Muttersprache vs. Fremdsprache: Wie Sprachen unsere Wahrnehmung und Persönlichkeit verändern

Mehrsprachigkeit beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und wer wir sind. Muttersprache und Fremdsprache prägen uns dabei unterschiedlich.

Emotionen und Sprache: Die Muttersprache berührt am tiefsten, doch die Fremdsprache schafft nützliche Distanz. © Pexels

Emotionen und Sprache: Die Muttersprache berührt am tiefsten, doch die Fremdsprache schafft nützliche Distanz. © Pexels

Sprachen prägen unser Denken, unsere Wahrnehmung und sogar unsere Persönlichkeit. Das behaupten nicht nur Sprachforscher, sondern auch zahlreiche Studien in Psychologie und Anthropologie. Besonders interessant: Wer mehr als eine Sprache spricht, nimmt die Welt oft unterschiedlich wahr, je nachdem, welche Sprache er gerade verwendet.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist heute bilingual oder multilingual. Sei es durch Migration, Bildung oder familiäre Hintergründe – Mehrsprachigkeit gehört längst zum Alltag. Und dabei geschieht etwas Faszinierendes: Die Sprache, die wir wählen, beeinflusst nicht nur, wie wir uns ausdrücken, sondern auch, wie wir uns selbst und andere erleben. The Conversation berichtet, dass Menschen sich oft verändert fühlen, wenn sie zwischen Sprachen wechseln – manchmal subtil, manchmal deutlich spürbar.

Emotionen sind sprachabhängig – die Muttersprache hat die Nase vorn

Unsere Muttersprache bleibt uns emotional näher als jede andere. Sie ist die Sprache, in der wir unsere ersten Erfahrungen gemacht haben, und sie prägt unser Denken besonders stark. Studien zeigen, dass wir uns an Erlebnisse aus der Kindheit intensiver erinnern, wenn wir sie in unserer Muttersprache erzählen. Sie bietet emotionale Tiefe und Resonanz, die eine später gelernte Zweitsprache oft nicht erreicht.

Doch genau hier liegt auch ein Vorteil der Zweitsprache: Sie schafft Distanz. Wer eine fremde Sprache spricht, erlebt Emotionen oft weniger intensiv – eine nützliche Fähigkeit in schwierigen Gesprächen. Wut, Angst oder Scham lassen sich so mit mehr Gelassenheit ausdrücken. The Conversation verweist auf Untersuchungen, die belegen, dass Menschen in ihrer Zweitsprache weniger Hemmungen haben, etwa Entschuldigungen auszusprechen oder unangenehme Themen anzusprechen.

Sprachen verändern die Persönlichkeit – ein spannender Perspektivwechsel

Wer eine andere Sprache spricht, verändert oft unbewusst seine Persönlichkeit. Das liegt daran, dass jede Sprache in kulturelle und soziale Kontexte eingebettet ist, die unser Verhalten beeinflussen. So fühlen sich zweisprachige Sprecher in einer Sprache freier und offener, während sie in der anderen förmlicher oder emotionaler reagieren.

Eine Studie mit chinesisch-englischen Sprechern in den USA zeigt genau das: In Englisch fühlten sich die Teilnehmer entspannter und weniger durch soziale Regeln eingeschränkt, während sie in Mandarin intensivere emotionale Verbindungen erlebten. Diese Unterschiede offenbaren, wie stark Sprache unser Denken und Handeln formen kann.

Die Umgebung formt die Sprache – und umgekehrt

Wie wir eine Sprache lernen, prägt unser Verhältnis zu ihr. Wer eine Sprache formal in der Schule erwirbt, empfindet oft mehr Druck beim Sprechen als jemand, der sie im Alltag aufgenommen hat. Diese Unsicherheiten beeinflussen auch, wie wohl wir uns fühlen, wenn wir in der Zweitsprache Emotionen ausdrücken.

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Eltern bevorzugen oft ihre Muttersprache, wenn sie mit ihren Kindern über Gefühle sprechen oder sie erziehen. Das zeigt, wie eng Sprache und Emotionen miteinander verbunden sind. Gleichzeitig bietet eine Zweitsprache die Chance, eigene Emotionen bewusster zu steuern und anders mit kulturellen Normen umzugehen.

Sprachen als Schlüssel zu Persönlichkeit

Mehrsprachigkeit verändert nicht nur unsere Persönlichkeit, sondern auch unsere Beziehung zu anderen Menschen. Besonders im Spracherwerb spielt das Selbstbild eine große Rolle: Wer sich mit seiner neuen sprachlichen Identität wohlfühlt, lernt schneller und nachhaltiger.

Lehrkräfte können dabei helfen, diese Verbindung zu stärken, indem sie eine positive Einstellung zur neuen Sprache fördern. Wer sich selbst in der Zweitsprache akzeptiert, baut eine starke emotionale Bindung auf – und profitiert nicht nur kulturell, sondern auch persönlich. Denn Sprache ist weit mehr als ein Kommunikationsmittel: Sie ist ein Schlüssel zu neuen Perspektiven und einer bereichernden Sicht auf die Welt.

Was du dir merken solltest:

  • Mehrsprachigkeit beeinflusst die Wahrnehmung und Persönlichkeit: Menschen nehmen die Welt je nach Sprache unterschiedlich wahr und erleben sich selbst anders.
  • Die Muttersprache hat eine tiefere emotionale Verbindung, während die Zweitsprache Distanz schafft und erleichtert, Emotionen kontrollierter auszudrücken.
  • Sprachen spiegeln kulturelle und soziale Prägungen wider, formen unser Verhalten und beeinflussen, wie wir mit anderen interagieren und uns selbst sehen.

Übrigens: Wusstest du, dass „Nemec“ in slawischen Sprachen „Deutscher“ bedeutet und auf mittelalterliche Sprachbarrieren zurückgeht? Warum Deutsche in Polen „Niemcy“ heißen und was das mit „fremd“ oder „stumm“ zu tun hat, erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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