Versteckte Schätze im Abwasser: Kläranlagen liefern wichtige Rohstoffe auf dem Weg zur Klimaneutralität
Kläranlagen sammeln nicht nur Dreck: Im Abwasser befinden sich auch wertvolle Materialien, die sich umweltfreundlich nutzen lassen.

Bioplastik aus Abwasser? Forscher des deutschen Fraunhofer-Instituts zeigen, was sich alles in Kläranlagen gewinnen lässt. © Unsplash
Kläranlagen gelten meist als graue Endstation für unser Schmutzwasser. Doch in Wahrheit sind sie Schatzkammern voller ungenutzter Rohstoffe: Im Abwasser stecken Substanzen, aus denen sich Dünger, Bioplastik und sogar Wasserstoff gewinnen lassen. Was bislang unbeachtet durch die Rohre floss, könnte künftig eine zentrale Rolle für den Klimaschutz spielen.
Erster Praxistest liefert wertvolle Daten
In Stuttgart-Büsnau läuft dafür ein Praxistest. Eine Pilot-Bioraffinerie im Lehr- und Forschungsklärwerk arbeitete 2024 über ein halbes Jahr unter Realbedingungen. Das Verbundprojekt „KoalAplan“ erprobte dort ein Verfahren, um marktfähige Produkte aus kommunalem Abwasser zurückzugewinnen, berichtet die Fraunhofer-Gesellschaft.
Zwei unterschiedliche Materialströme spielen hierbei eine Rolle:
- Aus dem Wasserstrom holen die Teams gelösten Stickstoff als Ammonium zurück.
- Aus dem Feststoffstrom gewinnen sie organischen Kohlenstoff für Biopolymere und Wasserstoff.
Stickstoff gezielt zurückholen und als Dünger einsetzen
Im Hauptstromverfahren trennen die Teams zunächst Feststoffe in der Vorklärung. Den gelösten Stickstoff holen sie dann nicht biologisch aus dem Wasser, sondern physikalisch: Zeolithe und Ionentauscher fangen Ammoniumionen ab, bevor sie verloren gehen.
Bei der Regeneration der Filter entsteht eine konzentrierte Ammoniumlösung, die Landwirte als Stickstoffdünger einsetzen können. So bleibt der Nährstoff im Kreislauf, und Kläranlagen gewinnen einen handelbaren Stoff zurück.
Mikroben wandeln Säuren in Bioplastik um
Der feste Anteil, der Primärschlamm, wird nicht wie üblich zu Methan vergärt. Stattdessen nutzt eine Bioraffinerie die Methode der Dunkelfermentation. Dadurch entsteht ein partikelfreies Hydrolysat mit Essig-, Propion- und Buttersäure.
Bestimmte Mikroorganismen nutzen die organischen Säuren anschließend als Energie- und Kohlenstoffquelle, um Polyhydroxyalkanoate (PHA) herzustellen – eine Art Bioplastik.

Dr. Pravesh Tamang, Themenfeldleiter-PHA und Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) erklärt: „Die Bakterien benötigen die organischen Säuren für ihr Wachstum und für die Herstellung der PHA“
Hohe Säurekonzentrationen bremsen jedoch viele Stämme. Damit die Kulturen nicht ausdünnen, setzt das Team auf ein Perfusionsverfahren mit Zellrückhaltung. Die Steuerung der Säurezufuhr bleibt dadurch flexibel, die Zelldichte hoch. Nach der Kultivierung folgt die Extraktion der PHA-Granulate aus den Bakterienzellen. So entstehen die Rohstoffe für Biopolymere direkt aus dem Abwasser.
Die Bilanz überzeugt: 97 Prozent des Kohlenstoffs aus den organischen Säuren wanderten in Biomasse und PHA.
Gewonnene Rohstoffe lassen sich vielseitig einsetzen – und sind besser fürs Klima
Einsatzfelder für dieses Material reichen von Einweg-Verpackungen und Mulchfolien über pharmazeutische Hilfsmittel bis hin zu Implantaten und biobasierten Beschichtungen. So erwächst ein Materialbaukasten für verschiedene Branchen.
Sogar Energiebausteine lassen sich gewinnen. Die mikrobielle Elektrolyse nutzt das Hydrolysat für Wasserstoff – ein weiterer Pfad, um aus kommunalen Stoffströmen nutzbare Produkte zu erzeugen.
Ein zusätzlicher Effekt: Die Verfahren mindern Emissionen. In klassischen Linien entsteht aus dem organischen Kohlenstoff meist Kohlendioxid. Der Bioraffinerie-Ansatz lenkt den Kohlenstoff in Wertstoffe.
Gleichzeitig gewinnen wir Rohstoffe, die helfen, erdölbasierte Stoffe zu ersetzen. Somit können die Klärwerke der Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten.
Dr. Pravesh Tamang
Kurz zusammengefasst:
- In Stuttgart-Büsnau zeigte eine halbjährige Pilot-Bioraffinerie, dass Kläranlagen aus kommunalem Abwasser wertvolle Rohstoffe gewinnen können: Ammonium-Dünger, PHA-Bioplastik und Wasserstoff.
- Dazu entfernen Zeolithe oder Ionentauscher Ammonium aus dem Wasserstrom (Düngerlösung), während der Feststoffstrom per Dunkelfermentation Hydrolysat für die PHA-Produktion liefert.
- Das Verfahren erreichte 97 Prozent Kohlenstoffnutzung und senkt CO2-Emissionen, weil Kohlenstoff in Wertstoffe statt in Abgas überführt wird.
Übrigens: Forscher der Technischen Universität Eindhoven haben in einer Studie einen vielversprechenden neuen Ansatz entdeckt, um Plastik zu recyceln. Mehr dazu in unserem Artikel.
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