Täglich landen zehn Millionen Windeln in deutschen Mülltonnen – Neues Verfahren soll Recycling ermöglichen
Ein neues Verfahren nutzt Enzyme, um Windeln zu recyceln – erstmals gelingt die Trennung von Zellulose und Superabsorber zuverlässig.

Einwegwindeln sind ein riesiges Müllproblem – nun zeigt ein Enzymverfahren, wie sich wertvolle Rohstoffe zurückgewinnen lassen. © Unsplash
Jeden Tag füllen tonnenweise gebrauchte Windeln die Mülleimer in Deutschland – laut Umweltbundesamt werden hierzulande täglich ca. zehn Millionen Einwegwindeln verbraucht, jährlich entspricht dies rund 3,65 Milliarden Stück. Während wir Papier, Glas oder Plastik selbstverständlich recyceln, gilt das für Windeln bis heute kaum. Dabei machen sie im Hausmüll einen erheblichen Teil aus: Zehn Prozent im Durchschnitt, in Pflegeheimen sogar bis zu 70 Prozent. Weltweit wird aber weniger als ein Prozent recycelt. Das liegt daran, dass Windeln aus zwei Materialien bestehen, die sich bisher kaum voneinander trennen ließen – bis jetzt.
Ein Forschungsteam des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts (NMI) in Reutlingen hat mit einem enzymbasierten Verfahren nun erstmals gezeigt, wie man die wichtigsten Bestandteile – Zellulose und flüssigkeitsaufsaugende Superabsorber – von gebrauchten Windeln sauber voneinander trennen kann. Damit könnte erstmals gelingen, was bisher unmöglich schien: Windeln effizient und zuverlässig zu recyceln.
Enzyme trennen Zellulose und Superabsorber
„Wenn auf diese Mischung aus Zellulose und Superabsorber eine Flüssigkeit kommt, entsteht daraus eine gelförmige Masse. Eine gute Durchmischung und Behandlung der Masse mit Enzymen wird dadurch unmöglich“, erklärt Projektleiterin Dr. Anne Zeck. Bislang gelang es nicht, sie wirtschaftlich voneinander zu trennen. Denn sobald die Windel nass wird, verklumpt die Mischung und lässt sich kaum noch weiterverarbeiten. Zeck und ihr Team wollten das ändern und suchten nach einer Lösung, die auch in der Praxis umsetzbar ist.
Das Ergebnis: eine Enzymmischung, die gezielt die Zellulose abbaut, ohne den Superabsorber zu beschädigen. Dafür testeten die Forscher im Labor verschiedene Enzyme, bis sie die passende Kombination fanden. Die Herausforderung dabei: Die Enzyme mussten nicht nur effizient, sondern auch kostengünstig sein, um später im großen Stil eingesetzt werden zu können.
Aus 5,8 Kilogramm Windelresten werden 800 Gramm Zucker
Im Versuch wurden 5,8 Kilogramm geschredderte, nasse Windelmasse mit nur 0,7 Gramm der Enzyme versetzt. Bei 50 Grad Celsius arbeiteten die Enzyme mehrere Tage lang – mit einem erstaunlichen Ergebnis: 800 Gramm der enthaltenen Zellulose wurden abgebaut und in Zucker umgewandelt. Zurück blieben etwa fünf Kilogramm Material, das fast ausschließlich aus dem Superabsorber bestand.
Dieser Rest kann nun leichter recycelt oder weiterverarbeitet werden. Durch Zugabe von Kalziumchlorid lässt sich sogar die gebundene Flüssigkeit aus dem Gel lösen – das Material wird dadurch durchlässiger und die Enzyme erreichen besser ihr Ziel. So entsteht ein Material, das wieder nutzbar ist, anstatt auf der Müllkippe zu landen.
Windeln recyceln im Praxistest: Nächste Schritte mit Industriepartnern
Begleitet wurde das Team vom Biotechnologie-Unternehmen Candidum, das bei der Enzymauswahl half. Der nächste Schritt steht auch schon fest: Die Firma ARCUS Greencycling wird testen, ob das Verfahren im größeren Maßstab genauso zuverlässig funktioniert. Ziel ist es, die Methode in die Praxis zu bringen – für den Alltag in Kliniken, Pflegeheimen oder Haushalten.
Gleichzeitig prüfen die Forscher, ob sich das übrige Windelmaterial chemisch weiterverwerten lässt – etwa durch sogenannte Pyrolyse. Auch die Nutzung der Zuckerlösung wird noch erforscht. Denkbar wäre eine Umwandlung in biobasierte Kunststoffe oder sogar die Nutzung als Ausgangsstoff für andere Produkte. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Reduktion des Wasserverbrauchs, um das Verfahren ökologisch noch verträglicher zu machen.
Windeln recyceln entlastet Familien und spart wertvolle Rohstoffe
Das Interesse an der Methode ist groß. Kein Wunder, denn die Zahlen sprechen für sich: Allein in Deutschland landen jedes Jahr Milliarden Windeln der Müllverbrennung, obwohl sie theoretisch wertvolle Rohstoffe enthalten. Das neue Verfahren könnte diesen Rohstoffverlust stoppen und gleichzeitig eine massive Entlastung für Müllsysteme bedeuten.
Für Eltern kleiner Kinder und Angehörige von Pflegebedürftigen wäre das ein Fortschritt mit spürbarer Wirkung. Wer täglich mehrere Windeln entsorgen muss, weiß, wie schnell sich das Müllvolumen vervielfacht. Ein funktionierendes Recycling würde nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch mehr Platz in der Mülltonne schaffen.
Kurz zusammengefasst:
- Windeln machen einen großen Anteil des Hausmülls aus, doch bisher ließ sich das enthaltene Material kaum trennen oder recyceln.
- Forscher haben nun mit einer gezielten Enzymmischung erstmals ein Verfahren entwickelt, das Zellulose aus Windeln in Zucker aufspaltet und den Superabsorber nutzbar zurücklässt.
- Der erfolgreiche Labortest zeigt erstmals, wie sich Windeln effizient recyceln lassen und könnte helfen, ein großes Müllproblem spürbar zu verringern.
Übrigens: Auch bei Kunststoffen zeigt sich, wie clever recyceln funktionieren kann – Forscher nutzen Schwefelabfälle aus der Erdölindustrie, um Polyester haltbarer und nachhaltiger zu machen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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