Deutschland verschenkt grünen Strom – ohne Speicher kostet die Energiewende bis zu 60 Milliarden mehr
Deutschland muss immer mehr Ökostrom abregeln. Ohne Speicher steigen Importe und Energiekosten – bis zu 60 Milliarden Euro Mehrkosten drohen.

Im Norden Deutschlands liefern Windräder besonders viel Strom, doch der wird nicht immer in vollem Ausmaß genutzt. © Unsplash
Wenn zu viel Strom aus Wind und Sonne produziert wird, aber niemand ihn gerade braucht, verpufft ein Teil der Energie ungenutzt. Dieses Problem wird in den kommenden Jahren zunehmen – denn das deutsche Energiesystem soll bis 2045 vollständig klimaneutral werden. Laut einer neuen Studie der Leibniz Universität Hannover könnte der gezielte Ausbau von Stromspeichern und Elektrolyseuren entscheidend dazu beitragen, Kosten zu senken und erneuerbare Energien besser zu nutzen.
Die Forscher haben ein Modell entwickelt, das die Entwicklung des Energiesystems bis 2050 simuliert. Ergebnis: Ohne ausreichend Flexibilität droht nicht nur der Verlust von Ökostrom, sondern auch ein Anstieg der Importe und Milliarden an Mehrkosten.
Speicher helfen, Ökostrom effizient zu nutzen
Im optimierten Szenario wird etwa ein Drittel des erneuerbaren Stroms zunächst zwischengespeichert oder in Wasserstoff umgewandelt. Diese Flexibilität sorgt dafür, dass Strom aus Wind- und Solaranlagen nicht abgeregelt werden muss, wenn er gerade nicht gebraucht wird. „35 Prozent des erneuerbaren Stroms werden zunächst von Batterien zwischengespeichert oder von Elektrolyseuren in Wasserstoff gewandelt“, heißt es in der Studie.
Dieser Wasserstoff kann zum Beispiel in der Industrie weiterverwendet werden. Batteriespeicher hingegen gleichen vor allem tägliche Schwankungen aus – etwa wenn tagsüber viel Solarstrom produziert wird, aber erst am Abend gebraucht wird.
Stromspeicher für die Energiewende: Unterschiede nach Region planen
Das Modell zeigt: Die Verteilung der Anlagen muss sich am regionalen Stromangebot orientieren. Im Norden Deutschlands gibt es viel Windkraft – dort rechnet sich der Einsatz von Elektrolyseuren besonders. Im Süden, wo Solarstrom dominiert, braucht es vor allem Batteriespeicher. In Bayern und Baden-Württemberg sollen laut Studie bis 2050 über 120 Gigawattstunden Speicherkapazität aufgebaut werden.
Auch im nordwestlichen Niedersachsen sind große Kapazitäten vorgesehen. Grund dafür sind hohe Windstrommengen von See und günstige geologische Bedingungen für Wasserstoffspeicher in Salzkavernen.
Verzögerter Ausbau verursacht enorme Kosten
Was passiert, wenn der Ausbau nicht schnell genug gelingt? Laut Szenario könnte sich die Menge an ungenutztem Strom – die sogenannte Abregelung – in den Jahren 2035 und 2040 um 85 Prozent erhöhen. Dann müssten jährlich rund 75 Terawattstunden Strom abgeschaltet werden – so viel wie rund 15 Millionen Haushalte verbrauchen.
Alexander Mahner, Erstautor der Studie, warnt: „Wenn wir das nicht in ausreichendem Maße tun, könnten die Gesamtkosten der Energiewende um bis zu 60 Milliarden Euro steigen, weil wir mehr Importe benötigen.“
Begrenzter Ausbau vervierfacht Stromverluste
Wird die Leistung von Speichern und Elektrolyseuren dauerhaft auf einem zu niedrigen Niveau gehalten, steigen die Abregelungsverluste an. Bis zu 100 Terawattstunden pro Jahr an ungenutztem Strom wären die Folge – viermal mehr als im optimierten Szenario. Besonders betroffen: Regionen mit vielen Solar- oder Windanlagen, etwa Bayern und das nordwestliche Niedersachsen.
Gleichzeitig müssten rund 20 Prozent mehr Wasserstoff und Wasserstoffderivate aus dem Ausland bezogen werden. Das treibt nicht nur die Gesamtkosten um über 60 Milliarden Euro in die Höhe, sondern macht das Energiesystem auch deutlich anfälliger.
Investitionen zahlen sich früh aus
Die Studie zeigt auch, wie sich sinkende Technologiepreise auswirken. Wenn Elektrolyseure und Batteriespeicher um 25 Prozent günstiger würden, könnte die Abregelung ab 2035 um rund 30 Terawattstunden reduziert werden. Das entspricht fast der Hälfte des heutigen Stromverbrauchs in Berlin.
Der Einfluss von günstigen Elektrolyseuren ist dabei deutlich größer als der von günstigen Batteriespeichern. Die Studienautoren sehen hier erhebliches Potenzial für politische Förderprogramme, um Investitionen in diese Technologien frühzeitig anzureizen.
Speicher entlasten das Netz und erhöhen Akzeptanz
Neben dem wirtschaftlichen Vorteil hat der gezielte Ausbau auch gesellschaftliche Effekte: Durch mehr Flexibilität lassen sich Stromüberschüsse regional besser nutzen – das entlastet das Stromnetz und reduziert die Zahl zusätzlicher Windräder. „Die systemdienliche Ansiedlung kann die Anzahl der benötigten Windräder zur Erreichung der politischen Ziele reduzieren“, heißt es in der Studie.
Das könnte die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen, insbesondere in Regionen, in denen der Netzausbau oder neue Windparks umstritten sind.
Kurz zusammengefasst:
- Ohne ausreichend Stromspeicher und Elektrolyseure müssen große Mengen Ökostrom abgeschaltet werden – das treibt die Kosten der Energiewende unnötig in die Höhe.
- Der gezielte Ausbau dieser Technologien, regional angepasst an Wind- und Sonnenstandorte, kann bis 2050 rund 60 Milliarden Euro einsparen.
- Besonders wichtig sind Speicher im Süden für Solarstrom und Elektrolyseure im Norden für Windstrom – sonst drohen mehr Importe und Energieverluste.
Übrigens: Forscher haben ein Modell vorgestellt, mit dem die Schweiz in nur 5 Jahren die Energiewende schaffen könnte. Mehr dazu gibt es in unserem Artikel.
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