es gelungen, Stammzellen mithilfe winziger Nanoroboter in Knochenzellen zu verwandeln – allein durch präzise mechanische Reize.

Die Studie, vorgestellt in der Fachzeitschrift Advanced Materials, könnte künftig regenerative Therapien deutlich beschleunigen. Sie zeigt, dass es nicht immer chemische Stoffe braucht, um Stammzellen zu steuern – manchmal genügt gezielter Druck, im richtigen Rhythmus und an der richtigen Stelle.

Wie mechanische Reize Zellen formen können

Im Körper spielt Bewegung eine Schlüsselrolle. Wenn Muskeln arbeiten, Gelenke belastet werden oder Blut fließt, reagieren Zellen auf diese Kräfte – sie wachsen, verändern ihre Form oder aktivieren Gene. Doch wie stark dieser Einfluss wirklich ist, war lange schwer zu messen.

Das Team um Prof. Berna Özkale Edelmann hat nun ein Werkzeug entwickelt, das diese Frage beantwortet: winzige, lichtgesteuerte Nanoroboter, eingebettet in ein durchscheinendes Gel. Sie bestehen aus Goldstäbchen und Kunststoffketten, die auf Laserlicht reagieren. Wird das Gel bestrahlt, erwärmt es sich lokal und zieht sich zusammen – und übt so auf einzelne Zellen kontrollierten Druck aus.

„Wir können die Kräfte exakt bestimmen, mit denen die Nanoroboter auf die Zelle drücken – und sie so gezielt anregen“, erklärt Özkale Edelmann, Leiterin des Microbiotic Bioengineering Labs an der TUM.

In Zahlen bedeutet das: Die Mini-Roboter erzeugen Kräfte zwischen 17 und 34 Nanonewton – winzige Werte, aber stark genug, um biologische Prozesse zu verändern.

Vom mechanischen Reiz zur Knochenzelle

Die Forscher testeten ihre Methode an mesenchymalen Stammzellen, die im Körper als Reparaturzellen gelten. Sie können sich zu verschiedenen Zelltypen entwickeln, darunter Knochen-, Knorpel- oder Muskelzellen. Entscheidend ist, welches Signal sie erhalten.

Die Münchner Arbeit zeigt: Wird die Zelle über drei Tage rhythmisch und sanft stimuliert, schaltet sie bestimmte Gene an, die für Osteogenese, also die Bildung von Knochengewebe, typisch sind.

Im Inneren der Zelle öffnen sich dabei mechanosensitive Ionenkanäle, Kalzium strömt ein, Proteine verändern ihre Struktur – und ein molekulares Programm läuft an. Besonders aktiv werden die Proteine YAP und RUNX2, die den Zellkern erreichen und dort die Bildung von Knochenzellen anstoßen.

„Es ist fast wie im Fitnessstudio“, sagt Özkale Edelmann. „Wir trainieren die Zellen für einen ganz bestimmten Einsatzbereich.“

Training statt Chemie

Bislang werden Stammzellen im Labor meist mit chemischen Zusätzen in bestimmte Richtungen gelenkt. Der neue Ansatz verzichtet darauf. Stattdessen übernehmen physikalische Reize die Steuerung.

Das ist nicht nur natürlicher, sondern auch präziser:

  • Die Stärke der Kraft lässt sich genau einstellen – im Bereich weniger Nanonewton.
  • Das System arbeitet berührungslos, nur über Lichtimpulse.
  • Es ermöglicht, einzelne Zellen gezielt anzusprechen, ohne Nachbarzellen zu beeinflussen.

So könnten künftig auch Zelltherapien personalisierter werden. Ärzte könnten etwa eigene Stammzellen eines Patienten „trainieren“, bevor sie sie zurück in den Körper bringen – maßgeschneidert für Knochen, Knorpel oder Herzgewebe.

Wie die Technik funktioniert

Die Grundlage sind winzige Hydrogele, durchsichtige, weiche Strukturen, in denen sich die Zellen befinden. In diese Matrix sind Millionen lichtempfindlicher Nanopartikel eingebettet. Wird sie mit Infrarotlicht bestrahlt, entsteht eine feine Wärme. Das Material zieht sich lokal zusammen – ähnlich wie ein Muskel.

Dadurch entsteht eine gezielte mechanische Spannung, die auf die Zelle wirkt. Das System reagiert in Millisekunden und erreicht eine räumliche Auflösung von etwa einem Mikrometer – fein genug, um selbst winzige Zellstrukturen gezielt zu beeinflussen.

Die Wissenschaftler sprechen deshalb von einem „Trainingssystem für Zellen“. Mit ihm lassen sich sowohl gleichmäßige Druckreize (isotrop) als auch gerichtete Spannungen (anisotrop) erzeugen. Das erlaubt erstmals, die Wirkung unterschiedlicher Belastungsmuster in dreidimensionaler Umgebung zu untersuchen.

Präzision auf kleinstem Raum

Im Gegensatz zu bisherigen Verfahren können die TUM-Nanoroboter einzelne Zellen innerhalb einer Zellgruppe gezielt stimulieren. Dabei bleibt die Umgebung stabil – die Nachbarzellen spüren nichts.

Das eröffnet neue Möglichkeiten, um zu verstehen, wie mechanische Kräfte Zellverhalten steuern. Schon länger vermuten Forscher, dass viele Krankheiten – von Muskelschwund bis Krebs – auch mit veränderten Kraftverhältnissen in Zellen zusammenhängen. Mit dem Münchner System lassen sich solche Mechanismen erstmals präzise nachbilden.

Die Studie liefert zudem ein erstaunlich konkretes Ergebnis:

  • Eine Kraft von etwa fünf Nanonewton reicht, um Kalzium-Signale auszulösen.
  • Über sieben Nanonewton beginnt die Zelle, ihr genetisches Programm zu verändern.

Diese Werte könnten künftig als Referenz für Zelltraining dienen – eine Art biomechanischer Schwellenwert für die Medizin der Zukunft.

Potenzial für viele Gewebetypen

Noch befindet sich die Technik im Laborstadium. Doch die Forscher denken weiter. „Das passende Belastungsmuster lässt sich auch für andere Zelltypen finden“, sagt Özkale Edelmann.

Das Prinzip könnte helfen,

  • Knorpelzellen zu stabilisieren, etwa bei Arthrose,
  • Herzzellen nach Infarkten zur Regeneration anzuregen,
  • oder sogar Blutgefäßzellen bei chronischen Entzündungen zu stärken.

Die Vision: Zellen gezielt konditionieren, bevor sie in den Körper zurückkehren – ganz ohne chemische Manipulation.

Nächster Schritt: Automatisierung

Damit die Methode eines Tages in Kliniken ankommt, braucht es noch eine skalierbare Produktion. Für Therapien sind Millionen spezialisierter Zellen nötig – weit mehr, als sich bislang mit manueller Steuerung erzeugen lassen.

Die Forscher arbeiten daher an einer automatisierten Plattform, die viele Zellen parallel stimulieren kann. Ziel ist, den Prozess zu beschleunigen, ohne die feine Kontrolle über Kraft, Rhythmus und Temperatur zu verlieren.

Kurz zusammengefasst:

  • Forscher der TU München haben winzige, lichtgesteuerte Roboter entwickelt, die Stammzellen allein durch gezielten Druck dazu bringen, sich in Knochenzellen zu verwandeln.
  • Der Ansatz zeigt, dass mechanische Reize biologische Prozesse steuern können – ab etwa fünf Nanonewton öffnen sich Ionenkanäle, Kalzium strömt ein, und Gene für die Knochenbildung werden aktiviert.
  • Diese präzise, chemiefreie Methode könnte künftig genutzt werden, um Stammzellen gezielt für Knochen-, Knorpel- oder Herztherapien zu „trainieren“.

Übrigens: Auch Ray Kurzweil, der berühmte Zukunftsforscher aus den USA, sieht in Nanobots eine Schlüsseltechnologie, um Alterung und Krankheit zu überwinden – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Astrid Eckert / TUM

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert