Diagnose aus dem Ohr: Ohrenschmalz liefert Hinweise auf schwere Krankheiten

Ohrenschmalz speichert Stoffwechselspuren und kann Hinweise auf Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Alzheimer oder Parkinson liefern.

Ohrenschmalz verrät frühe Anzeichen für ernste Krankheiten

Wissenschaftler analysieren Ohrenschmalz auf chemische Spuren – ein einfacher Abstrich könnte künftig Hinweise auf Krankheiten wie Parkinson liefern. © Vecteezy

Es ist klebrig, orange – und meist eher lästig als nützlich. Doch genau das vermeintlich nutzlose Körpersekret Ohrenschmalz könnte künftig dabei helfen, schwere Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Alzheimer frühzeitig zu erkennen. Forscher sehen in Cerumen, wie das Sekret auch genannt wird, eine Art Langzeitarchiv unseres Stoffwechsels. Das könnte besonders Menschen helfen, die schon länger unter ungeklärten Beschwerden leiden und bislang keine Diagnose erhalten haben. Denn anders als Blut oder Urin speichert Ohrenschmalz Informationen über den Körper wochen-, monate- oder sogar jahrelang.

Krankheiten lassen sich im Ohrenschmalz früh erkennen – ganz ohne Nadel

2019 entdeckten Forscher in einer Studie bei 52 Krebspatienten insgesamt 27 auffällige Moleküle im Ohrenschmalz. Anhand dieser Stoffe ließ sich eindeutig erkennen, wer erkrankt war – allein durch die Analyse der Ohrsekrete, wie die BBC berichtet.

Das Ziel der Forscher: ein einfacher, schmerzfreier Test – ähnlich einem Abstrich – der:

  • frühzeitig Stoffwechselstörungen erkennt
  • auf erste Hinweise bei Krebs, Alzheimer oder Parkinson anspringt
  • regelmäßig durchgeführt werden kann, etwa alle sechs Monate

„Krebs besteht zwar aus vielen Erkrankungen“, sagt Studienleiter Antoniosi Filho, „aber biochemisch läuft immer derselbe Prozess ab – und den kann man im Cerumen erkennen“, so der Wissenschaftler laut BBC.

Fette im Ohrenschmalz signalisieren drohende Krankheiten

Warum gerade Ohrenschmalz? Weil es fettlösliche Stoffe speichert – und genau da beginnen viele Erkrankungen. Störungen im Fettstoffwechsel sind oft erste Warnzeichen für:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Diabetes
  • Tumorwachstum

„Ohrenschmalz ist extrem fettreich“, sagt Chemikerin Rabi Ann Musah. „Und Fette verändern sich als Erste.“ Wer also nur auf wasserlösliche Stoffe im Blut schaut, sieht laut Experten „nur die halbe Wahrheit“.

Ahornsirup-Geruch kann Leben retten

Manche Krankheiten hinterlassen im Ohrenschmalz sogar einen auffälligen Geruch – zum Beispiel die seltene Ahornsirupkrankheit, eine angeborene Stoffwechselstörung bei Neugeborenen.

  • Das Ohrenschmalz riecht bereits wenige Stunden nach der Geburt süßlich – ähnlich wie Sirup
  • Ärzte können damit schnell reagieren, bevor die Krankheit neurologische Schäden verursacht

Auch bei Morbus Ménière – einer Erkrankung mit Schwindel, Hörverlust und Übelkeit – zeigen sich typische Veränderungen im Cerumen. „Viele Betroffene können nicht mehr alleine Auto fahren“, erklärt Musah. Im Ohr lassen sich drei Fettsäuren nachweisen, die bei der Diagnose helfen.

Auch die Genetik mischt mit – nasses oder trockenes Ohrenschmalz?

Ein Gen namens ABCC11 entscheidet, ob das Ohrenschmalz nass oder trocken ist.

  • In Europa und Afrika: meist gelblich, klebrig – „nass“
  • In Ostasien: grau, krümelig – „trocken“

Spannend dabei: Die Genvariante beeinflusst auch, ob Menschen unter den Achseln riechen – oder eben nicht.

Studien legen nahe, dass Menschen mit nassem Cerumen ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben könnten. Besonders auffällig: In einer Studie von 1971 hatten kaukasische, afroamerikanische und auch deutsche Frauen, die in den USA lebten und nasses Cerumen aufwiesen, ein bis zu vier Mal höheres Risiko, an Brustkrebs zu sterben – verglichen mit Frauen ostasiatischer Herkunft mit trockenem Cerumen.

Das wirft Fragen auf – etwa, ob genetische Unterschiede in Verbindung mit Umweltfaktoren wie Ernährung oder Lebensstil das Risiko beeinflussen. Spätere Studien in Deutschland, Australien und Italien konnten diesen Zusammenhang zwar nicht bestätigen, allerdings gibt es dort auch nur sehr wenige Frauen mit dem Gen für trockenes Cerumen.

Auch Diabetes, Covid und Herzprobleme hinterlassen Spuren

Wer an Diabetes leidet – egal ob Typ 1 oder 2 – hat oft veränderte Stoffwechselwerte. Diese lassen sich auch im Ohrenschmalz finden. Erste Tests zeigen zudem: Auch bestimmte Herzkrankheiten und sogar eine Covid-Infektion können Spuren im Cerumen hinterlassen.

Einige Vorteile auf einen Blick:

  • schmerzfreie Probenentnahme, da kein Blut abgenommen werden muss
  • dauerhafte Speicherung von Stoffwechselprodukten – auch wenn die Symptome längst verschwunden sind
  • früher Nachweis von biochemischen Veränderungen, bevor andere Tests anschlagen

„Im Ohrenschmalz gibt es kaum Austausch“, erklärt Biochemiker Bruce Kimball laut BBC. „Was sich dort ablagert, bleibt. Für uns ist das ein wertvoller Speicher.“

Auch frühe Anzeichen für Parkinson lassen sich im Ohr entdecken

Auch aktuelle Untersuchungen widmen sich dem orangen Körpersekret. Ein Forschungsteam aus China hat herausgefunden, dass bestimmte Duftstoffe im Ohrenschmalz erste Hinweise auf Parkinson geben könnten – noch bevor die Krankheit klinisch auffällt.

In der Studie, die Ende Mai 2025 erschien, wurden bei über 200 Teilnehmern vier chemische Verbindungen identifiziert, die bei Parkinson-Patienten in auffälliger Konzentration vorkamen. Mithilfe dieser Substanzen entwickelte das Team ein KI-gestütztes Analysemodell, das in ersten Tests eine Trefferquote von über 94 Prozent erreichte. Ziel ist ein einfacher Abstrich aus dem Gehörgang – als schnelles, schmerzloses Verfahren zur Früherkennung.

Ein unscheinbares Sekret mit großem Potenzial

Forscher arbeiten bereits an Testverfahren, die künftig in Arztpraxen oder sogar zuhause angewendet werden könnten. Ziel ist ein „Cerumenogramm“ – ein Stoffwechselprofil aus dem Ohrenschmalz.

Musah bringt es auf den Punkt: „Ohrenschmalz ist mehr als Dreck – es erzählt die Geschichte deines Körpers.“ Wer künftig nur auf Blutwerte setzt, könnte wichtige Frühwarnzeichen übersehen. Cerumen könnte zur neuen Informationsquelle werden – direkt aus dem Ohr.

Kurz zusammengefasst:

  • Ohrenschmalz enthält fettlösliche Stoffwechselprodukte, die sich über lange Zeiträume im Körper anreichern – und wichtige Hinweise auf Krankheiten geben können.
  • Forscher fanden im Cerumen spezifische Moleküle, die auf Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Alzheimer und Parkinson hinweisen – sogar vor ersten Symptomen.
  • Neue Analyseverfahren, teils mit KI-Unterstützung, machen schmerzfreie Diagnosen per Ohrabstrich denkbar – ganz ohne Blut oder bildgebende Verfahren.

Übrigens: Ein neues KI-Tool erkennt Alzheimer und andere Demenzformen mit einem einzigen Hirnscan – schnell, präzise und schon im Frühstadium. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Vecteezy

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