Deutsche Forscher entwickeln KI, die das Gehirn imitiert – und 80 Prozent weniger Energie braucht

Ein neues Modell für energiesparende KI ahmt das Gehirn nach – und senkt den Stromverbrauch um bis zu 80 Prozent.

KI denkt wie das Gehirn – und braucht 80 Prozent weniger Energie

Ein neues KI-Modell aus Frankfurt zeigt, wie Maschinen Informationen ähnlich effizient verarbeiten können wie das menschliche Gehirn – mit bis zu 80 Prozent weniger Energie. © Midjourney

Das menschliche Gehirn ist ein Meister der Effizienz. Mit gerade einmal 20 Watt – so viel wie eine kleine Glühbirne – steuert es Bewegung, Sprache, Erinnerung und Emotionen. Künstliche Intelligenz dagegen verschlingt Tausende Watt, um ähnliche Rechenaufgaben zu lösen. Große Sprachmodelle oder Bildgeneratoren benötigen ganze Rechenzentren, deren Energiehunger inzwischen mit dem Stromverbrauch ganzer Länder vergleichbar ist.

Wie lässt sich dieser gewaltige Unterschied erklären – und vielleicht sogar verringern? Das wollten Forscher des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) herausfinden. Gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich haben sie ein KI-Modell entwickelt, das unser Gehirn nachahmt und deutlich weniger Energie verbraucht.

Hemmende Synapsen spielen eine überraschende Rolle

Das neue Modell nennt sich Predictive Coding Light (PCL). Es soll erklären, wie Gehirne und künstliche neuronale Netze Informationen verarbeiten, ohne unnötig Energie zu verschwenden. Dabei orientierten sich die Forscher an zwei zentralen Prinzipien des Gehirns:

  • Kommunikation durch elektrische Impulse: Nervenzellen senden keine dauerhaften Signale, sondern kurze Spannungsspitzen, sogenannte „Spikes“.
  • Energie sparen durch Vorhersage: Das Gehirn überträgt nur dann Informationen an höhere Ebenen, wenn etwas Unerwartetes passiert. Vorhersehbares blendet es aus.

Beides zusammen macht biologische Gehirne so energiesparend. Doch die Umsetzung in künstliche Systeme war bisher schwierig. Denn in neuronalen Netzen lassen sich vorhergesagte und tatsächliche Signale kaum voneinander trennen. Hier setzt PCL an: Das Modell nutzt hemmende Synapsen – also Verbindungen, die andere Nervenzellen bremsen –, um vorhersehbare Impulse zu erkennen und zu unterdrücken.

„Wir vermuten, dass hemmende Synapsen eine zentrale Rolle dabei spielen, wie das Gehirn sensorische Informationen energiesparend verarbeitet“, sagt Studienleiter Jochen Triesch. „Bisher betrachtete man sie oft nur als unspezifische Bremse.“

Wie das Gehirn Rechenleistung spart – und was KI daraus lernen kann

In den Simulationen zeigte das PCL-Modell, dass es möglich ist, nur wirklich neue Informationen weiterzugeben. Statt wie klassische KI-Modelle alle Daten vollständig zu verarbeiten, filtert das System bekannte Muster heraus. Dadurch sinkt die Zahl der notwendigen Rechenoperationen erheblich.

Das Prinzip erinnert an menschliche Wahrnehmung: Wenn jemand in einem vertrauten Raum steht, achtet das Gehirn nicht auf jede Wand oder jedes Geräusch – nur auf das, was sich verändert. Diese Fähigkeit, Unwichtiges automatisch zu ignorieren, spart Energie und beschleunigt Entscheidungen.

In der künstlichen Variante ließ sich diese Idee auf visuelle Aufgaben übertragen. Das Team trainierte sein Modell mit Bilddaten und prüfte anschließend, wie gut es Gesten und handgeschriebene Ziffern erkennen konnte. Dabei blieb die Genauigkeit hoch, obwohl das System deutlich weniger „Spikes“ erzeugte – also weniger Energie verbrauchte.

KI imitiert Gehirn und spart Energie – Stromverbrauch sinkt um bis zu 80 Prozent

Die Forscher testeten das Modell an sogenannten Event-Kameras. Diese registrieren Veränderungen im Licht ähnlich wie die menschliche Netzhaut – nicht als kontinuierlichen Videostrom, sondern als Abfolge einzelner Ereignisse. Das PCL-Netzwerk lernte, daraus stabile Bilder zu erzeugen, und benötigte dabei bis zu 80 Prozent weniger Aktivität als herkömmliche KI-Systeme.

In Relation bedeutet das: Wenn ein heutiges KI-System für eine Aufgabe 1000 Watt verbraucht, könnte ein gleich leistungsfähiges PCL-Netz theoretisch mit etwa 200 Watt auskommen – also mit dem Strombedarf eines Laptops statt eines kleinen Heizlüfters. Das Modell arbeitet also fünfmal sparsamer, ohne an Genauigkeit zu verlieren.

Damit liefert die Studie erstmals konkrete Hinweise, wie maschinelles Lernen mit deutlich weniger Energie auskommen kann. „PCL etabliert ein günstiges Verhältnis zwischen Energieverbrauch und Informationsgehalt“, schreiben die Autoren.

Diese Erkenntnis könnte für viele Bereiche relevant sein – von Smartphones über Sensoren bis zu großen Servern. Denn je weniger Energie KI-Systeme benötigen, desto günstiger und klimafreundlicher lassen sie sich einsetzen.

Wie das Gehirn Vorhersagen nutzt, um Denken effizienter zu machen

Das Herzstück des Modells ist das sogenannte „prädiktive Kodieren“. Es beruht auf der Annahme, dass das Gehirn ständig Vorhersagen über die Umwelt trifft und nur dann reagiert, wenn diese Vorhersagen nicht zutreffen.

  • Wenn etwas vorhersehbar ist, wird der entsprechende Impuls gedämpft oder gelöscht.
  • Wenn etwas Neues passiert, erzeugt das System ein Signal und leitet es weiter.

So entsteht ein dynamisches Gleichgewicht: Das System arbeitet fortlaufend, spart Energie und bleibt dennoch aufmerksam für Veränderungen.

In der Simulation zeigten sich dabei Muster, die an die visuelle Verarbeitung im Gehirn erinnern. Die Forscher beobachteten „einfache“ und „komplexe“ Zellen, wie sie im visuellen Kortex von Säugetieren vorkommen. Diese Zellen reagierten selektiv auf Linien, Bewegungen und Kontraste – ein Hinweis darauf, dass das Modell nicht nur energieeffizient, sondern auch biologisch plausibel ist.

Perspektive: KI-Chips könnten bald wie das Gehirn rechnen

Noch ist das alles Theorie. Doch die Richtung ist klar: Neuromorphe Chips – also Computerchips, die nach dem Vorbild des Gehirns aufgebaut sind – könnten das Prinzip in Zukunft technisch umsetzen. Solche Systeme arbeiten nicht mit Dauerstrom, sondern mit einzelnen elektrischen Pulsen. Damit könnten sie eines Tages Aufgaben wie Bildverarbeitung oder Sprachsteuerung mit einem Bruchteil des heutigen Energiebedarfs erledigen.

Langfristig könnte das Konzept helfen, die Klimabilanz der digitalen Welt deutlich zu verbessern. Denn große KI-Modelle zählen inzwischen zu den größten Stromverbrauchern der IT-Industrie. Wenn sie lernen, wie das Gehirn zu denken – konzentriert, selektiv und energiesparend –, wäre das ein entscheidender Schritt in Richtung nachhaltiger Technologie.

Für die Forscher aus Frankfurt ist das nur der Anfang. Ihr Ziel: Künstliche Intelligenz, die nicht stärker, sondern klüger rechnet – und dabei so sparsam bleibt wie das menschliche Gehirn.

Kurz zusammengefasst:

  • Energiesparende KI orientiert sich am Gehirn: Das Modell Predictive Coding Light nutzt dessen Prinzip, vorhersehbare Informationen zu unterdrücken.
  • Es verarbeitet nur neue Signale und verbraucht dadurch bis zu 80 Prozent weniger Energie als herkömmliche neuronale Netze.
  • Die Studie zeigt, wie sich biologische Strategien der Informationsverarbeitung nutzen lassen, um KI-Systeme künftig effizienter und nachhaltiger zu machen.

Übrigens: Das Gedächtnis wäre deutlich leistungsfähiger, wenn es nicht nur fünf, sondern sieben Sinne nutzen könnte – zeigen Berechnungen von Forschern in Moskau. Warum sieben die ideale Zahl für das Erinnern ist, erklären sie in unserem Artikel.

Bild: © Midjourney

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