Gletscherverlust lässt sich nicht mehr aufhalten – selbst wenn wir das Klima retten
Auch wenn die Temperaturen wieder sinken, bleibt der Eisverlust dauerhaft – und Gletscher liefern für lange Zeit viel weniger Wasser.

Der Vatnajökull ist der größte Gletscher Islands – auch er könnte durch temporäre Überschreitungen der 1,5-Grad-Grenze dauerhaft an Masse verlieren. © Unsplash
Selbst wenn die Menschheit das Ruder noch herumreißt und die globale Temperatur wieder auf das 1,5-Grad-Ziel senkt: Für die Gletscher kommt diese Kehrtwende zu spät. Neue Berechnungen zeigen, dass viele Eismassen bereits unumkehrbar verloren sind – mit Folgen, die sich über Jahrhunderte ziehen werden. Besonders betroffen sind nicht nur entlegene Regionen, sondern auch Gebiete, in denen Gletscher lebenswichtige Wasserlieferanten sind.
Forscher der Universität Bristol und der Universität Innsbruck haben erstmals weltweit berechnet, wie sich alle Gletscher bis zum Jahr 2500 entwickeln – unter der Annahme, dass die Erde die 1,5-Grad-Grenze vorübergehend deutlich überschreitet, bevor sie später wieder sinkt. Das Ergebnis ist eindeutig: Eine solche Überschreitung hätte für Gletscher weltweit langfristige und unumkehrbare Folgen.
Überschreitet die Erde die 1,5 Grad, ist der Schaden kaum rückgängig zu machen
Wird der Temperaturanstieg nur vorübergehend auf 3 Grad erhöht und erst ab dem Jahr 2300 wieder auf 1,5 Grad gesenkt, verlieren die Gletscher bis 2500 rund 11 Prozent mehr Masse als in einem Szenario mit stabilen 1,5 Grad. In manchen Regionen beträgt der Mehrverlust sogar bis zu 16 Prozent.
„Selbst wenn die globale Erwärmung heute bei 1,2 Grad gestoppt werden könnte, würden die Gletscher bis zum Jahr 2500 rund 30 Prozent ihrer Masse verlieren“, erklärt Klimaforscher Fabien Maussion. Das allein entspräche einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels um 9 Zentimeter – mit weitreichenden Konsequenzen für Küstenstädte weltweit.
Gletscher in flachen Regionen schmelzen unaufhaltsam weiter
Besonders dramatisch fällt der Ausblick für Regionen mit flacheren Gletschern aus, etwa in Alaska, Grönland oder der russischen Arktis. Dort reagieren die Gletscher besonders träge auf Veränderungen des Klimas. In diesen Regionen setzt sich der Eisverlust voraussichtlich bis zum Jahr 2500 fort – selbst wenn die Temperaturen wieder sinken.
In steileren Regionen wie dem Himalaya oder den Alpen sieht es etwas anders aus. Hier könnten Gletscher nach einem Temperaturrückgang theoretisch wieder wachsen. Doch das würde Jahrhunderte dauern. Und: Diese Regionen machen nur etwa 5 Prozent der weltweiten Gletschermasse aus.
Wenn der Gletscher schmilzt, versiegt später das Wasser
Die Gletscherschmelze hat auch Folgen für die Wasserversorgung. In vielen Gebirgen liefern Gletscher entscheidende Mengen Schmelzwasser – etwa in der Trockenzeit. Doch durch das temporäre Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze verändert sich das Abflussverhalten stark.
Zunächst steigt der Wasserfluss, weil das Eis schneller schmilzt („Peak Water“). Doch danach folgt ein langes Tief: Der Gletscher beginnt, wieder Wasser als Eis zu speichern – der Abfluss sinkt, in manchen Regionen für Jahrhunderte. Die Forscher nennen das „Trough Water“.
Viele Regionen müssen mit weniger Wasser rechnen
„In etwa der Hälfte der untersuchten Gebirgsregionen sinkt der Gletscherabfluss nach einem Overshoot-Szenario über Jahrzehnte oder Jahrhunderte unter das ursprüngliche Niveau“, sagt Studienleiterin Lilian Schuster. Besonders stark sei dieser Effekt in trockenen Regionen mit hohem Wasserbedarf.
Ein Extrembeispiel ist das chilenische Rapel-Becken. Hier erwarten die Forscher über 300 Jahre mit stark reduziertem Schmelzwasser – im Extremfall mit bis zu 50 Prozent weniger Wasser in der Trockenzeit. Auch in Teilen Asiens und Europas zeigt sich dieses Muster.
Der Beitrag zum Meeresspiegel bleibt – selbst bei sinkenden Temperaturen
Was viele unterschätzen: Selbst wenn die Gletscher wieder wachsen, ist der bisherige Masseverlust nicht rückgängig zu machen. Das geschmolzene Wasser ist längst in den Ozeanen angekommen. Der Meeresspiegel bleibt erhöht – dauerhaft.
„Der Beitrag der Gletscher zum Meeresspiegelanstieg ist nie negativ“, so die Studienautoren. Und je länger die Welt wartet, desto größer wird dieser Beitrag. Das bedeutet auch: Wer heute Emissionen nicht reduziert, entscheidet mit über die Lebensbedingungen künftiger Generationen.
Jeder Zehntelgrad zählt – für Wasser, Eis und Menschen
Gletscher sind mehr als nur Eis. Sie sichern die Wasserversorgung von Millionen Menschen, stabilisieren Ökosysteme und speichern Süßwasser. Die neue Studie macht deutlich, dass der Verlust dieser Eismassen nicht nur ein Umweltproblem ist – sondern eine globale Frage von Versorgung, Sicherheit und Gerechtigkeit.
„Wenn wir die 1,5 Grad nur vorübergehend überschreiten, ist der Schaden für Jahrhunderte festgeschrieben“, sagt Fabien Maussion. „Ein Großteil lässt sich nicht einfach rückgängig machen – auch wenn die Temperaturen später wieder sinken.“
Kurz zusammengefasst:
- Selbst wenn die Erderwärmung künftig wieder auf 1,5 Grad sinkt, bleibt der Großteil des Gletscherschwunds dauerhaft – viele Gletscher können sich nicht mehr erholen.
- In zahlreichen Regionen fließt nach dem sogenannten „Peak Water“ jahrzehntelang weniger Schmelzwasser („Trough Water“) – mit Folgen für Trinkwasser und Landwirtschaft.
- Der Beitrag der Gletscher zum Meeresspiegelanstieg lässt sich nicht umkehren – je stärker das Klimaziel überschritten wird, desto größer sind die langfristigen Verluste.
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