„Planetarische Müllabfuhr“ – So viel CO2 muss bis 2050 entfernt werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten

Wie viel CO2 dürfen wir künftig entfernen? Forscher zeigen, warum klare Vorgaben nötig sind, um Klima, Umwelt und Wirtschaft zu schützen.

Neue Vorgabe nötig: Wie die CO2-Entnahme gesteuert werden soll

Klimaplantagen zur CO2-Entnahme könnten wertvolle Wälder verdrängen. © DALL-E

Wer heute über Klimaschutz spricht, denkt meist an Windräder, Solarzellen und Elektroautos. Doch die größte Herausforderung bleibt: Bereits ausgestoßenes CO2 wieder aus der Luft zu holen. Ohne diese sogenannte CO2-Entnahme lassen sich die Klimaziele kaum erreichen. Genau hier setzt eine neue Modellstudie an und liefert eine zentrale Botschaft: Nur eine klare politische Vorgabe für die CO2-Entnahme bringt die notwendige Sicherheit, um die Klimakrise wirksam zu bekämpfen.

Warum die CO2-Entnahme eine eigene Vorgabe braucht

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat in einer umfassenden Untersuchung analysiert, wie sich die globale Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius begrenzen lässt. Dabei nutzten die Forscher das eigene Bewertungsmodell REMIND, das technologische Entwicklungen, wirtschaftliche Prozesse und Klimawirkungen miteinander verbindet. Im Fokus stand die Frage: Soll der CO2-Markt allein entscheiden, wie viel CO2 eingespart und wie viel aus der Atmosphäre entfernt wird? Oder braucht es für die CO2-Entnahme ein eigenes Ziel?

Markt stößt schnell an seine Grenzen

Auf den ersten Blick erscheint es logisch, alles dem Markt zu überlassen. Dort, wo Vermeidung teurer wird, springt die CO2-Entnahme ein. Doch in der Praxis funktioniert das oft nicht zuverlässig. Jessica Strefler, Leiterin des Carbon-Management-Teams am PIK, bringt es auf den Punkt: „Den Markt entscheiden zu lassen, wie viel an Emissionen vermieden und wie viel durch Entnahmen kompensiert wird, ist theoretisch bestechend – aber in der Praxis könnte das zumindest auf kurze und mittlere Sicht problematische Schwächen aufweisen.“

Wenn CO2-Entnahme zur günstigen Alternative wird, besteht die Gefahr, dass weniger Emissionen vermieden werden. Damit verschiebt sich die Verantwortung auf spätere Generationen.

Klimaplantagen verschärfen Nutzungskonflikte

Gleichzeitig droht eine Überlastung von Umweltressourcen, etwa durch sogenannte Klimaplantagen – im Fachjargon als BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) bezeichnet. Das sind großflächige Anbauflächen für schnell wachsende Pflanzen, die zur CO2-Entnahme genutzt werden. Die Idee: Pflanzen wachsen, nehmen CO2 auf, werden verbrannt und das CO2 eingesammelt und gespeichert. Allerdings zeigen PIK-Studien, dass solche Plantagen „innerhalb planetarer Belastungsgrenzen“ nur begrenztes Potenzial haben. Außerdem verschlingen sie enorme Mengen an Land und Wasser. Dafür müssen Wälder gerodet und Äcker umgewandelt werden.

Die Wissenschaftler des PIK warnen: Werden Entnahmemengen durch Klimaplantagen zu hoch angesetzt, leidet nicht nur der Wald, sondern auch die Landwirtschaft. Schon jetzt kämpfen viele Regionen mit Wassermangel und sinkender Bodenfruchtbarkeit. CO2-Entnahme kann also selbst zum Problem werden, wenn sie nicht sauber gesteuert wird.

Eine politisch festgelegte Vorgabe für die CO2-Entnahme bringt einen wichtigen Vorteil: Unternehmen und Investoren erhalten mehr Planungssicherheit. Nur wer weiß, wie hoch der Bedarf an Entnahmetechnologien in Zukunft ist, wird bereit sein, Milliarden in neue Anlagen zu stecken.

Die Politik sollte das Entnahmeziel genügend ambitioniert wählen, damit dringend benötigte Investitionen in entsprechende Technologien realisiert und der Hochlauf der Entnahmen sichergestellt werden.

Anne Merfort, Leitende Autorin der Studie

Investitionen hängen an klaren Vorgaben

Zugleich mahnt Merfort zur Vorsicht: „Dennoch sollte die Politik unbedingt vermeiden, den Beitrag der Entnahmen zu hoch zu gewichten und dadurch die Dekarbonisierung zu unterminieren.“ Mit anderen Worten: Es darf kein Freifahrtschein für klimaschädliches Verhalten entstehen, nur weil man später vermeintlich alles wieder aus der Luft holen kann.

Die gute Nachricht: Diese zusätzliche politische Steuerung kostet kaum mehr. Nach Berechnungen des PIK liegen die Mehrkosten bei unter zehn Prozent im Vergleich zu einem System, das allein auf Marktmechanismen setzt. Für die Volkswirtschaften sind das vertretbare Summen – vor allem, wenn man bedenkt, welche Schäden ungebremster Klimawandel verursachen könnte.

Stabile Preise statt riskanter Schwankungen

Ein weiterer Vorteil klarer Entnahmeziele: Sie verhindern starke Preisschwankungen am CO2-Markt. Gerade für Unternehmen, die langfristig planen müssen, können stabile Rahmenbedingungen den Unterschied zwischen Investition und Rückzug bedeuten. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts und Co-Autor der Studie, erklärt: „Wir brauchen marktwirtschaftlich umgesetzte und in der Höhe klug austarierte Entnahmeziele auf EU-Ebene – mit Blick auf Nachhaltigkeit nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig mit Blick auf Investitionen und technischen Fortschritt.“

Langfristig wird die CO2-Entnahme sogar noch wichtiger. Nach Einschätzung der Forscher wird die „planetarische Müllabfuhr“, wie Edenhofer sie nennt, nach 2050 zur entscheidenden Säule im Klimaschutz. Denn selbst wenn die Emissionen dann auf null gesenkt sind, bleibt die Aufgabe, frühere Emissionen rückgängig zu machen.

Planetare Müllabfuhr braucht weltweite Abstimmung

Doch diese Aufgabe wird gewaltig. Schon heute rechnen die Forscher damit, dass bei einem gemeinsamen CO2-Preis bis 2050 weltweit etwa sieben Milliarden Tonnen CO2 jährlich aus der Luft geholt werden müssten. Eine Menge, die gewaltige Ressourcen beansprucht und politisch präzise gesteuert werden muss, um nicht neue Umweltkrisen auszulösen.

Die Kernbotschaft der Potsdamer Studie: Ohne eine klug austarierte Vorgabe für die CO2-Entnahme geraten sowohl Umwelt als auch Wirtschaft in gefährliches Fahrwasser. Nur durch eine getrennte Steuerung der CO2-Entnahmen neben der Emissionsminderung bleiben die Klimaziele erreichbar – verlässlich, bezahlbar und nachhaltig.

Kurz zusammengefasst:

  • Die CO2-Entnahme wird unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen, darf aber nicht dem Markt allein überlassen bleiben, da sonst Umweltressourcen wie Land und Wasser überlastet werden könnten.
  • Klare politische Vorgaben für die CO2-Entnahme schaffen Planungssicherheit für Investoren und verhindern, dass die eigentliche Reduktion von Emissionen vernachlässigt wird.
  • Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung verursacht diese Steuerung nur geringe Mehrkosten von unter zehn Prozent und bleibt damit wirtschaftlich tragbar.

Übrigens: Forscher testen Ton als natürlichen CO2-Speicher. Das Material könnte günstig und effizient helfen, Emissionen direkt einzufangen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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