Ampel wird zur Jagdwaffe – Wie ein Habicht sich an die Stadt anpasst
Eine ungewöhnliche, clevere Form der Anpassung: Ein Habicht nutzt Ampelsignale und wartende Autos für seine Jagd in der Stadt.

Ein seltenes Zusammenspiel von Wildtier und urbanem Alltag (Symbolbild). © DALL-E
Erst ist da nur ein Knopfdruck. Dann das bekannte Piepsen und wenig später eine Schlange wartender Autos. Was für Fußgänger den Weg freigibt, wird für einen Habicht zur perfekten Deckung. In einer Stadt im US-Bundesstaat New Jersey hat ein junger Greifvogel genau das begriffen und sein Verhalten angepasst. Die Beobachtung stammt von Dr. Vladimir Dinets, Biopsychologe an der University of Tennessee.
Die Geschichte beginnt unscheinbar: Morgens gegen halb acht, dichter Berufsverkehr, ein Baum an der Straße, darin sitzt ein Rundschwanzhabicht (Astur cooperii). Der mittelgroße Habicht, in Nordamerika heimisch, wartet. Sobald genug Autos an der roten Ampel stehen, fliegt er in Bodennähe los, kreuzt zwischen Stoßstangen und greift gezielt nach Vögeln, die sich an Brotkrumen auf einem Vorgartenrasen bedienen.
Habicht hört den Ton – und weiß, was kommt
Der Clou: Der Habicht taucht immer genau dann auf, wenn das akustische Signal für sehbehinderte Passanten ertönt. Dieses Tonsignal kündigt eine besonders lange Rotphase an und damit eine längere Autoschlange. Das Tier nutzt die Fahrzeuge als Sichtschutz. Sobald die Kolonne lang genug ist, startet es den Angriff.
„Der Habicht reagierte auf das Signal, obwohl noch gar keine Autoschlange da war“, sagt Dinets. „Er wusste offenbar, dass sie gleich entstehen würde.“ Für den Wissenschaftler ist das ein klarer Hinweis darauf, dass der Vogel das Zusammenspiel von Ton, Ampel und Verkehr verstanden hat.
Anpassung mit System
Der Greifvogel fliegt nie spontan los. Er taucht zuerst im Baum vor Hausnummer 11 auf, bleibt dort kurz verborgen und wartet, bis die Autos bis zu Hausnummer 8 reichen. Dann folgt ein Tiefflug entlang des Bürgersteigs, eine abrupte Wendung unter einem weiteren Baum, der Sprung zwischen zwei Fahrzeugen und der Angriff auf das Ziel: meist Spatzen oder Tauben, die sich vor Hausnummer 2 tummeln.

Die Beutetiere sammeln sich dort, weil die Hausbewohner regelmäßig draußen essen und Essensreste hinterlassen. An trockenen Tagen sind sie fast immer da und ein gefundenes Fressen für den Habicht.
Stadt erfordert Köpfchen und präzise Navigation
Der Vogel sieht seine Beute vor dem Abflug nicht. Die Kolonne verdeckt den Blick. Damit der Angriff gelingt, braucht es eine exakte innere Karte und die Fähigkeit, Wege zu planen. Das sei, so Dinets, eine „beeindruckende geistige Leistung für ein so junges Tier“.
Solche Anpassungen sind für Großvögel in Städten überlebenswichtig. Glasfassaden, Stromleitungen, dichter Verkehr – die Risiken sind hoch. Wer sich behaupten will, braucht schnelle Entscheidungen, gute Orientierung und Mut.
Vogel lernt schneller als gedacht
Der beobachtete Habicht war erst wenige Wochen in der Stadt. Trotzdem hatte er die Signale und Muster blitzschnell erkannt. In der Folgesaison tauchte erneut ein Habicht am selben Ort auf, diesmal mit adultem Gefieder. Dinets ist überzeugt: Es war derselbe Vogel. „Die Methode war identisch.“
Sobald jedoch das Tonsignal an der Ampel ausfiel und die Hausbewohner wegzogen, blieben auch die Vögel fern. Seitdem wurde kein Habicht mehr gesehen.

Anpassung als Schlüssel zur Jagd in der Stadt
Rundschwanzhabichte gelten als wendige und lernfähige Jäger. Sie nutzen gerne Deckung, ob Bäume oder Bushaltestellen. Doch ein Habicht, der akustische Ampelsignale mit Verkehrsverhalten kombiniert? Das ist neu.
Für viele Tiere ist die Stadt ein Albtraum. Dieser Habicht nutzt sie als Spielfeld. Er zeigte, wie schnell Wildtiere lernen, mit dem Menschen und seiner Technik zu leben und sie für sich zu nutzen.
Kurz zusammengefasst:
- Ein junger Habicht hat gelernt, akustische Ampelsignale mit langen Rotphasen und Autokolonnen zu verknüpfen und sie gezielt als Deckung für seine Jagd zu nutzen.
- Der Vogel nutzte eine exakte Route, die durch parkende Autos und einen Baum führte, um unbemerkt auf Futtervögel zu stoßen, die sich regelmäßig vor einem Wohnhaus versammelten.
- Diese Verhaltensweise zeigt, wie schnell und intelligent sich Wildtiere an urbane Lebensräume anpassen können – selbst unter komplexen Bedingungen wie Straßenverkehr.
Übrigens: Nicht nur Habichte arrangieren sich mit dem Großstadttrubel – auch Eichhörnchen zeigen erstaunliche Anpassungskunst im Schatten von Mensch und Mieze. Wie sie trotz ständiger Bedrohung durch Katzen ihren Alltag meistern – mehr in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E