CO₂-Senke unter Wasser: Seegraswiesen schlucken mehr Kohlenstoff pro Quadratmeter als der Regenwald

Als natürliche CO₂-Speicher binden Seegraswiesen enorme Mengen Kohlenstoff und könnten künftig in den Emissionshandel einfließen.

Vergessene CO₂-Speicher: Seegraswiesen schlagen viele Wälder

Seegraswiesen gelten als hocheffiziente CO₂-Speicher und binden weltweit jährlich bis zu 137 Millionen Tonnen Kohlenstoff. © CEAB-CSIC/BIOSFERA

Seegraswiesen gehören zu den produktivsten Pflanzengemeinschaften der Erde und sind zugleich beeindruckende CO₂-Speicher. Obwohl sie weniger als 0,2 Prozent des Meeresbodens bedecken, binden sie pro Quadratmeter ähnlich viel oder sogar mehr Kohlendioxid als tropische Regenwälder. Ihr Beitrag zum globalen Kohlenstoffkreislauf ist damit größer, als lange vermutet.

Eine aktuelle Studie im Fachjournal Nature Communications zeigt erstmals in globalem Maßstab, wie viel Kohlenstoff in der lebenden Biomasse von Seegras gespeichert ist. Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie wichtig Seegraswiesen nicht nur für das Ökosystem sind – sondern auch für den globalen Klimaschutz, etwa als Teil künftiger Emissionshandelssysteme.

Millionen Tonnen CO₂ unter dem Meeresboden

Das internationale Forschungsteam unter Leitung des Centre for Advanced Studies of Blanes hat Daten aus 351 Studien ausgewertet. Das Ergebnis:

  • Die weltweiten Seegraswiesen speichern in ihrer lebenden Biomasse zwischen 24 und 40 Millionen Tonnen Kohlenstoff.
  • Ihre jährliche CO₂-Aufnahme liegt zwischen 83 und 137 Millionen Tonnen Kohlenstoff.

Pro Hektar binden sie im Schnitt rund 6.700 Kilogramm Kohlenstoff pro Jahr – ähnlich viel wie tropische Regenwälder und deutlich mehr als Graslandschaften an Land. Ein erheblicher Teil dieses Kohlenstoffs wird über Wurzeln und Rhizome im Meeresboden eingelagert und bleibt dort über Jahrhunderte erhalten – eine „langfristige Klimaversicherung unter Wasser“, wie es einer der Studienautoren beschreibt.

Nicht alle Arten speichern gleich viel CO₂

Nicht alle Seegraswiesen sind gleich. Die Studie unterscheidet zwischen drei Typen:

  • Persistente Arten (z. B. Posidonia im Mittelmeer) wachsen langsam, leben lange und bilden große Mengen unterirdischer Biomasse. Sie speichern besonders viel Kohlenstoff.
  • Opportunistische Arten (z. B. Zostera, Syringodium) wachsen schneller, binden kurzfristig viel CO₂, speichern aber weniger in Wurzeln.
  • Kolonisierende Arten (z. B. Halophila) breiten sich schnell aus, sind aber sehr kurzlebig – ihre Speicherleistung ist gering.

Posidonia kommt laut Studie auf rund 9.780 Kilogramm Kohlenstoff pro Hektar, während Halophila nur etwa 190 Kilogramm speichert.

CO₂-Speicher unter Druck: Seegraswiesen weltweit in Gefahr

Besonders hohe CO₂-Speicherleistungen zeigen Seegraswiesen im Mittelmeerraum. Dort liegt der durchschnittliche Kohlenstoffgehalt bei 2.328 Kilogramm pro Hektar. Auch Australien, Mexiko und die USA leisten einen überdurchschnittlichen Beitrag zur weltweiten Kohlenstoffbindung durch Seegras. Australien nimmt mit mehr als 12.700 Gigagramm gespeicherten Kohlenstoffs weltweit eine Spitzenposition ein – gleichzeitig verzeichnet das Land die höchsten Verluste durch Seegrasabbau.

Laut Studie gehen jährlich zwischen 154 und 256 Gigagramm CO₂-Äquivalente verloren, allein durch die Zerstörung der lebenden Biomasse. Besonders stark betroffen sind Australien, Spanien, Mexiko, Italien und die USA. Diese fünf Länder zusammen sind für etwa 82 Prozent der globalen Emissionen aus dem Rückgang der Seegraswiesen verantwortlich.

Seegras im Emissionshandel denkbar

Die Studienautoren empfehlen, Seegraswiesen künftig in Kohlenstoffmärkte einzubeziehen – vergleichbar mit Wäldern oder Mooren. In der Publikation schreiben sie:

Seegraswiesen sind ein Grundpfeiler im Kampf gegen den Klimawandel.

CO₂-Zertifikate könnten dazu beitragen, Schutz und Wiederherstellung finanziell zu fördern. Erste Programme wie VERRA oder die australische „Wetlands-Methode“ erfassen bereits die Rolle von Seegras im Kohlenstoffkreislauf. Entscheidend ist, dass die Wiesen langfristig stabil bleiben oder wiederhergestellt werden. Das ist bei langlebigen Arten wie Posidonia gut umsetzbar, bei kurzlebigen Kolonisierern aber schwieriger.

CO₂-Speicher, Küstenschutz, Lebensraum – was Seegras alles leistet

Der Nutzen von Seegras geht weit über Klimaschutz hinaus:

  • Die Pflanzen stabilisieren Küstenlinien und verringern Erosion.
  • Sie filtern Nährstoffe aus dem Wasser und verbessern so die Wasserqualität.
  • Sie bieten Lebensraum für zahlreiche Fische, Krustentiere und andere Meerestiere.

Wird Seegras zerstört, entfallen nicht nur diese Funktionen – auch Kohlenstoff aus Jahrhunderten kann aus dem Meeresboden entweichen. Die Wirkung ist vergleichbar mit dem Verlust alter Wälder an Land.

Kurz zusammengefasst:

  • Seegraswiesen sind hocheffiziente CO₂-Speicher: Sie binden pro Hektar jährlich bis zu 6.700 kg Kohlenstoff – mehr als viele Wälder – und speichern weltweit bis zu 40 Millionen Tonnen in ihrer Biomasse.
  • Nicht jede Seegrasart speichert gleich viel CO₂: Langlebige Arten wie Posidonia speichern deutlich mehr Kohlenstoff als kurzlebige Arten wie Halophila.
  • Intakte Wiesen verhindern Emissionen aus dem Meeresboden, verbessern die Wasserqualität – und könnten künftig Teil internationaler CO₂-Handelssysteme sein.

Übrigens: Im Mittelmeer zeigt sich schon heute, wie rasant der Klimawandel Meeresökosysteme verändert – Seegraswiesen sterben, Fische verschwinden, Küsten bröckeln. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © CEAB-CSIC

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