„Systematisches Mobbing durch den Staat“: Expats verlassen Berlin

Der polnische Autor Jacek Dehnel ist einer von vielen Expats, die ihr Glück in Berlin gesucht haben und enttäuscht wurden.

In einem internationalen Ranking für Expats hat Berlin besonders schlecht abgeschnitten. © Vecteezy

Jacek Dehnel ist einer der bekanntesten Gegenwartsautoren aus Polen und einer von vielen Expats, die es nach Berlin gezogen hat. Vor fünf Jahren zog er in die deutsche Hauptstadt, nun kehrt er zurück nach Warschau. In einem Interview mit der Zeitschrift Newsweek Polska äußerte er deutliche Kritik an den Lebensbedingungen in Berlin: „Mit großer Erleichterung verlasse ich dieses Land, das sich in einem desolaten Zustand befindet“, sagte er laut der Berliner Zeitung.

Als Expats (Kurzform des englischen „Expatriates“) werden Menschen bezeichnet, die längere Zeit in einem Land leben, ohne die lokale Staatsbürgerschaft zu besitzen. Jacek Dehnel ist ein solcher Expat: Vor fünf Jahren zog er von Warschau nach Berlin. Dem homosexuellen Schriftsteller war die Stimmung in Polen zu fremdenfeindlich, homophob und aggressiv. Nun hat er sich dazu entschlossen, mit seinem Mann nach Warschau zurückzukehren.

Viele Ausländer, die mit großen Erwartungen nach Berlin gekommen sind, würden laut Dehnel mittlerweile die Stadt wieder verlassen. Sie haben sich ein freies und erschwingliches Leben erhofft, hätten aber stattdessen Enttäuschung erlebt. In einem Ranking der Organisation InterNations, das die Attraktivität von Städten für Expats untersucht, hat Berlin besonders schlecht abgeschnitten. Die Stadt landete auf Platz 45 von 49, wobei vor allem die Wohnbedingungen sowie der Zugang zu Grundbedürfnissen schlecht bewertet wurden.

Die Top 10 der besten und schlechtesten Städte für Expats laut InterNations.

Bürokratie und schlechte Verwaltung als Hauptprobleme

Dehnel betont, dass sein Entschluss, Berlin zu verlassen, keine spontane Entscheidung war. Vielmehr nimmt er die zunehmenden Schwierigkeiten als systemisch wahr. Besonders scharf kritisiert Dehnel die Bürokratie in Berlin. Ständig stehe er im Streit mit Behörden, weil Dokumente verloren gehen oder nicht richtig bearbeitet werden.

Geht ein wichtiger Brief verloren, kann das gravierende Folgen haben, weil E-Mails als offizielles Dokument nicht anerkannt werden. Solche Schwierigkeiten seien in Berlin an der Tagesordnung und würden den Alltag unnötig verkomplizieren. Dehnels Mann spricht von „systematischem Mobbing durch den Staat“. Dehnel sagt, dass diese Bürokratie das Leben in Berlin unerträglich mache. Diesen Zustand würden nicht nur Ausländer erleben, sondern auch viele Deutsche.

Rückständige Infrastruktur und Mikro-Aggressionen

Des Weiteren bemängelte Dehnel die technologische Rückständigkeit Berlins. In vielen Geschäften könne man immer noch nicht mit Karte zahlen, und das Internet sei in weiten Teilen der Stadt miserabel. Auch die Deutsche Bahn (DB) sei kaum noch pünktlich. So er erzählt er von einer Zugreise nach Dortmund, bei der er aufgrund von Verspätungen und Zugausfällen insgesamt vier Stunden länger unterwegs war. Er fühlt sich an die Reisen mit der polnischen Bahn (PKP) erinnert. Doch obwohl die PKP lange Zeit als rückständig galt, sei sie inzwischen sogar zuverlässiger als die DB.

Neben diesen infrastrukturellen Problemen sprach Dehnel von einer „passiv-aggressiven“ Atmosphäre in der Stadt. Menschen begegneten ihm oft mit einer unfreundlichen und abweisenden Haltung.

Das Ausleihen einer Wertmarke an der Garderobe eines Museums kann schnell zum Problem werden, das Zurücklassen eines Regenschirms (…). Und so geht es mehrmals am Tag, ständig erlebe ich Mikro-Aggressionen. 

Jacek Dehnel

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Veränderungen in Warschau und die wachsende Bedeutung der Stadt

Warschau hingegen habe sich in den letzten Jahren rasant verändert und sei nun multikultureller geworden. Er verweist dafür auf die wachsende Zahl von Einwanderern aus verschiedenen Ländern, die nun in der polnischen Hauptstadt leben. Diese Entwicklung mache es einfacher, dort auch ohne perfekte Polnischkenntnisse zu leben, als es in Berlin mit schlechten Deutschkenntnissen der Fall sei.

Das Interview mit Dehnel löste in den sozialen Netzwerken kontroverse Diskussionen aus. Einige Polen, die in Berlin leben, stimmen dem Schriftsteller zu und begrüßen seine Entscheidung, die Stadt zu verlassen. Andere werfen ihm Polemik vor und dass er nicht die gesamte Wahrheit über Berlin erzählen würde. Sie weisen darauf hin, dass Berlin trotz der genannten Probleme weiterhin ein beliebtes Ziel für Migranten ist und jedes Jahr wächst.

Die meisten stimmen ihm jedoch zu, dass Warschau an Bedeutung gewinnt und Berlin langsam den Rang als führende Metropole streitig machen dürfte. Die schnelle wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Warschaus stehe im Gegensatz zur Stagnation, die in Berlin immer mehr spürbar sei.

Die politischen Spannungen in Deutschland kommen für Dehnel noch obendrauf. Insbesondere das Erstarken der AfD und kremlnaher Strömungen, die anti-polnische und anti-ukrainische Ressentiments schüren, bereitet ihm Sorgen.

Was du dir merken solltest:

  • Der polnische Autor Jacek Dehnel kehrt von Berlin nach Warschau zurück, da sich das Leben in Berlin für Expats zunehmend verschlechtert habe.
  • Er kritisiert vor allem die Bürokratie, schlechte Infrastruktur und den passiv-aggressiven Ton vieler Bewohner.
  • Dehnel lobt die multikulturelle Entwicklung Warschaus und verweist auf die wachsende Bedeutung der polnischen Hauptstadt, was ihn auch zum Zurückziehen bewegt hat.

Bild: © Vecteezy

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