Wie KI hilft, das Rätsel der Gerüche zu lösen: Wird man künftig Krankheiten riechen können?
KI entschlüsselt zunehmend das komplexe Zusammenspiel zum Thema Moleküle und Gerüche – ein Durchbruch mit weitreichenden Anwendungen.
Die Biologie des Geruchs bleibt für Forscher eines der größten Rätsel. Was passiert genau, wenn wir einen Geruch wahrnehmen, und wie können wir ihn so präzise erkennen? Tatsächlich ist es ein höchst komplexer Vorgang, den Wissenschaftler lange Zeit nur teilweise verstehen konnten. Doch mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) kommt man dem Geheimnis der Gerüche jetzt immer näher. Die Zeitschrift Nature berichtet von spannenden Fortschritten auf diesem Gebiet, die uns in Zukunft sogar ganz neue Möglichkeiten eröffnen könnten.
Forscher wie Alex Wiltschko von osmo.ai arbeiten an einer Technologie, die Gerüche nicht nur erkennt, sondern sie auch digital abbildet und sogar neu erschaffen kann. Sein Team entwickelte kürzlich ein Molekül mit einem völlig neuen Geruch, der als „Sommer in Texas“ beschrieben wurde. Niemand hätte allein durch die Betrachtung der chemischen Struktur erraten können, dass dieses Molekül so riechen würde. Diese Schwierigkeit ist typisch für die Geruchsforschung: Die chemische Struktur eines Moleküls verrät oft wenig darüber, wie es tatsächlich riecht. Und genau hier setzt die KI an, um den Zusammenhang zwischen Molekülen und Gerüchen besser zu verstehen.
Chemie und Gerüche: Kann die KI das schwierige Rätsel lösen?
Ein großes Problem bei der Erforschung des Geruchs ist die Tatsache, dass Moleküle mit fast identischen Strukturen völlig unterschiedlich riechen können. Gleichzeitig können Moleküle mit sehr unterschiedlichen Strukturen fast identische Gerüche erzeugen.
Der Geruch von Kaffee oder reifen Tomaten besteht aus einer Mischung von Dutzenden oder Hunderten Aromamolekülen. Dies macht es extrem schwierig, Vorhersagen darüber zu treffen, welcher Geruch bei welcher Molekülstruktur entsteht.
Ein weiteres Rätsel besteht darin, wie Gerüche zueinander in Beziehung stehen. Während Farben klare Kategorien wie Rot, Grün oder Blau haben und Töne nach Frequenzen sortiert werden können, gibt es für Gerüche keine solchen Parameter. Wo auf einer hypothetischen Skala würde zum Beispiel der Geruch von „Frost“ im Vergleich zu „Sauna“ liegen? Genau an diesen Fragen arbeiten Wissenschaftler wie Joel Mainland vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, von dem auch Nature berichtet.
Künstliche Intelligenz als Schlüssel
Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ist es nun möglich, Gerüche genauer zu analysieren. Neue Technologien in der Datenanalyse und der Biologie haben dazu geführt, dass Forscher die Muster hinter dem Geruchssinn besser verstehen können. Ein wichtiger Fortschritt ist die sogenannte „Geruchslandkarte“, die von Wiltschkos Team entwickelt wurde.
Diese Karte basiert laut Nature auf der Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI). Das Programm wurde mit Tausenden von Beschreibungen molekularer Strukturen aus Duftstoffkatalogen gefüttert, wobei für jede Struktur spezifische Geruchsbezeichnungen wie „fleischig“ oder „blumig“ zugeordnet wurden.
Um die Leistung des KI-Systems zu überprüfen, verglichen die Forscher es mit den Fähigkeiten menschlicher Nasen. Dazu trainierten sie 15 Teilnehmer, einige Hundert Aromen mit Hilfe von 55 verschiedenen Kategorien zu bewerten, darunter Bezeichnungen wie „rauchig“, „tropisch“ oder „wachsig“. Doch das Problem dabei: Gerüche sind extrem subjektiv. „Es gibt keine universelle Wahrheit“, erklärt Joel Mainland. Selbst bei gleichen Gerüchen kommen Menschen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während eine Gruppe von Testern ein bestimmtes Aroma als „scharf, süß, geröstet, buttrig“ beschrieb, sagte ein Meisterparfümeur dazu lediglich: „Skihütte, Kamin ohne Feuer.“ Diese Diskrepanz zeigt, dass unser Vokabular zur Beschreibung von Gerüchen oft nicht ausreicht.
KI übertrifft menschliche Geruchswahrnehmung
Trotz dieser Herausforderung schnitt das KI-Modell im Vergleich zu den menschlichen Bewertungen überraschend gut ab. Die KI konnte Gerüche allein anhand der molekularen Struktur vorhersagen und lag dabei oft näher an den Durchschnittsbewertungen der menschlichen Gruppe als die Bewertungen einzelner Menschen. Die von der KI erzeugte Geruchslandkarte war äußerst komplex und hatte mehr als 250 Dimensionen, dennoch konnte sie Gerüche in Kategorien wie „fleischig“, „alkoholisch“ oder „holzig“ einteilen.
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Mainland erklärt den Erfolg des Modells durch seine Gründlichkeit. Während Menschen einen Geruch möglicherweise als „fruchtig“ bewerten und dabei vergessen, ihn auch als „süß“ zu klassifizieren, durchläuft die KI jede mögliche Kategorie und analysiert sie geduldig. Diese systematische Herangehensweise verschafft der KI einen entscheidenden Vorteil gegenüber menschlichen Testern.
Die Herausforderung: Geruchsmischungen und neue Düfte
Die größte Herausforderung besteht derzeit darin, herauszufinden, ob das Modell auch die Gerüche von Mischungen verschiedener Moleküle korrekt vorhersagen kann. Dies wäre ein wesentlicher Schritt, um die komplexe Natur von Geruchsmischungen zu verstehen. Gleichzeitig arbeiten Forscher wie Wiltschko und sein Team von Osmo daran, die KI so zu verbessern, dass sie nicht nur existierende Gerüche nachbilden, sondern auch völlig neue kreieren kann – zum Beispiel Düfte, die sicherer, nachhaltiger oder biologisch abbaubar sind.
Jane Parker, eine Geschmackschemikerin an der Universität von Reading, die das Team bei der Qualitätskontrolle der Geruchsmoleküle unterstützte, bleibt jedoch vorsichtig optimistisch. „Das Modell kann Ihnen eine Idee geben, was funktionieren könnte“, sagt sie. Doch sie betont, dass die Expertise von erfahrenen Chemikern und Parfümeuren, die ihre geschulten Nasen einsetzen, nach wie vor unerlässlich für Innovationen in der Duftforschung bleibt.
Praktische Anwendung: Geruch digital erkennen
Die Erkenntnisse aus der Geruchsforschung sind nicht nur spannend, sondern auch äußerst nützlich. Zahlreiche Unternehmen arbeiten bereits daran, elektronische Nasen zu entwickeln, die in der Lage sind, Gerüche präzise zu analysieren. Dies könnte beispielsweise in der Medizin eingesetzt werden, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Der Geruch des Atems könnte Hinweise auf Diabetes, Tuberkulose oder bestimmte Krebsarten geben. Auch in der Lebensmittelindustrie könnten solche Geräte eingesetzt werden, um verdorbene Nahrungsmittel sofort zu erkennen.
Ein weiteres spannendes Anwendungsfeld ist die öffentliche Sicherheit. Elektronische Nasen könnten gefährliche Chemikalien aufspüren, bevor sie zu einem Problem werden, oder die Luftqualität in Städten überwachen. Auch in der Kriminaltechnik könnten solche Technologien genutzt werden, um verdächtige Substanzen zu identifizieren.
Was du dir merken solltest:
- Künstliche Intelligenz (KI) kann Gerüche durch die Analyse molekularer Strukturen vorhersagen und arbeitet dabei oft präziser als menschliche Tester.
- Forscher entwickeln Modelle, um Geruchsmischungen zu verstehen und neue, sicherere oder nachhaltigere Düfte zu kreieren.
- Anwendungen reichen von der medizinischen Diagnose bis hin zur öffentlichen Sicherheit, wo elektronische Nasen Krankheiten erkennen oder gefährliche Stoffe aufspüren könnten.
Bild: © Pexels