Geheime Bruchlinien unter Neapel – KI spürt gefährliche Beben tief im Untergrund auf

Ein KI-Modell entdeckt tausende übersehene Erdbeben in einem gefährlichen Vulkangebiet Italiens – und macht neue Risiken sichtbar.

Tausend verborgene Erdbeben: KI zeigt Gefahr unter Neapel

Blick von Neapel auf die Phlegräischen Felder (Campi Flegrei): Das dicht besiedelte Gebiet liegt über einer aktiven Caldera. KI-gestützte Auswertungen zeigen, dass sich dort deutlich mehr Erdbeben ereignen als bislang bekannt. © Wikimedia

Westlich von Neapel liegt Campi Flegrei, ein aktiver Vulkan unter einer dicht besiedelten Region. Über 500.000 Menschen leben auf einem Untergrund, der in ständiger Bewegung ist. Nun zeigt eine neue Analyse: Die seismische Aktivität ist weitaus stärker als bisher angenommen. Ein Forscherteam hat mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) mehr als 54.000 Erdbeben zwischen 2022 und 2025 identifiziert – viermal so viele wie mit bisherigen Methoden.

Seismische Stationen erfassen zwar täglich große Datenmengen, doch viele kleinere Erschütterungen gehen im Hintergrundrauschen unter. Ein neues KI-Modell – entwickelt von der Stanford University, dem italienischen Geophysik-Institut INGV und der Universität Neapel Federico II – filtert diese Daten und macht auch schwache Beben sichtbar.

KI findet, was klassische Systeme übersehen

Dabei stieß das KI-System nicht nur auf Tausende unbemerkte Beben, sondern entdeckte auch zwei bislang unbekannte Bruchlinien unter der Stadt Pozzuoli. Diese tief liegenden Verwerfungen kreuzen sich direkt unter bebauten Flächen – und könnten Beben mit einer Stärke von bis zu 5 auslösen. Das wäre stark genug, um Gebäude zu beschädigen und Stadtteile zu erschüttern.

„Wir wissen schon lange, dass diese Region gefährlich ist – seit den 1980er-Jahren, als ein Teil der Stadt evakuiert werden musste“, sagt Seismologe Bill Ellsworth. Damals hob sich der Boden um fast zwei Meter.

Ringstruktur unter dem Vulkan erstmals klar sichtbar

Besonders auffällig: Die KI-Analyse machte erstmals eine klar ausgeprägte ringförmige Zone seismischer Aktivität unter der Caldera – einer großen, kesselartigen Vertiefung, die durch den Einsturz einer entleerten Magmakammer nach einem Vulkanausbruch entsteht – sichtbar. Diese war zuvor nur schwach erkennbar. „Früher war die seismische Struktur in der Caldera schwer zu erkennen – jetzt sehen wir eine sehr schmale und klar ausgeprägte Ringverwerfung“, erklärt Greg Beroza von der Stanford Doerr School of Sustainability.

Auch Studienautor Xing Tan war überrascht: „Unsere italienischen Kollegen hatten im Süden etwas erwartet, wo frühere Daten vereinzelte seismische Aktivität gezeigt hatten – aber im Norden hatten sie ihn noch nie so klar erkannt.“

Die ringförmige Zone unter der Campi-Flegrei-Caldera könnte entscheidend für das Spannungsverhalten im Gestein sein – und damit auch für mögliche Beben in geringer Tiefe.

Die Darstellung zeigt eine ringförmige Zone seismischer Aktivität unter der Campi-Flegrei-Caldera. Die KI-gestützte Analyse macht erstmals deutlich, wie klar sich diese Ringstruktur abzeichnet.
Eine ringförmige Zone seismischer Aktivität zieht sich unter der Campi-Flegrei-Caldera westlich von Neapel. Mithilfe von KI wurde die bislang nur schwach erkennbare Struktur erstmals deutlich sichtbar. © Xing Tan

Gefahr durch Druck, nicht durch Magma

Campi Flegrei ist ein sogenannter Supervulkan, der zuletzt vor rund 15.000 Jahren ausgebrochen ist. Aktuell gibt es keine Hinweise auf aufsteigendes Magma. Die Bedrohung geht stattdessen von anhaltendem Druck in der Tiefe aus. Dieser hebt den Boden und verändert die Spannung im Gestein – eine Konstellation, die auch ohne Magma plötzliche Beben auslösen kann.

„Eine der größten Sorgen in Campi Flegrei ist nicht ein Vulkanausbruch, sondern ein moderates Erdbeben in geringer Tiefe“, so Beroza.

Frühwarnsysteme und Einsatz in anderen Regionen

Die neue Technik erlaubt nicht nur die präzise Erfassung von Beben, sondern analysiert auch deren Ursprung in Echtzeit. Das verbessert die Frühwarnsysteme deutlich: Behörden gewinnen wertvolle Zeit, um gezielt zu reagieren, Rettungskräfte zu koordinieren und Gefahrenzonen neu zu bewerten.

Die KI könnte auch in anderen Regionen hilfreich sein – etwa auf Santorin, in der deutschen Eifel oder im Vogtland, wo regelmäßig kleinere Beben auftreten. Auch bei Geothermie-Projekten oder im Bergbau ist die neue Methode hilfreich.

In Italien nutzt das INGV das System bereits eigenständig. „Es kann sowohl der wissenschaftlichen Einschätzung als auch der öffentlichen Reaktion helfen, falls sich die Lage verändert“, sagt Beroza.

Kurz zusammengefasst:

  • Forscher haben mithilfe von KI über 54.000 Erdbeben in der Region Campi Flegrei nachgewiesen – viermal so viele wie bisher bekannt.
  • Die neue Technik zeigt auch bislang unsichtbare Bruchlinien, die Erdbeben bis zur Stärke 5 auslösen könnten – ohne dass Magma aufsteigt.
  • Das Verfahren verbessert Frühwarnsysteme deutlich und kann helfen, Erdbebenrisiken früher zu erkennen und gezielter zu reagieren.

Übrigens: Die gleichen geologischen Kräfte, die unter Neapel Erdbeben auslösen, können auch Gold an die Erdoberfläche befördern. Wie ein spezieller Schwefelkomplex dabei zum Schlüssel wird, zeigt eine Studie – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Baku via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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