Forscher lassen erstmals Alzheimer-Plaques im lebenden Gehirn leuchten – Durchbruch für neue Therapien
Alzheimer-Plaques lassen sich erstmals im lebenden Gehirn beobachten – ein Meilenstein für Diagnose und Forschung.

Neue Methode erlaubt Einblicke ins Krankheitsgeschehen: Proteinablagerungen, die typisch für Alzheimer sind, werden erstmals direkt sichtbar. © Pexels
Alzheimer gehört zu den größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit. Mehr als 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen, weltweit steigt die Zahl der Patienten rapide. Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielen Eiweißablagerungen im Gehirn, sogenannte Amyloid-Plaques.
Sie gelten als Auslöser für das Absterben von Nervenzellen und damit für den fortschreitenden Gedächtnisverlust. Doch bislang war es kaum möglich, diese Plaques im lebenden Gehirn über längere Zeit zu verfolgen. Das bremste die Forschung und erschwerte die Suche nach wirksamen Therapien.
Nun ist einem internationalen Forscherteam aus Großbritannien und Italien ein entscheidender Schritt gelungen: Erstmals lassen sich Alzheimer-Plaques im Gehirn lebender Tiere sichtbar machen – und zwar nicht nur für kurze Momente, sondern über längere Zeiträume hinweg.
Neue Glasfaser-Technik eröffnet ungeahnte Möglichkeiten
Die Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Neurophotonics, beschreibt eine Methode, die auf feinsten Glasfasern basiert. Diese werden in das Gehirn von Mäusen implantiert und leiten Lichtsignale nach außen. Die Tiere erhalten zuvor einen speziellen Farbstoff, der die Blut-Hirn-Schranke überwindet und sich gezielt an die Amyloid-Plaques bindet.
„Das Prinzip ist bestechend einfach: Je mehr Plaques im Gehirn vorhanden sind, desto stärker ist das Lichtsignal“, erklärt das Team. So kann man erkennen, in welchen Hirnregionen sich Ablagerungen ansammeln und wie stark der Prozess mit dem Alter voranschreitet. Besonders wichtig: Die Methode funktioniert auch bei wachen, frei beweglichen Tieren.
Forscher beobachten, wie sich Alzheimer-Plaques im Verlauf verändern
Bislang war es nur möglich, Plaques unter dem Mikroskop nach dem Tod der Tiere zu analysieren. Jetzt aber können Forscher Alzheimer-Plaques beobachten, während sich die Krankheit im lebenden Gehirn entwickelt. Das eröffnet große Chancen:
- Der Verlauf lässt sich über Tage oder Wochen hinweg im selben Tier dokumentieren
- Medikamente können in Echtzeit auf ihre Wirksamkeit getestet werden
- Der Bedarf an Versuchstieren sinkt deutlich, da weniger Einzeltiere für Momentaufnahmen geopfert werden müssen
Die Forscher nutzten dabei sowohl flache als auch konisch zulaufende Glasfasern. Letztere haben den Vorteil, dass sie Signale aus unterschiedlichen Tiefen im Gehirn erfassen. Damit entsteht ein dreidimensionales Bild der Plaque-Verteilung – ein wichtiger Fortschritt gegenüber bisherigen Verfahren wie Zwei-Photonen-Mikroskopie oder optoakustischer Tomografie, die entweder nur oberflächlich oder nur unter Narkose möglich waren.
Schnellere Medikamentenentwicklung möglich
Die Methode hat das Potenzial, die Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente deutlich zu beschleunigen. Bisher war es aufwendig und zeitintensiv, zu prüfen, ob ein Wirkstoff die Ablagerungen tatsächlich verringert. Mit der neuen Technik können Forscher unmittelbar erkennen, ob eine Behandlung anschlägt.
- Wirkstoffe ohne Effekt lassen sich früh aussortieren
- Erfolgsversprechende Substanzen können gezielt weiterentwickelt werden
- Studien werden effizienter, weil die Wirkung direkt am lebenden Gehirn verfolgt wird
Gerade in einem Feld, in dem bisher viele klinische Studien gescheitert sind, könnte das entscheidend sein. „Wir können nun sehen, ob ein Medikament tatsächlich den Verlauf der Krankheit beeinflusst – und zwar nicht erst nach Wochen oder Monaten, sondern sofort“, erklären die Autoren der Studie.

Perspektiven auch für andere Krankheiten
Die Forscher verweisen darauf, dass die Methode nicht auf Alzheimer beschränkt bleiben muss. Auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen, die mit Eiweißablagerungen im Gehirn einhergehen – etwa Parkinson oder bestimmte Demenzformen – könnte das Verfahren wertvolle Einblicke liefern.
Noch ist die Technik allerdings nur in Tierversuchen erprobt. Bis zum Einsatz beim Menschen ist es ein weiter Weg. Vor allem die Frage, welche Farbstoffe sicher angewendet werden können, ist noch offen. Dennoch sehen Experten darin einen bedeutenden Fortschritt: Zum ersten Mal ist es möglich, den schleichenden Prozess der Plaque-Bildung im lebenden Gehirn direkt zu verfolgen.
Was das für Patienten bedeutet
Für Betroffene und ihre Familien ist das kein sofortiges Heilversprechen. Aber die Chancen steigen, dass neue Medikamente schneller entwickelt und auf ihre Wirksamkeit überprüft werden können. Jede Beschleunigung im Forschungsprozess kann am Ende den Unterschied machen, ob und wann eine Therapie auf den Markt kommt.
Die Möglichkeit, Alzheimer-Plaques beobachten zu können, verändert also nicht die Diagnose beim Patienten von heute – sie könnte aber den Patienten von morgen bessere Behandlungschancen eröffnen.
Kurz zusammengefasst:
- Alzheimer-Plaques sind Eiweißablagerungen im Gehirn, die Nervenzellen schädigen und als zentrales Kennzeichen der Krankheit gelten.
- Mit einer neuen Glasfaser-Technik lassen sich diese Alzheimer-Plaques erstmals im lebenden, wachen Gehirn von Tieren beobachten und ihr Verlauf über längere Zeit verfolgen.
- Das Verfahren ermöglicht schnellere und gezieltere Tests von Medikamenten und eröffnet auch Chancen für die Erforschung anderer Demenzformen.
Übrigens: Ein bislang unbekannter Zelltyp im Gehirn könnte erklären, warum Alzheimer-Betroffene schon früh die Orientierung verlieren. Mehr dazu in unserem Artikel.
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