So setzt das Gehirn tausende Handbewegungen aus 54 Grundmustern zusammen
Alltägliche Handlungen wirken selbstverständlich – doch das Gehirn nutzt dafür einen cleveren Trick. Forscher fanden 54 Muster, die alle Handbewegungen möglich machen.

Im Gehirn kombinieren 54 Bewegungsmuster Finger-, Hand- und Armbewegungen, um komplexe Handlungen präzise zu steuern. © DALL-E
Ein Glas Wasser greifen, einen Knopf schließen, eine Tür öffnen – Handbewegungen sind so selbstverständlich, dass wir kaum darüber nachdenken. Doch was dabei im Gehirn passiert, ist hochkomplex. Jede Handlung erfordert eine präzise Abstimmung von Fingern, Händen, Handgelenken und Armen. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher zu verstehen, wie das Gehirn diese Vielfalt an Bewegungen steuert – und welche Regionen dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Eine neue Untersuchung der Carnegie Mellon University und der Universität Coimbra zeigt nun: Das Gehirn nutzt offenbar eine Art Bewegungsalphabet, um diese Vielfalt zu steuern. Die Forscher konnten erstmals nachvollziehen, wie Handbewegungen im Gehirn in einzelne „Bausteine“ zerlegt und daraus unzählige Handlungen zusammengesetzt werden.
Gehirn steuert Handbewegungen über 54 Grundbausteine
Die Forscher identifizierten 54 Grundbausteine, sogenannte kinematische Synergien. Dabei handelt es sich um elementare Bewegungen von Fingern, Händen, Handgelenken und Armen. Aus diesen Bausteinen kombiniert das Gehirn alle Handlungen. Zentral ist dabei der linke supramarginale Gyrus (SMG), eine kleine Region knapp oberhalb und hinter dem linken Ohr.
Dieser Bereich arbeitet wie ein Bewegungsalphabet: Aus einer begrenzten Zahl an Basisbewegungen entstehen unzählige Kombinationen. So können wir völlig unterschiedliche Tätigkeiten ausführen, ohne jede einzelne Bewegung neu erlernen zu müssen.

Alltagsbewegungen neu betrachtet
Das Gehirn setzt bekannte Synergien flexibel zusammen, um neue Handlungen zu planen. So ähnelt die Handhaltung beim Schneiden mit einer Schere der beim Benutzen einer Zange, obwohl beide Werkzeuge unterschiedliche Zwecke haben. Der SMG erkennt diese Muster automatisch und aktiviert die passenden Bewegungen.
Diese Fähigkeit erklärt, warum wir Werkzeuge effizient einsetzen können, selbst wenn wir sie noch nie zuvor verwendet haben. Bewegungen passen sich schnell an und laufen unbewusst ab. Hier verbinden sich erlernte Fertigkeiten mit angeborenen Grundlagen.
Roboter lernen vom Gehirn
Die Studienergebnisse liefern praktische Anwendungsmöglichkeiten für Technologie und Robotik: Künftig könnten Interfaces entwickelt werden, die die Steuerung von Prothesen deutlich verbessern.
Studienautor Jorge Almeida erklärt:
Wenn wir diese Synergien direkt aus der neuronalen Aktivität ableiten können, könnten wir effizientere Gehirn-Maschine-Schnittstellen entwickeln, die es den Benutzern ermöglichen, Prothesen natürlicher, präziser und flexibler zu steuern.
So könnten künstliche Hände Bewegungen natürlicher ausführen. Auch Roboter könnten profitieren, indem sie menschliche Feinmotorik nachahmen. Systeme würden lernen, Bewegungen aus Grundmustern flexibel zusammenzusetzen und so viel präziser reagieren.
Neue Chancen für die Medizin
Auch für die Behandlung von Apraxie, einer Störung, bei der Betroffene Objekte zwar erkennen, sie aber nicht mehr richtig benutzen können, ergeben sich damit neue Ansätze. Häufig liegt die Ursache in einer Schädigung des SMG oder angrenzender Hirnregionen.
Therapien könnten künftig gezielt daran ansetzen, einzelne Synergien zu trainieren und wieder zu kombinieren. Auch für Schlaganfallpatienten ließe sich die motorische Rehabilitation individueller gestalten und so deutlich wirksamer machen.
Kurz zusammengefasst:
- Das Gehirn steuert Handbewegungen über 54 grundlegende Bewegungsmuster („kinematische Synergien“), die sich flexibel zu unzähligen Handlungen kombinieren lassen.
- Der linke supramarginale Gyrus (SMG) spielt dabei eine Schlüsselrolle, weil er die passenden Bewegungen automatisch auswählt und neue Handlungen effizient plant.
- Die Erkenntnisse eröffnen neue Chancen für Medizin und Robotik: Prothesen, Reha-Therapien und Roboter könnten menschliche Bewegungen künftig deutlich präziser nachbilden.
Übrigens: Während wir schlafen, arbeitet das Gehirn heimlich an der Energieversorgung und steuert dabei mehr, als bisher gedacht. Warum es nachts Fett verbrennt, um den Blutzucker stabil zu halten – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E