Autorin bricht mit Tabu und zeigt, warum Kinder anders trauern
Kinder gehen anders mit dem Tod um – und es gibt vieles, das wir in dieser Hinsicht von ihnen lernen können, sagt Trauerbegleiterin Sermina Wallner.
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Wenn Kinder trauern, reagieren sie anders als Erwachsene. Autorin Sermina Wallner (im Bild) erklärt, warum ihr Buch dabei hilft, den Tod zu verstehen. © Waldschnecke Verlag
Viele Erwachsene reden nicht gerne über den Tod – besonders, wenn man mit Kindern über dieses Thema spricht. Doch genau hier setzt die Autorin und Trauerbegleiterin Sermina Wallner an. Mit ihrem Kinderbuch „Weil Comenius weg ist“ öffnet sie eine Tür, die häufig verschlossen bleibt. Warum es so wichtig ist, Trauer nicht zu tabuisieren, wie Kinder den Verlust anders erleben als Erwachsene und was wir von ihnen lernen können, hat sie uns in diesem bewegenden Interview erzählt.
Sermina Wallner ist Jahrgang 1986 und lebt mit ihren beiden Söhnen im Bayerischen Wald. Sie ist nicht nur Gründerin des Waldschnecke Verlags, sondern auch selbst leidenschaftliche Autorin. Ihr Traum ist es, Kindern und Erwachsenen mit ihren Büchern wertvolle Inspirationen zu geben und jeden zu ermutigen, seine ganz eigene Geschichte zu leben. Sermina hat eine Ausbildung als Trauerbegleitung und viele Jahre als psychologische Beraterin gearbeitet, bis sie selbst Kinder bekam.
Die Idee hinter dem Kinderbuch
SMART UP NEWS: Sermina, wie bist du auf die Idee gekommen, ein Kinderbuch zu einem so speziellen Thema, das so gar nicht fröhlich ist, zu schreiben?
Sermina Wallner: Das ist ziemlich einfach beantwortet: Weil das Leben auch nicht immer nur fröhlich ist. Und unterhaltsame Bücher, Serien und Möglichkeiten zur Zerstreuung gibt es in der heutigen Zeit mehr als ausreichend. Aber die Bereitschaft, über schwierige Themen zu sprechen, ist leider immer noch sehr gering bei uns Erwachsenen. Dabei müssen unsere Kinder genau in diesen Momenten an die Hand genommen werden.
Abgesehen von diesem allgemeinen Wunsch, dass wir die vermeintlich negativen Seiten des Lebens mehr annehmen, habe ich selbst Kinder und auch die wurden schon durch den Tod eines Haustiers mit dem Thema Trauer konfrontiert. Und wer in diesem Moment richtig viel von ihnen gelernt hat über den Umgang mit diesem großen Gefühl, war ich – denn ich war erstmal hilflos. Ich bin ausgebildete Trauerbegleiterin und wusste trotzdem nicht, wie ich meinen Sohn begleiten soll in seinem Schmerz darüber, dass unsere Hündin nicht mehr bei uns war. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.
Sollten Kinder mit dem Tod konfrontiert werden?
SMART UP NEWS: Aber ist der Tod überhaupt ein Thema, dem man Kinder aussetzen muss?
Sermina Wallner: Die Entscheidung liegt ja nicht bei uns. Unsere Kinder werden mit dem Tod konfrontiert, zwangsweise. Wir Menschen sterben, unsere Haustiere sterben. Lebensphasen gehen zu Ende, die betrauert werden dürfen. Und wenn wir diese Ereignisse buchstäblich totschweigen, dann nehmen wir unseren Kindern damit nicht die Angst davor, sondern vergrößern sie im Gegenteil nur noch. Kinder haben eine ganz andere Sicht auf viele Dinge, die uns Erwachsene oft staunen lässt – wenn wir uns denn auf ein Gespräch mit ihnen einlassen. Wir dürfen unseren Kindern durchaus zutrauen, mit solchen Lebensereignissen umzugehen. Mit unserer Unterstützung, und natürlich immer dem Alter angemessen.
Ein Kinderbuch über den Umgang mit Trauer
SMART UP NEWS: Worum geht es genau in deinem Buch „Weil Comenius weg ist“?
Sermina Wallner: Der Untertitel des Buches lautet „Ein Buch über den Tod und das Leben“, und das ist mir ganz wichtig. Seestern Rosina verliert in der Geschichte einen ihrer besten Freunde, den Wal Comenius, und findet sich in der Trauerhöhle der Schildkröte Mara wieder. Rosina ist traurig und verstört und hat den Eindruck, sie macht etwas falsch, weil alle anderen anders trauern als sie selbst. Sie kennt die Trauer nicht und fühlt sich von dem intensiven Gefühl überrollt. Mara erklärt ihr die wichtigste Erkenntnis:
Der Ursprung der Trauer ist nicht der Tod, sondern die Liebe.
Und so unterhalten sich die beiden darüber, ob denn jemand wirklich weg ist, wenn er gestorben ist, ob man irgendwann wieder fröhlich sein darf und wie man eigentlich trauert.
Wie reagieren Kinder auf die Geschichte?
SMART UP NEWS: Du gibst ja auch Lesungen und Vorträge mit deinem Buch. Wie sind die Reaktionen auf diese Geschichte und die Konfrontation mit diesem schwierigen Thema?
Sermina Wallner: Die Kinder reagieren unglaublich schön. Sie sind erstaunt, sie denken nach, sie fühlen sich abgeholt, wenn ihnen jemand sagt: Ein Körper kann verschwinden, aber du kannst immer noch eine Verbindung haben, auch wenn jemand verstorben ist. Die Freundschaft zwischen Rosina und Comenius ist nicht weg, sie ist nur anders. Und Kinderaugen glitzern immer, wenn man ihnen sagt: Du kannst gar nichts falsch machen, wenn du traurig bist. Jeder braucht seine Zeit und seine Art und Weise.
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Aber viel berührender und überraschender sind für mich die Reaktionen der Erwachsenen. Wenn ich mit Erwachsenen mit diesem Buch arbeite oder Lesungen halte, oder sie einfach einer Lesung für Kinder beiwohnen, fließen fast ausnahmslos Tränen. Und daran sehen wir, wie wichtig es ist, diesem Thema den Schrecken zu nehmen. Auch wir Großen können so schlecht mit Trauer umgehen. Wir machen uns so wenige Gedanken darüber, dass Trauer ein Ausdruck von Liebe ist. Dass wir nicht schnell wieder funktionieren müssen. Dass die Trauer bleiben darf, ein Leben lang, und wir mit ihr gemeinsam leben dürfen, auch wenn sie uns manchmal sehr anstrengt und fordert.
Warum fällt uns Trauer so schwer?
SMART UP NEWS: Das ist spannend. Was würdest du sagen, woran liegt das? Wieso können wir so schlecht mit Trauer umgehen?
Sermina Wallner: Da gibt es sicher viele Gründe. Einer davon ist, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, die erwartet, dass wir nicht lange ausfallen. Zum anderen tun wir Menschen uns sehr schwer, es auszuhalten, wenn es unserem Gegenüber schlecht geht, und wir kein Rezept dagegen haben. Für Trauer gibt es keine Lösung, kein Gegenmittel. Sie lässt sich nicht wegdiskutieren. Und das macht Angst. Genauso wie uns der Tod ängstigt, weil wir nicht mit Sicherheit wissen, was danach kommt. Und zu guter Letzt: Die meisten von uns haben das als Kinder nicht gelernt. Der Tod und das Trauern haben ihre Natürlichkeit verloren, ihren Platz im Leben.
Eine neue Sicht auf Trauer und Verlust
SMART UP NEWS: Was möchtest du mit deinem Buch erreichen?
Sermina Wallner: Ich würde mir wünschen, dass wir uns trauen, uns selbst mehr mit unangenehmen Themen auseinandersetzen. Das innere Kind in uns heilen. Und so unsere Kinder an die Hand nehmen können in diesen schwierigen Zeiten und nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Mir hat erst vor kurzem ein Kind einen Satz gesagt, der mich tief berührt hat. Wir haben über die Tränen gesprochen, die beim Trauern fließen. „Ohne Regen gibt es nämlich keinen Regenbogen.“ So klar, so einfach. So viel Wahrheit. Wenn wir mit unseren Kindern zusammen weinen, während wir an unsere Liebsten denken, die nicht mehr bei uns sind, heilen wir alle ein Stück. Und dann kann auch wieder die Sonne scheinen und einen Regenbogen zaubern. Wenn wir dann genau zuhören, werden unsere Kinder uns sicher auch erklären, woher der Regenbogen kommt…
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Das Buch „Weil Comenius weg ist“ kann man direkt bestellen über den Waldschnecke Verlag sowie via Thalia oder Amazon.
Bild: © Waldschnecke Verlag