Der Klimamotor schwächelt: Wie die Eisschmelze vor Grönland Europas Klima bedroht

Grönlands Eisschmelze schwächt die Atlantische Umwälzströmung. Die Folgen: Abkühlung in Europa, Wetterextreme und steigende Meeresspiegel.

Grönlands Schmelzwasser bringt die Atlantische Umwälzströmung ins Stocken.

Grönlands Schmelzwasser bringt die Atlantische Umwälzströmung ins Stocken. © Wikimedia

Grönland verliert dramatisch an Eis, und die Folgen könnten das globale Klimasystem ins Wanken bringen. Die Atlantische Umwälzströmung (AMOC), ein essenzielles Strömungssystem für mildes Klima und stabile Wetterbedingungen in Europa, steht vor einer möglichen drastischen Abschwächung. Forscher haben in einer neuen Studie festgestellt, dass die Irmingersee vor der Südostküste Grönlands eine Schlüsselrolle spielt. Hier wird warmes, salzhaltiges Wasser durch kältere arktische Bedingungen zur Bildung von Tiefenwasser abgekühlt. Doch der zunehmende Schmelzwasserzufluss durch die Eisschmelze vor Grönland stört diesen Mechanismus und bringt das gesamte System aus dem Gleichgewicht.

Grönland-Eisschmelze bremst die Warmwasserströmung aus

Die AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation) ist essenziell für den globalen Wärmeaustausch. Die Strömung transportiert warmes Wasser aus dem Süden nach Norden und kaltes Tiefenwasser zurück Richtung Äquator. Eine Unterbrechung dieses Kreislaufs hätte weitreichende Folgen. Eine Abschwächung der Irmingersee-Prozesse könnte die Stabilität der gesamten AMOC bedrohen. Dies würde nicht nur die Temperaturen in Europa beeinflussen, sondern auch extreme Wetterereignisse weltweit auslösen. „Süßwasser aus Grönlands Gletschern hemmt die Tiefenwasserbildung und schwächt die Strömung erheblich“, erklärt Qiyun Ma vom Alfred-Wegener-Institut laut Live Science.

System ist bereits deutlich geschwächt

Die Warmwasserströmung hat sich bereits erheblich verlangsamt und zeigt laut Analysen ihre geringste Stärke seit mindestens 1.000 Jahren. Klimamodelle deuten darauf hin, dass diese Entwicklung durch die vom Menschen verursachte Erderwärmung vorangetrieben wird und sich weiter verschärfen könnte. Besonders der steigende Süßwassereintrag in den Nordatlantik, verursacht durch das Abschmelzen der grönländischen Eisschilde und das schwindende arktische Meereis, beeinträchtigt die Funktion des Strömungssystems erheblich.

Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts nutzten ein fortschrittliches Klimamodell (AWI-CM3), um die Auswirkungen eines erhöhten Süßwasserzuflusses in verschiedenen Regionen des Nordatlantiks zu simulieren. Sie fanden heraus, dass die AMOC besonders stark reagiert, wenn das Süßwasser direkt in die Tiefenwasser-Bildungsgebiete gelangt. Dort wird durch den Einfluss des Süßwassers die Dichte des Oberflächenwassers verringert, wodurch das Absinken des Wassers blockiert wird – ein essenzieller Prozess für die Stabilität des Strömungssystems.

Warum Europa sich Sorgen machen muss

Ein instabiler Klimamotor hätte dramatische Konsequenzen für Europa. Durch eine Abschwächung der AMOC könnten die Durchschnittstemperaturen in einigen Regionen Europas um bis zu 15 Grad sinken. Der Golfstrom, der Europa seit Jahrtausenden mit mildem Klima versorgt, würde nicht mehr genug Wärme aus den Tropen bringen.

Doch nicht nur Europa wäre betroffen: Auch tropische Monsunsysteme könnten durcheinandergeraten, was Millionen Menschen in Asien und Afrika gefährden würde. Besonders besorgniserregend ist, dass neben den großflächigen Veränderungen auch lokal extreme Wettermuster entstehen könnten. In der Amazonasebene und Nordamerika erwarten die Forscher etwa unberechenbare Niederschläge. Gleichzeitig droht der Meeresspiegel um bis zu einen Meter zu steigen – eine Bedrohung für Küstenstädte.


Die Irmingersee ist die entscheidende Region, in der Schmelzwasser aus Grönland die Atlantikströmung am stärksten aus dem Gleichgewicht bringt. © R. Curry, Woods Hole Oceanographic Institution/Science/USGCRP via Wikimedia unter CC BY 3.0
Die Irmingersee ist die entscheidende Region, in der Schmelzwasser aus Grönland die Atlantikströmung am stärksten aus dem Gleichgewicht bringt. © R. Curry, Woods Hole Oceanographic Institution/Science/USGCRP via Wikimedia unter CC BY 3.0

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Schmelzwasser: Ein unsichtbarer Klimakiller

Die genauen Auswirkungen dieser Veränderungen in unterschiedlichen Regionen sind laut dem Team um Qiyun Ma bislang nur teilweise verstanden. Insbesondere wie regionale Schmelzwassermengen die globalen Klimaströme beeinflussen, bleibt eine offene Frage.

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie dringend eine Überwachung der Irmingersee ist. „Die Einblicke in diese Region sind entscheidend, um gezielte Strategien zur Klimaanpassung zu entwickeln“, sagt Ma. Doch trotz aller Dramatik gibt es auch Hoffnung: Ein abrupter Kollaps der AMOC sei nach aktuellen Modellen im 21. Jahrhundert unwahrscheinlich. Dennoch mahnen die Forscher zur Eile. Der Kippeffekt rückt näher, und das Weltklima könnte schon bald an einem Punkt landen, an dem keine Rückkehr mehr möglich ist.

Was du dir merken solltest:

  • Die Eisschmelze vor Grönland schwächt die Atlantische Umwälzströmung (AMOC), da sie die Dichte des Oberflächenwassers senkt und die Tiefenwasserbildung in der Irmingersee hemmt.
  • Globale Folgen eines geschwächten Klimamotors: Eine weitere Verlangsamung der AMOC könnte Europas Klima abkühlen, tropische Monsune destabilisieren und extreme Wetterereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen weltweit verstärken.
  • Dringender Handlungsbedarf: Forscher betonen die Notwendigkeit, die Irmingersee besser zu überwachen, um die Auswirkungen der Eisschmelze genauer zu verstehen und mögliche Kippeffekte frühzeitig zu erkennen.

Übrigens: Nicht nur Grönlands Schmelzwasser bringt unser Klima ins Wanken – gleich acht lebenswichtige Systeme der Erde sind laut Forschern massiv gefährdet. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © USGS via Wikimedia unter Public Domain

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