Nur im Schwarm aufmerksam – Tauben reagieren auf viele Blicke

Das Gruppenverhalten von Tauben überrascht: Erst viele Blicke lösen eine Reaktion aus – nicht Neugier, sondern Reflex steuert sie.

Gruppenverhalten bei Tauben: Nur viele Blicke zählen

Mehrere Tauben richten ihren Blick gleichzeitig in eine Richtung – erst dann reagieren ihre Artgenossen sichtbar darauf. © Unsplash

Ein Blick reicht oft aus, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wenn auf einem Platz mehrere Menschen gleichzeitig nach oben schauen, folgen die meisten Passanten ihrem Blick. Dieses Verhalten ist bekannt – bei uns Menschen. Doch wie reagieren Tiere auf den Blick ihrer Artgenossen? Forscher der Universität Konstanz und der Kyoto University haben das Gruppenverhalten von Tauben untersucht und dabei überraschende Erkenntnisse gewonnen.

Je mehr Tauben hinschauen, desto mehr folgen

Für die Studie beobachteten die Forscher Tauben in einem Experiment in einer speziell ausgerüsteten Halle am Bodensee. Den Tieren wurde ein bewegliches Objekt gezeigt – manchmal nur einer Taube, manchmal drei, fünf oder einer größeren Gruppe.

Eine andere Gruppe hatte keinen Blick auf das Objekt. Präzise Kameras erfassten jede Kopfbewegung in Millisekunden. Das Ergebnis: Schaut nur eine Taube, bleiben die anderen meist passiv. Schauen jedoch mehrere in dieselbe Richtung, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Tiere folgen.

Keine Schwelle, sondern stetiger Anstieg

Beim Menschen setzt die Reaktion oft erst dann ein, wenn mehrere Personen gleichzeitig in dieselbe Richtung blicken. In der Wissenschaft spricht man dabei vom sogenannten Quorum-Effekt – ein Schwellenwert, der überschritten werden muss.

Bei Tauben dagegen zeigte sich ein anderes Muster: Je mehr Artgenossen schauten, desto mehr folgten – ganz ohne feste Grenze. Die Reaktion stieg gleichmäßig an, unabhängig von einer bestimmten Mindestanzahl. Verhaltensforscher Dr. Fumihiro Kano erklärt: „Sie reagieren auf ein kollektives Signal.“ Je mehr Tiere hinschauen, desto deutlicher wird dieser Reiz.

Tauben folgen reflexartig

Die Tiere verändern ihre Position nicht, um besser sehen zu können. Sie schauen nicht aus Neugier oder bewusster Einschätzung, sondern reagieren reflexhaft. Verhaltensforscherin Mathilde Delacoux sagt dazu: „Ich würde nicht annehmen, dass ihr Verhalten mehr bedeutet, als einfach nur der Blickrichtung zu folgen.“ Anders als Menschen stellen Tauben keine Vermutungen über den Grund des Blicks an.

Tauben zeigen, wie Schwarmverhalten funktioniert

Tauben gelten oft als unspektakuläre Stadtvögel. Doch genau ihre Eigenschaften machen sie ideal für Verhaltensforschung. Sie leben in größeren Gruppen, bewegen sich eng beieinander und beobachten einander regelmäßig.

Viele Tiere entwickelten sich in Gruppen. Um richtig zu verstehen, wie sie denken und miteinander kommunizieren, müssen wir sie auch als Gruppen erforschen.

Dr. Fumihiro Kano

Leben im Schwarm bedeutet: Einzelne Signale gehen unter. Erst wenn mehrere Individuen denselben Reiz senden, entsteht eine Reaktion in der Gruppe. Dieses Prinzip lässt sich auch auf Menschen übertragen. Gruppendruck, Massenreaktionen und öffentliche Aufmerksamkeit funktionieren oft nach ähnlichen Regeln.

Kurz zusammengefasst:

  • Tauben folgen der Blickrichtung ihrer Artgenossen nur dann, wenn mehrere gleichzeitig schauen – das Gruppenverhalten von Tauben entscheidet über Aufmerksamkeit.
  • Im Gegensatz zum Menschen reagieren sie ohne festen Schwellenwert: Je mehr Tiere blicken, desto stärker der Effekt – ein kontinuierlicher Anstieg.
  • Die Reaktion erfolgt reflexartig, nicht bewusst – das macht Tauben besonders wertvoll für die Forschung zu sozialer Wahrnehmung in Tiergruppen.

Übrigens: Kinder richten ihren Blick auf völlig andere Dinge als Erwachsene – denn erst mit der Zeit lernt das Gehirn, wohin sich das Hinsehen lohnt. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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