Licht aktiviert Zellen gezielt – Neues Protein kann Blinden, Tauben und Herzkranken helfen

Göttinger Forscher testen ein Protein, das Zellen mit Licht steuert – damit könnten neue Behandlungen ohne Operation möglich werden.

Optogenetik: Licht steuert Zellen bei Herz-, Seh- und Hörproblemen

Die Optogenetik ist ein Verfahren, bei dem Licht gezielt eingesetzt wird, um bestimmte Zellen im Körper zu steuern. Forscher nutzen dafür lichtempfindliche Eiweiße, die sie mithilfe genetischer Methoden in Zellen einschleusen. © DALL-E

Ein Lichtsignal, kaum heller als ein Handybildschirm – und dennoch reicht es aus, um Herzschläge auszulösen, Sehzellen zu aktivieren oder Hörnerven anzusprechen. Möglich macht das ein neues Protein, entwickelt von einem Forschungsteam der Universitätsmedizin Göttingen. Die Technik dahinter heißt Optogenetik. Sie nutzt Licht, um gezielt Zellen im Körper zu steuern. In einer aktuellen Studie zeigen die Göttinger Forscher, wie sich damit künftig Therapien bei Blindheit, Hörverlust oder Herzrhythmusstörungen entwickeln lassen – sanft, präzise und ohne Eingriff.

Licht steuert gezielt Körperzellen

Die Methode beruht auf einem einfachen Prinzip: Bestimmte Körperzellen erhalten den genetischen Bauplan für ein lichtempfindliches Eiweiß. Diesen schleusen die Forscher mithilfe harmloser Viren in die Zellen ein. Sobald Licht auf diese Zellen trifft, reagieren sie – sie lassen sich aktivieren, hemmen oder gezielt steuern.

Das neue Protein mit dem Namen ChReef gehört zur Gruppe der sogenannten Kanalrhodopsine. Es ist besonders lichtempfindlich und funktioniert schon bei sehr schwacher Beleuchtung, etwa auf dem Niveau eines Tablet-Bildschirms. Genau das unterscheidet ChReef von älteren Varianten.

Warum ChReef für Therapien geeignet ist

ChReef kombiniert mehrere Vorteile, die es für medizinische Therapien interessant machen:

  • Sehr lichtempfindlich: Es funktioniert schon bei geringer Helligkeit.
  • Schnell: Es reagiert innerhalb von 30 Millisekunden.
  • Stabil: Es bleibt auch bei Dauerlicht wirksam.
  • Energiesparend: Es braucht nur ein Zehntel der Energie älterer Proteine.

Außerdem verliert es auch bei längerem Einsatz nicht an Wirkung. Das war bisher ein Problem bei anderen lichtempfindlichen Proteinen – sie ermüdeten nach kurzer Zeit.

Optogenetik gegen Kammerflimmern: Protein steuert Herzrhythmus

Besonders vielversprechend ist der Einsatz im Bereich Herzrhythmus. Die Göttinger Forscher testeten ChReef im Herzen von neugeborenen Mäusen. Schon schwache Lichtimpulse reichten aus, um das Herz zuverlässig in einen gleichmäßigen Rhythmus zu bringen – ganz ohne Stromstoß.

Bei dauerhaftem roten Licht konnte ChReef in fast allen Versuchen die Herzaktionen stoppen. Das ist zum Beispiel wichtig, wenn gefährliches Kammerflimmern behandelt werden muss. Herkömmliche Methoden nutzen dazu elektrische Schocks. ChReef bietet hier eine sanftere Alternative.

Licht bringt das Sehen zurück

Auch am Auge wurde ChReef getestet – bei Mäusen, die aufgrund einer genetischen Erkrankung blind waren. Das Protein wurde in das Auge gespritzt. Danach reagierte die Netzhaut bereits auf sehr schwaches Licht, etwa vergleichbar mit einer normalen Wohnzimmerlampe.

Die Tiere zeigten wieder ein natürliches Verhalten: Sie mieden helle Umgebungen, so wie es sehende Mäuse tun. Im Gehirn konnten Forscher zudem erkennen, dass das Sehen tatsächlich wieder aktiviert war.

Hören mit Lichtimpulsen

Nicht nur Herz und Auge reagieren auf das neue Protein – auch das Innenohr. In Versuchen mit Rennmäusen und Affen zeigte sich: Der Hörnerv antwortet auf Lichtimpulse mit sehr geringer Energie. Damit braucht ChReef zehnmal weniger Energie als frühere vergleichbare Proteine.

Die Nervenzellen reagierten sehr zuverlässig. Zwei Drittel feuerten nach einem Lichtimpuls ein elektrisches Signal ab. Bei einem Drittel waren es sogar mehrere Signale. Das funktionierte auch bei schnellen Lichtfolgen – bis zu 100-mal pro Sekunde. Laut Projektleiter Prof. Tobias Moser ist das ein großer Schritt in Richtung Anwendung beim Menschen.

Tiermodelle zeigen Wirkung über Wochen

Die Wirkung von ChReef wurde in mehreren Tiermodellen untersucht – unter anderem bei Mäusen, Rennmäusen und Marmosetten, einer Primatenart. In einer Studie konnte ein Affe noch 75 Tage nach der Injektion mit Licht stimuliert werden. Das spricht für eine anhaltende Wirkung.

Die Lichtimpulse lagen immer im sichtbaren Bereich. Es wurden keine gefährlichen Laser oder UV-Strahlen eingesetzt. Auch das lässt auf gute Verträglichkeit für einen späteren Einsatz beim Menschen hoffen.

Optogenetik-Behandlungen könnten bald Realität werden

Blindheit, Hörverlust, Herzprobleme – bisher gibt es für viele dieser Erkrankungen nur invasive oder wenig zielgerichtete Therapien. ChReef könnte das ändern. Denn Licht lässt sich sehr gezielt einsetzen, ohne den Körper zu belasten.

Noch ist das Protein nicht in klinischer Anwendung. Aber die bisherigen Forschungsergebnisse machen Hoffnung, dass es bald soweit sein könnte.

Kurz zusammengefasst:

  • Optogenetik ist ein Verfahren, bei dem Körperzellen mithilfe von Licht gezielt gesteuert werden – das neue Protein ChReef reagiert dabei bereits auf sehr schwaches Licht und eignet sich für präzise Eingriffe ohne Strom oder Operation.
  • ChReef wurde von der Universitätsmedizin Göttingen entwickelt und in Tiermodellen erfolgreich getestet: Es kann Herzrhythmus beeinflussen, Sehfunktionen bei blinden Mäusen reaktivieren und Hörnerven mit minimaler Lichtenergie ansprechen.
  • Das Protein ist besonders lichtempfindlich, schnell, stabil und energiesparend – seine Wirkung bleibt auch bei längerer Anwendung erhalten und zeigt Potenzial für sanfte Therapien bei bisher schwer behandelbaren Erkrankungen.

Übrigens: Schon ein kaum spürbarer Stromfluss im Kopf kann beeinflussen, wie schnell und flexibel Menschen Entscheidungen treffen. Eine Studie der Universität Halle zeigt, dass gezielte Hirnstimulation die Aktivität wichtiger Denkregionen messbar verändert. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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