Musiker leiden weniger – Neue Studie zeigt: Ihr Gehirn verarbeitet Schmerz anders
Das Gehirn von Musikern reagiert anders auf Schmerz: Wer regelmäßig Musik macht, entwickelt messbar mehr neuronale Stabilität.

Beim Musizieren ist höchste Präzision gefragt – und genau das verändert langfristig das Gehirn. Neue Studien zeigen, wie eng Übung und Schmerzverarbeitung zusammenhängen. © Pexels
Musik wirkt nicht nur auf unsere Sinne, sondern auch tief im Nervensystem. Menschen, die regelmäßig musizieren, zeigen im Gehirn nachweisbare Veränderungen – nicht nur im Gehör oder in der Motorik, sondern auch im Umgang mit Schmerz. Eine neue Studie aus Dänemark zeigt nun: Musiker empfinden Schmerzen schwächer, weil ihr Gehirn Reize anders verarbeitet als das von Nicht-Musikern. Daraus ergeben sich neue Therapiemöglichkeiten für Patienten mit chronischen Leiden.
Wie Musik das Gehirn verändert
Für die Studie untersuchten Forscher 39 Personen: 19 Musiker und 20 Menschen ohne musikalische Erfahrung. Alle erhielten eine kleine Injektion in einen Handmuskel. Der Wirkstoff sorgte für einige Tage für moderate Schmerzen, blieb aber ohne langfristige Wirkung.
Ziel war es, zu messen, wie sich das Gehirn durch den Schmerz verändert. Dazu nutzte das Team die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Diese Methode zeigt, wie gut das Gehirn Bewegungen steuern kann – abgebildet in sogenannten „Motor Maps“. Dabei handelt es sich um eine Art innere Landkarte, die exakt abbildet, welche Bereiche der Großhirnrinde für welche Bewegungen zuständig sind. Im Falle der Studie betrifft das die Hand. Je präziser diese Karte ausgeprägt ist, desto feiner lassen sich Handbewegungen steuern.
Musikerhirne bleiben trotz Schmerz stabil
Schon vor dem Eingriff zeigten sich Unterschiede: Musiker hatten kleinere und präzisere Motor Maps. Nach zwei Tagen Schmerzen schrumpften diese bei den Nicht-Musikern deutlich – bei den Musikern jedoch blieben sie weitgehend stabil. Auch das Schmerzempfinden fiel unterschiedlich aus. Musiker berichteten insgesamt von weniger Beschwerden.
Das Training wirkt wie ein Puffer
Je mehr Übungsstunden jemand angesammelt hatte, desto stabiler war die Gehirnaktivität. „Schon bevor der Schmerz ausgelöst wurde, zeigten die Musiker im Gehirn eine deutlich feinere Hand-Motor-Map“, so die Autoren. Offensichtlich schützt das regelmäßige Training nicht nur die Beweglichkeit – es beeinflusst auch, wie Schmerz im Gehirn verarbeitet wird.
Auch bei der Muskelaktivierung zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Forscher maßen, wie stark die Probanden ihre Handmuskulatur nach dem Schmerzreiz noch ansteuern konnten – also wie aktiv das Gehirn bestimmte Bewegungen weiterhin umsetzt. Musiker schnitten dabei deutlich besser ab: Selbst nach der Reizbelastung blieb ihre Muskelsteuerung stabil. Das Gehirn reagierte weniger empfindlich auf den Schmerzreiz und zeigte insgesamt robustere Aktivitätsmuster. Bei den Teilnehmern ohne musikalische Erfahrung war die Reizverarbeitung hingegen abgeschwächt – ihre Bewegungssteuerung wurde durch den Schmerz stärker beeinträchtigt.
Neue Wege in der Schmerztherapie
Diese Erkenntnisse könnten für die Schmerzmedizin wegweisend sein. Statt nur auf Medikamente zu setzen, ließen sich neue Programme entwickeln, die gezielt die Gehirnaktivität stärken – etwa durch regelmäßige, fein abgestimmte Bewegungen.
Vorstellbar sind Trainingsmethoden, die sich am Musikunterricht orientieren: Konzentration, Wiederholung, präzise Koordination. Ein Ansatz, der vor allem für Menschen mit chronischen Beschwerden interessant ist.
Auch im Alltag einsetzbar
Man muss kein Instrument beherrschen, um von diesem Prinzip zu profitieren. Den Experten zufolge kann jede komplexe, regelmäßig geübte Tätigkeit das Gehirn ähnlich formen kann.
Dazu gehören:
- Sportarten mit präzisen Bewegungen, wie Fechten oder Tanzen
- Handwerkliche Arbeiten wie Töpfern oder Holzschnitzen
- Regelmäßige Achtsamkeitsübungen, etwa durch Yoga oder Meditation
Diese Aktivitäten stärken nicht nur Körper und Geist – sie könnten auch helfen, das Schmerzempfinden langfristig zu beeinflussen.
Schmerz entsteht auch im Kopf
Schmerz ist kein rein körperliches Phänomen. Das Gehirn entscheidet mit, wie stark ein Reiz empfunden wird. Wenn die Bewegungsareale im Gehirn schrumpfen – wie bei den Nicht-Musikern – verstärken sich die Beschwerden. In der Studie heißt es dazu:
Langjähriges Training und Erfahrung können beeinflussen, wie wir Schmerz wahrnehmen.
Wer also sein Gehirn durch regelmäßige Übungen wie beim Musik machen formt, baut unbewusst ein Schutzsystem auf.
Kurz zusammengefasst:
- Musiker empfinden Schmerzen schwächer, weil ihr Gehirn durch jahrelanges Üben feinere Bewegungsmuster speichert und damit stabil bleibt – selbst unter Belastung.
- Je mehr Übungserfahrung jemand hat, desto robuster reagiert das Gehirn auf Schmerzreize – ein Effekt, der sich auch für Therapien bei chronischen Schmerzen nutzen lässt.
- Nicht nur Musik, sondern auch andere regelmäßig geübte, komplexe Tätigkeiten können das Gehirn stärken und helfen, Schmerzen besser zu verarbeiten.
Übrigens: Unser Gehirn steuert komplexe Handbewegungen mit erstaunlich wenigen Bausteinen – genauer gesagt mit nur 54 Grundmustern. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Pexels