Steuerbefreiung für Überstunden – Für 98 Prozent bringt die Reform keinen Cent

Nur 1,4 Prozent der Beschäftigten profitieren von der geplanten Steuerbefreiung der Merz-Regierung – für die meisten bleibt sie wirkungslos.

Steuerbefreiung bei Überstunden: Fast niemand profitiert

Viele leisten sie, kaum jemand profitiert: Überstunden gelten als Zeichen von Fleiß – doch die geplante Steuerbefreiung der Merz-Regierung hilft fast niemandem. © Unsplash

Die Bundesregierung will Mehrarbeit steuerlich begünstigen. Doch laut einer Analyse der SPD-nahen Hans-Böckler-Stiftung profitiert davon nur eine winzige Minderheit – vor allem Männer mit hohem Einkommen. Für fast alle anderen bleibt die Reform wirkungslos.

Mit der geplanten Steuerbefreiung für Überstunden-Zuschläge will die Koalition Mehrarbeit attraktiver machen. Im Koalitionsvertrag heißt es, Zuschläge für Arbeitsstunden, die über die tariflich vereinbarte Vollzeit hinausgehen, sollen steuerfrei gestellt werden – ab 34 Wochenstunden in tarifgebundenen Betrieben, ab 40 Stunden ohne Tarifbindung. Auch Rentner sollen profitieren, wenn sie im Ruhestand weiterarbeiten.

Das Ziel: Arbeitnehmer sollen mehr arbeiten können, ohne dass der Fiskus einen Teil der Zuschläge kassiert. Doch die Realität auf dem Arbeitsmarkt sieht anders aus.

Warum kaum jemand profitiert

Eine Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Nur 1,4 Prozent aller Beschäftigten erfüllen überhaupt die Voraussetzungen, um steuerfreie Zuschläge zu erhalten.

Laut Statistischem Bundesamt leisteten im April 2024 lediglich 5,1 Prozent der Beschäftigten bezahlte Überstunden – und nur 1,8 Prozent davon erhielten einen Zuschlag. Unter dem Strich bliebe die Steuerbefreiung für 98 Prozent der Arbeitnehmer ohne jeden Effekt.

Selbst wer die Kriterien erfüllt, spürt kaum Entlastung. Die durchschnittliche Steuerersparnis beträgt laut Studie gerade einmal 31 Cent pro Monat. Beschäftigte mit niedrigen Einkommen kommen meist auf weniger als zehn Cent, Spitzenverdiener auf ein bis zwei Euro pro Stunde.

Laut Studienautor Dr. Malte Lübker sei diese Steuerregel vor allem Symbolpolitik. Sie koste viel Aufwand, bringe aber kaum Entlastung.

Wer besonders verliert

Von der Reform profitieren vor allem Besserverdiener in Westdeutschland. 95 Prozent des gesamten Steuerbonus entfallen laut WSI auf die obere Hälfte der Einkommensverteilung. Wer weniger als 3.000 Euro brutto verdient, spart im Schnitt drei Cent im Monat.

Frauen und Teilzeitkräfte gehen fast leer aus. Nur 0,5 Prozent der Frauen erfüllen die Bedingungen – bei Männern sind es 2,2 Prozent. In Ostdeutschland liegt der Anteil begünstigter Arbeitnehmer bei unter einem Prozent.

Für Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin der Hans-Böckler-Stiftung, ist das „ein falsches Signal“. Von dieser Regelung profitieren ihr zufolge vor allem die, die ohnehin gut verdienen. Sie verschärft die Ungleichheit, statt sie abzubauen.

Mehr Bürokratie statt echter Anreiz

Neben der geringen Wirkung kritisieren die Experten den administrativen Aufwand. Arbeitgeber müssten jede begünstigte Stunde einzeln dokumentieren und korrekt abrechnen, Finanzämter zusätzliche Prüfungen durchführen. Der wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium warnt deshalb vor einem noch komplexeren Steuerrecht – ohne nachweisbaren Beschäftigungseffekt.

Im Ergebnis liegt die tatsächliche Steuerersparnis pro Überstunde laut Studie bei durchschnittlich 1,35 Euro. Für die große Mehrheit der Arbeitnehmer lohnt sich der bürokratische Aufwand also kaum.

Was Experten stattdessen fordern

Die Steuerdebatte lenkt nach Ansicht der Hans-Böckler-Stiftung vom eigentlichen Problem ab: In Deutschland werden mehr als die Hälfte aller Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen. Auf Arbeitszeitkonten summieren sich inzwischen rund 500 Millionen Stunden – mit einem Gegenwert von 9,5 Milliarden Euro.

Dr. Lübker spricht sich daher für klare Regeln aus: Aus seiner Sicht sollten alle geleisteten Stunden erfasst und entweder vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen werden. Wenn ein Ausgleich nicht möglich ist, müsse zumindest eine Auszahlung erfolgen. Ob dafür ein steuerfreier Zuschlag gewährt werde, sei in solchen Fällen zweitrangig.

Kurz zusammengefasst:

  • Die geplante Steuerbefreiung der Merz-Regierung für Überstundenzuschläge soll Mehrarbeit fördern, betrifft aber nur 1,4 Prozent der Beschäftigten.
  • Im Durchschnitt liegt die Steuerersparnis bei 31 Cent im Monat – profitieren würden fast ausschließlich Männer mit hohem Einkommen, die für bestimmte Überstunden Zuschläge erhalten. Selbst bei ihnen liegt der Vorteil laut Studie nur bei rund 1,35 Euro pro Stunde.
  • Experten sehen darin Symbolpolitik: Statt Steuertricks brauche es eine klare Erfassung und faire Bezahlung aller geleisteten Überstunden.

Übrigens: Wer meint, Bürgergeld rechne sich mehr als Arbeit, irrt gewaltig. Eine neue Studie zeigt: Selbst bei Mindestlohn bleibt überall deutlich mehr Geld übrig – auch für Familien. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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