Covid-Impfung zeigt unerwarteten Effekt – Krebspatienten leben deutlich länger nach mRNA-Impfstoff
Eine Studie zeigt: Krebspatienten überleben länger, wenn sie rund um ihre Immuntherapie eine mRNA-Covid-Impfung erhalten.

Eine Covid-mRNA-Impfung kann das Immunsystem so stark aktivieren, dass selbst therapieresistente Tumoren auf Immuntherapien ansprechen. © Wikimedia
Die Covid-Impfung sollte ursprünglich vor einem Virus schützen – nicht vor Krebs. Doch genau das scheint sie in bestimmten Fällen trotzdem zu tun. Eine neue Studie des MD Anderson Cancer Center zeigt: Menschen mit Haut- oder Lungenkrebs lebten deutlich länger, wenn sie eine mRNA-Impfung gegen Covid-19 erhalten hatten – und zwar rund um den Beginn ihrer Immuntherapie.
Im Durchschnitt überlebten Geimpfte mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs fast 37 Monate, während Ungeimpfte auf etwa 21 Monate kamen. Beim metastasierten Melanom lag die Überlebensrate nach drei Jahren bei 67 statt 44 Prozent. Der Effekt trat ausschließlich bei mRNA-Impfstoffen auf – also bei jenen von Biontech/Pfizer und Moderna. Klassische Impfstoffe wie Grippe- oder Pneumokokken-Impfungen zeigten keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
Wie eine Covid-Impfung das Immunsystem gegen Krebs aktiviert
Die Forscher um den Onkologen Adam Grippin fanden heraus: Die mRNA-Impfung löst im Körper einen kurzen, aber sehr starken Alarm aus. Innerhalb von 24 Stunden produziert das Immunsystem große Mengen an Interferon Typ I – einem Signalstoff, der normalerweise bei Virusinfektionen ausgeschüttet wird. Dieses Signal wirkt wie ein Weckruf für die Abwehrzellen.
„Der Covid-19-Impfstoff wirkt wie eine Sirene und aktiviert das Immunsystem im ganzen Körper“, sagt Grippin. „Sogar im Tumor beginnt es, eine Reaktion zu programmieren, die den Krebs angreift.“
Dieser unerwartete Nebeneffekt hilft offenbar besonders jenen Patienten, deren Tumoren als „immunologisch kalt“ gelten – also vom Immunsystem kaum erkannt werden. Durch die Impfung verändert sich das Milieu im Tumor: Abwehrzellen werden angelockt, die Oberfläche der Krebszellen zeigt neue Angriffspunkte, und die Immuntherapie mit sogenannten Checkpoint-Hemmern kann besser wirken.
Warum der Zeitpunkt entscheidend ist
Der Effekt zeigte sich nur, wenn die Impfung zeitnah zur Immuntherapie stattfand. Laut Studie war das optimale Fenster rund 100 Tage vor oder nach Beginn der Behandlung. Innerhalb dieses Zeitraums wirkte die Kombination am stärksten.
- Bei Lungenkrebs-Patienten, die in diesem Intervall geimpft waren, verlängerte sich das mediane Überleben von 20,6 auf 37,3 Monate.
- Beim Melanom lag das Überleben nach drei Jahren bei 67,6 Prozent – ohne Impfung bei 44,1 Prozent.
- Der Effekt blieb bestehen, auch wenn andere Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen oder Tumorstadium berücksichtigt wurden.
Eine zusätzliche Grippe- oder Pneumokokken-Impfung brachte dagegen keinen Vorteil. Auch Patienten, die Chemotherapie ohne Immuntherapie erhielten, profitierten nicht. Das spricht für einen spezifischen Mechanismus, der mit der mRNA-Technologie und der Immuntherapie zusammenhängt.
mRNA wirkt wie ein Immun-Booster
Die Forscher konnten diesen Mechanismus in Tierversuchen und bei gesunden Freiwilligen nachvollziehen. Nach einer mRNA-Impfung stieg der Interferon-Spiegel bei Menschen im Schnitt 280-fach innerhalb eines Tages. Begleitet wurde der Anstieg von einer deutlichen Aktivierung der dendritischen Zellen, natürlichen Killerzellen und T-Zellen – also genau jener Zelltypen, die Krebszellen erkennen und zerstören können.
In Mausmodellen führte die Kombination aus mRNA-Impfung und Checkpoint-Therapie dazu, dass Tumoren sichtbar schrumpften oder sogar ganz verschwanden. Blockierten die Forscher jedoch das Interferon-Signal, blieb der Erfolg aus.
Interessant ist, dass der genaue Impfstofftyp keine Rolle spielte – beide verfügbaren mRNA-Impfstoffe zeigten denselben Effekt. Die Dosis hingegen könnte eine Rolle spielen: In Blutanalysen stieg die Immunaktivität nach der Moderna-Impfung (50 µg mRNA) etwas stärker als nach der Biontech-Impfung (30 µg mRNA).
Mehr Tumoren sprechen plötzlich auf Therapie an
Besonders eindrucksvoll ist, dass selbst Tumoren mit niedrigen PD-L1-Werten, die normalerweise schlecht auf Immuntherapien ansprechen, nach einer mRNA-Impfung besser reagierten. In Gewebeproben von Lungenkrebspatienten lag der Anteil der Tumoren mit PD-L1-Werten über 50 Prozent bei Geimpften deutlich höher.
Dieser Wert entscheidet oft darüber, ob Patienten eine Immuntherapie überhaupt erhalten. Eine mRNA-Impfung könnte also indirekt dafür sorgen, dass mehr Patienten von dieser Behandlung profitieren. „Wir waren erstaunt über die Ergebnisse bei unseren Patienten“, sagt Grippin.
Für Onkologen ergibt sich daraus ein einfacher, aber wirkungsvoller Gedanke: Eine routinemäßige mRNA-Impfung könnte das Immunsystem kurzzeitig so stark aktivieren, dass Immuntherapien besser greifen.
Noch kein Beweis, aber starke Hinweise
Die Ergebnisse sind bislang retrospektiv, also aus bereits vorhandenen Daten abgeleitet. Trotzdem haben die Forscher mögliche Verzerrungen weitgehend ausgeschlossen – etwa durch den Gesundheitszustand oder die Behandlungszeitpunkte der Patienten. Die Datenbasis ist groß: Über 1.000 Patienten mit Lungenkrebs und mehr als 200 mit Melanom flossen in die Analyse ein.
Kurz zusammengefasst:
- Eine Auswertung des MD Anderson Cancer Center zeigt: Wer an Krebs leidet, etwa an Lungen- oder Hautkrebs, lebt länger, wenn er rund um die Immuntherapie eine mRNA-Covid-Impfung erhält.
- Die Impfung löst eine starke, kurzzeitige Interferon-Antwort aus, die das Immunsystem aktiviert und selbst „kalte“ Tumoren für Immuntherapien empfänglich macht.
- Der Effekt trat nur bei mRNA-Impfstoffen auf und war am stärksten, wenn die Impfung innerhalb von 100 Tagen vor oder nach Beginn der Behandlung erfolgte.
Übrigens: Auch bei Prostatakrebs gibt es neue Hoffnung – eine Kombination aus drei Medikamenten kann den Tumor deutlich bremsen, vor allem bei Männern mit bestimmten Genveränderungen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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