Unsichtbare Armut – 17,7 Millionen Deutsche kämpfen mit sozialer Ausgrenzung
Wer arm ist, bleibt oft unsichtbar – das gefährdet die Demokratie.
Kein Geld fürs Café, kein Budget für Freizeitaktivitäten – 17,7 Millionen Menschen in Deutschland sind von sozialer Ausgrenzung betroffen. Sie müssen auf Dinge verzichten, die für andere selbstverständlich sind. Die Nationale Armutskonferenz (nak) warnt in ihrem aktuellen Bericht, dass diese soziale Ungleichheit nicht nur den Betroffenen schadet, sondern auch die Demokratie gefährdet. Wer unter Armut leidet, bleibt oft unsichtbar – und das hat Folgen.
Der sogenannte Schattenbericht, der von der Diakonie Deutschland unterstützt wird, bietet einen Blick auf die Lebensrealität der Betroffenen. Anders als der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird er unabhängig erstellt, um die Perspektive derjenigen einzufangen, die am meisten unter Armut leiden.
Was bedeutet Armut eigentlich?
Armut hat viele Gesichter und wird oft falsch verstanden. Laut EU-Definition gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens seines Landes zur Verfügung hat. Für Deutschland lag diese Grenze 2023 bei 1.310 Euro im Monat für Alleinstehende. Familien mit zwei Kindern unter 14 Jahren galten als arm, wenn sie weniger als 2.751 Euro monatlich hatten. Diese Form wird als „relative Armut“ bezeichnet, da sie die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt.
Michael David, Experte der Diakonie Deutschland, erklärt laut Tagesschau:
Wenn jemand nicht in der Lage ist, an politischen oder sozialen Treffen teilzunehmen, weil er sich ein Getränk in der Kneipe nicht leisten kann, dann ist das eine Form von Ausgrenzung.
Michael David
Neben der relativen Armut gibt es auch die „absolute Armut“, bei der es um existenzielle Not geht. Etwa sieben Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind hiervon betroffen.
Warum Armut mehr ist als Arbeitslosigkeit
Armut wird häufig mit Arbeitslosigkeit gleichgesetzt, doch das greift zu kurz. Laut der Bundesagentur für Arbeit gehen rund 900.000 Menschen einer Erwerbstätigkeit nach, beziehen aber dennoch Bürgergeld, weil ihr Einkommen nicht ausreicht. Auch Rentner, pflegende Angehörige oder sozial engagierte Menschen fallen in diese Kategorie.
Ein Beispiel dafür ist Gisela Breuhaus, eine 75-jährige Rentnerin. Sie pflegte jahrelang Familienmitglieder und lebt heute von staatlicher Unterstützung. „Viele wissen nicht, welche Leistungen ihnen zustehen, oder scheuen sich, als bedürftig zu gelten“, sagt sie. Die komplizierte Bürokratie und fehlende Aufklärung verschärfen die Situation für viele Betroffene.
Kritik am Sozialsystem: Gut gemeint, aber nicht genug
Das deutsche Sozialsystem bietet laut David eine verlässliche Existenzsicherung. Doch oft werde nicht weitergedacht. Für spezielle Betroffenengruppen fehlen Angebote und der bürokratische Aufwand schreckt viele ab. Die Erfahrungen der Corona-Pandemie und Energiekrise haben gezeigt, dass Deutschland schlecht auf Krisen vorbereitet ist.
Ein großes Problem ist die unzureichende soziale Infrastruktur. Betroffene fordern mehr bezahlbare Wohnungen und besser erreichbare soziale Einrichtungen. Ohne Schwimmbäder, Musikschulen oder Sportvereine in der Nähe sind viele Unterstützungsangebote nutzlos.
Fehlende Beteiligung und die Folgen für die Demokratie
Ein weiteres Thema ist die geringe politische Beteiligung von Menschen in Armut. Wer kaum Geld hat, fühlt sich oft ausgeschlossen – nicht nur aus der Gesellschaft, sondern auch aus der Demokratie.
Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Stimme nichts bewirkt, kann das gefährlich werden.
Michael David
Das Risiko, dass diese Menschen radikale Positionen unterstützen, steigt.
Laut dem Schattenbericht ist mehr Teilhabe nötig, um Demokratie und Gesellschaft zu stärken. Neben finanzieller Unterstützung muss der Abbau von bürokratischen Hürden Priorität haben. Die Gesundheitsversorgung und Präventionsangebote müssen stärker auf soziale Brennpunkte zugeschnitten werden, um die Menschen vor Ort besser zu erreichen.
Kurz zusammengefasst:
- In Deutschland sind 17,7 Millionen Menschen von sozialer Ausgrenzung betroffen, was ihre gesellschaftliche Teilhabe erheblich einschränkt und das Risiko für Demokratiegefährdung erhöht.
- Armut betrifft nicht nur Arbeitslose, sondern auch Erwerbstätige, Rentner und pflegende Angehörige, die trotz ihrer Leistungen oft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
- Der Bericht der Nationalen Armutskonferenz fordert eine bessere soziale Infrastruktur, gezielte Gesundheits- und Präventionsangebote sowie den Abbau bürokratischer Hürden, um Betroffenen mehr Teilhabe zu ermöglichen.
Bild: © Unsplash
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