KI-Implantat macht Gedankenlesen möglich – Forscher bauen Passwort-Schutz ein

Ein Hirnimplantat übersetzt innere Sprache in Echtzeit. Eine neue Studie zeigt Chancen für Patienten und Risiken für die Privatsphäre.

Mit Passwortschutz: KI-Implantat macht Gedankenlesen möglich

Forscher melden erste Erfolge beim Entschlüsseln der inneren Stimme – Gedankenlesen gelingt mit rund 74 Prozent Genauigkeit. © DALL-E

Ein neues Implantat im Gehirn kann erstmals die innere Stimme von Patienten in Echtzeit auslesen. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz übersetzt es Signale aus dem motorischen Kortex in Wörter und Sätze. Die Studie stammt von der Stanford University und erschien Mitte August im Fachjournal Cell. Besonders auffällig: Damit keine privaten Gedanken unbeabsichtigt nach außen gelangen, mussten die Probanden zunächst ein Passwort denken – im Test war es das Kinderbuch-Zitat „Chitty-Chitty-Bang-Bang“.

Patienten mit schweren Sprachstörungen im Versuch

Vier Menschen nahmen an den Tests teil. Drei litten an Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer war nach einem Schlaganfall gelähmt. Manche konnten noch schwer verständlich sprechen, einer überhaupt nicht mehr. Sie erhielten Mikroelektroden-Implantate im motorischen Kortex – jenem Teil des Gehirns, der Bewegungen steuert und auch beim Sprechen aktiv ist.

Die Forscher zeichneten die Aktivität der Nervenzellen auf, während die Teilnehmer Wörter sprachen, versuchten zu sprechen oder sie nur innerlich dachten. Dabei zeigte sich, dass die Signale der inneren Stimme sehr ähnlich zu denen des gesprochenen Wortes sind. „Die innere Stimme ist im motorischen Kortex deutlich erkennbar und gedachte Sätze lassen sich in Echtzeit entschlüsseln“, heißt es in der Studie.

KI wandelt Gehirnsignale in Sprache

Ein KI-System lernte, diese Muster in Wörter zu übersetzen. Bei einem begrenzten Wortschatz von 50 Begriffen lag die Fehlerquote zwischen 14 und 33 Prozent. Selbst mit 125.000 möglichen Wörtern konnte das System noch Sätze decodieren – wenn auch mit deutlich höheren Fehlerquoten zwischen 26 und 54 Prozent.

Bemerkenswert war, dass in einigen Fällen das reine Gedankenlesen besser funktionierte als der Versuch, Wörter hörbar auszusprechen. „Die Genauigkeit beim Entschlüsseln innerer und gehörter Sprache erreichte oder übertraf die Werte des versuchten Sprechens“, schreiben die Studienautoren.

Eine Teilnehmerin nutzt das Gedankenlesen-Implantat: Oben steht der vorgegebene Satz, unten erscheint in Echtzeit die decodierte Version ihrer inneren Sprache. © Emory BrainGate Team
Eine Teilnehmerin nutzt das Gedankenlesen-Implantat: Oben steht der vorgegebene Satz, unten erscheint in Echtzeit die decodierte Version ihrer inneren Sprache. © Emory BrainGate Team

Gehirnsignale als Sprache: Was das KI-Implantat zum Gedankenlesen leisten kann

Für Menschen, die ihre Stimme verloren haben, ist die Entwicklung eine große Hoffnung. Ein funktionierendes Implantat könnte es ermöglichen, wieder zu kommunizieren – allein durch gedanklich gesprochene Worte. Studienleiterin Erin Kunz von der Stanford University erklärt:

Zum ersten Mal konnten wir verstehen, wie Gehirnaktivität aussieht, wenn man nur ans Sprechen denkt.

Damit könnte die Technik den Alltag vieler Patienten verändern: Sie bekämen wieder mehr Selbstständigkeit, könnten sich klarer äußern und am sozialen Leben teilnehmen.

Ungewolltes Mithören bleibt ein Risiko

Die Tests machten allerdings auch deutlich, dass das Implantat nicht nur gezielte Gedanken erkennt. Beim Zählen von Symbolen oder beim Merken von Reihenfolgen erschienen zufällige Wörter. Das zeigt, dass auch unbeabsichtigte innere Sprache sichtbar werden kann.

Um das zu verhindern, entwickelten die Forscher zwei Schutzstrategien:

  • Trainierte Algorithmen, die innere Sprache im Normalfall ignorieren.
  • Ein Passwort, das der Nutzer zuerst innerlich sprechen muss, bevor die Übersetzung startet.

Das gewählte Beispiel war ungewöhnlich, aber effektiv: „Chitty-Chitty-Bang-Bang“. Sobald ein Teilnehmer diesen Begriff dachte, begann das System zu arbeiten. Die Erkennungsquote lag bei fast 99 Prozent. „Wir zeigen zuverlässige Strategien, die verhindern, dass Sprach-Implantate unbeabsichtigt private innere Sprache entschlüsseln“, schreiben die Autoren.

Gedankenlesen per KI-Implantat bringt Nutzen, birgt aber auch Risiken

Vorteile:

  • Menschen ohne Sprachfähigkeit könnten wieder verständlich kommunizieren
  • Das System übersetzt auch ganze Sätze in Echtzeit
  • Die Privatsphäre bleibt durch Passwort-Schutz weitgehend gesichert

Risiken:

  • Fehlerquoten von bis zu 54 Prozent können zu Missverständnissen führen
  • Ungewollte Gedankenfragmente lassen sich nicht immer vermeiden
  • Patienten sind dauerhaft auf funktionierende Technik angewiesen
  • Ethische Fragen bleiben offen, etwa zur möglichen Überwachung

Spontane Gedanken lassen sich nicht entziffern

Laut den Forschen können nicht alle Formen des Denkens ausgelesen werden. Tagträume, Assoziationen oder persönliche Erinnerungen bleiben geschützt. „Der private innere Monolog unterscheidet sich wahrscheinlich zwischen Individuen und lässt sich möglicherweise gar nicht konkret aus dem motorischen Kortex entschlüsseln“, schreiben sie.

Das bedeutet: Die Technik kann gezielt eingesetzte innere Sprache nutzbar machen, das freie Denken bleibt aber privat.

Nächste Schritte in der Entwicklung

Noch arbeitet das System zu langsam und ungenau, um im Alltag eingesetzt zu werden. Manche Teilnehmer erreichten eine Erkennungsrate von nur knapp 50 Prozent. Das Team will nun weitere Hirnregionen einbeziehen und die Geschwindigkeit erhöhen.

Langfristig könnte daraus eine Neuroprothese entstehen, die ähnlich schnell funktioniert wie natürliche Sprache. Für Patienten wäre das ein entscheidender Fortschritt. Gleichzeitig wird die Gesellschaft klären müssen, wie sich die neue Technik sinnvoll nutzen lässt, ohne die Grenzen der Gedankenfreiheit zu überschreiten.

Unterschiedliche Wege zum Sprachersatz: Vom Gedankenlesen bis zur Simulation der Stimme

Neben dem Projekt aus Stanford zeigt auch eine Studie der University of California in Davis, wie unterschiedlich die Wege zum Sprachersatz sein können. Dort erhielt ein ALS-Patient Elektroden im Sprachzentrum, die Signale seiner inneren Sprache fast ohne Verzögerung in hörbare Worte verwandelten – inklusive Betonung und sogar einfacher Melodien.

Während das KI-Implantat aus Stanford den inneren Monolog decodiert und mit einem Passwort schützt, setzt das UC-Davis-System direkt bei den neuronalen Mustern für Laute an. Gemeinsam ist beiden Ansätzen das Ziel, Menschen ihre Stimme zurückzugeben – doch die Methoden unterscheiden sich: einmal wird das bloße Denken an Sprache entschlüsselt, einmal die direkte Steuerung der Sprechmuskeln simuliert.

Experten warnen vor Grenzen und Risiken beim Gedankenlesen

Nicht alle Forscher sehen das Gedankenlesen per Implantat unkritisch. Zwar spricht der Neurowissenschaftler Christian Herff von der Universität Maastricht von einem „fantastischen Fortschritt“, doch andere warnen vor überzogenen Erwartungen.

Evelina Fedorenko vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) sagt laut New York Times, dass viele spontane Gedanken gar nicht in klare Sätze gefasst sind: „Was sie aufzeichnen, ist größtenteils Müll.“ Auch Bioethiker wie Cohen Marcus Lionel Brown von der University of Wollongong erinnern daran, dass es technische Schutzmechanismen braucht, damit die innere Stimme nicht unfreiwillig preisgegeben wird.

Kurz zusammengefasst:

  • Ein KI-Implantat kann innere Sprache aus dem Gehirn entschlüsseln und ermöglicht so erstmals Gedankenlesen mit bis zu 74 Prozent Genauigkeit.
  • Für Patienten mit ALS oder nach Schlaganfällen eröffnet die Technik neue Chancen zur Kommunikation, bleibt aber noch fehleranfällig.
  • Ein Passwort-Schutz verhindert ungewolltes Mithören und soll die Privatsphäre der Betroffenen sichern.

Übrigens: Während Forscher in Stanford die innere Stimme direkt entschlüsseln und so Gedankenlesen erproben, setzt ein Team der UC Berkeley auf Signale für Sprechbewegungen – und lässt Patienten sogar in ihrer eigenen Stimme sprechen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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