Klimawandel in den Alpen: Wenn der Frühling zu früh kommt

In den Alpen beginnt der Frühling heute rund sechs Tage früher als vor 25 Jahren – ausgelöst durch steigende Temperaturen nach der Schneeschmelze.

Klimawandel in den Alpen: Wenn der Frühling zu früh kommt.

Die Verschiebung des Bergfrühlings hat nicht nur Auswirkungen auf Pflanzen – auch Tourismus, Almen und regionale Infrastruktur sind betroffen. © Wikimedia

Die Alpen sind im Umbruch. Nach der Schneeschmelze wird es im Hochgebirge schneller grün. Pflanzen sprießen, bevor der Frühling in tieferen Lagen richtig begonnen hat. Der Grund dafür liegt im Klimawandel. Das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF hat diesen Wandel über Jahrzehnte beobachtet. Biologe Michael Zehnder konnte in seinen Untersuchungen nachweisen, dass Pflanzen im Frühling in den Alpen heute im Schnitt sechs Tage früher zu wachsen beginnen als noch vor 25 Jahren.

Temperatur treibt Pflanzenwachstum und Konkurrenzkampf im Eiltempo voran

Zehnder spricht von einer „deutlich beschleunigten Vegetationsperiode“. Die Umgebungstemperatur direkt nach der Schneeschmelze sei inzwischen fast zwei Grad wärmer als Ende der 1990er Jahre. Diese Wärme reiche aus, um den Startschuss für das Wachstum zu geben. „Das Gras steht früher, die Wiesen werden schneller bunt“, so Zehnder. Wer in den Bergen lebt, merkt das jedes Jahr ein bisschen mehr – ob als Landwirt, Wanderer oder Tourist.

Nicht alle Pflanzen reagieren gleich. Manche richten sich nach der Temperatur, andere nach dem Tageslicht. Zehnder erklärt: „Einige Arten brauchen lange, helle Tage, andere treiben aus, sobald es warm genug ist.“ Das setzt viele alpine Pflanzenarten unter Druck. Wer zu spät dran ist, verliert Platz, Nährstoffe und Licht. Das kann langfristig die Zusammensetzung der Wiesen verändern.

Schneeschmelze in den Bergen: Ist der Schnee weg und der Boden warm genug, treiben erste Pflanzen aus. © Michael Zehnder / SLF
Schneeschmelze in den Bergen: Ist der Schnee weg und der Boden warm genug, treiben erste Pflanzen aus. © Michael Zehnder / SLF

Frühling in den Alpen rückt vor – Almen könnten früher öffnen

Was für Wanderer schön klingt, stellt die Alpwirtschaft vor neue Herausforderungen. Wenn das Gras früher wächst, beginnt auch die Weidesaison früher. Das erfordert neue Planung. „Auch der Alpbetrieb könnte künftig früher starten“, sagt Zehnder. Gleichzeitig verändert sich die Hauptreisezeit für viele Bergurlauber: Der klassische Bergfrühling beginnt oft schon früher, mit Auswirkungen auf Tourismus und regionale Infrastruktur.

Computersystem erkennt Pflanzenbeginn automatisch

Um diesen Wandel genau zu erfassen, nutzt Zehnder ein Netzwerk von 40 Wetterstationen. Diese messen nicht nur die Schneehöhe im Winter, sondern auch das Pflanzenwachstum im Sommer. „So sehen wir sehr genau, wann der Schnee schmilzt und wie schnell danach das Wachstum beginnt“, erklärt er.

Ein spezielles Computermodell trennt Schneesignale von Wuchssignalen. Es erkennt anhand der Sensordaten, wann unter dem Gerät wieder Pflanzen wachsen. So entstehen präzise Datensätze über den genauen Start der Vegetation. Diese Daten liefern wertvolle Hinweise, auch für Landwirte, Gemeinden und Naturschutzbehörden.

Um sechs Tage hat sich der Beginn des Pflanzenwachstums in den Bergen seit 1998 nach vorne verlagert. © Michael Zehnder / SLF
Um sechs Tage hat sich der Beginn des Pflanzenwachstums in den Bergen seit 1998 nach vorne verlagert. © Michael Zehnder / SLF

Technik ersetzt aber nicht alles. Zehnder begibt sich regelmäßig selbst in die Berge, um die Vegetation vor Ort zu überprüfen. Viele Stationen liegen in schwer zugänglichen Gebieten, zwischen 1700 und 2700 Metern Höhe. „Man sieht erst vor Ort, welche Pflanzen wirklich unter dem Sensor wachsen“, sagt er. Das ist entscheidend, um zu verstehen, wie unterschiedliche Arten auf veränderte Bedingungen reagieren.

Wer gewinnt, wer verliert in der neuen Alpen-Welt?

Vor allem in Gebirgslagen um 2000 Meter und höher beobachten Forscher eine interessante Entwicklung: Selbst wenn der Schnee früh verschwindet, zögern viele Pflanzen den Start hinaus. Sie brauchen eine bestimmte Zahl warmer Tage oder längeres Tageslicht. In Zukunft könnten sich wärmeliebende Arten schneller ausbreiten, auf Kosten jener, die auf konstante Bedingungen angewiesen sind.

Zehnders Untersuchungen zeigen: Arten, die nur bei bestimmten Lichtverhältnissen wachsen, könnten zurückgedrängt werden. „Der Klimawandel gestaltet die Ökosysteme in den Bergen um“, sagt Zehnder. Nicht jede Pflanze profitiert vom früheren Frühling – und mit dem Wandel verändert sich auch das Leben all jener, die mit und von der Natur in den Alpen leben.

Kurz zusammengefasst:

  • Pflanzen in den Alpen treiben heute im Schnitt sechs Tage früher aus als vor 25 Jahren – wegen höherer Temperaturen nach der Schneeschmelze, bedingt durch den Klimawandel.
  • Nicht alle Pflanzen reagieren gleich schnell, was das Gleichgewicht der Arten verändert und neue Herausforderungen für Landwirtschaft und Tourismus bringt.
  • Ein Netzwerk aus Wetterstationen und ein Computermodell erfassen präzise, wann das Wachstum beginnt – ergänzt durch Beobachtungen vor Ort bis in 2700 Meter Höhe.

Übrigens: Nicht nur in den Alpen geraten Ökosysteme durch den Klimawandel aus dem Gleichgewicht. Auch der Bananenanbau in Lateinamerika könnte bald wegbrechen – mit Folgen für Millionen Menschen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Diego Delsodelso.photo via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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