Wenn Regen Nikotin aus tausenden Kippen in Seen spült: So stark sind Berliner Gewässer belastet
Berliner Forscher finden das Gift aus Zigaretten in jedem See – Regen spült gefährliche Mengen Nikotin direkt in die Natur.

Zigarettenkippen gelten als Hauptquelle der Belastung: Bereits eine einzelne enthält genug Nikotin, um Kleinstlebewesen wie Wasserflöhe zu schädigen. © Pexels
Ein Sommertag am See, klares Wasser, spielende Kinder – und doch schwimmt unsichtbar ein Schadstoff mit: Nikotin aus weggeworfenen Zigarettenkippen. Eine aktuelle Untersuchung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigt: In allen untersuchten Berliner Gewässern konnte Nikotin nachgewiesen werden – oft in Konzentrationen, die für empfindliche Wasserorganismen riskant sind.
Nikotin in Gewässern – die unsichtbare Quelle
In Deutschland werden laut Studien bis zu 90 Prozent aller gerauchten Zigarettenstummel achtlos weggeworfen – auf Gehwege, an Bushaltestellen oder ins Gras am Seeufer. Seit Nikotin als Insektizid verboten ist, stammt es fast ausschließlich aus Tabakprodukten. Jeder Filter enthält im Schnitt 2,1 Milligramm Nikotin – genug, um in einem Liter Wasser mehrere Tausend Nanogramm zu erreichen. Bereits nach einer halben Stunde Regen ist die Hälfte des enthaltenen Nikotins aus dem Filter ausgewaschen und auf dem Weg ins nächste Gewässer.
„Die Hauptquelle für Nikotin ist tatsächlich der Niederschlag beziehungsweise Einleitungen aus der Kanalisation“, sagt Studienleiter Dr. Markus Venohr. Neben Nikotin gelangen auch Schwermetalle wie Arsen und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) ins Wasser – ein giftiger Cocktail, der sich gegenseitig in seiner Wirkung verstärken kann.
Die Berliner Messergebnisse
Zwischen Mai und Juli 2019 nahmen die Forscher Proben an 56 Stellen – darunter Flüsse, Seen, Kanäle, Teiche und Bäche.
- Nikotin in jeder Probe: Werte zwischen 7 und 1.469 Nanogramm pro Liter (ng/l)
- Durchschnitt: 73 ng/l
- Höchstwerte: In Kanälen nach Regen – bis zu 16-mal höher als bei Trockenwetter
Die Belastung hing stark vom Gewässertyp ab:
- Kanäle: 249 ng/l im Schnitt
- Teiche: 81 ng/l
- Flüsse: 43 ng/l
- Seen: 26 ng/l
- Kanalisierte Bäche: 10 ng/l
Gewässer mit direktem Anschluss an die Kanalisation hatten doppelt so hohe Nikotinwerte wie solche ohne.
Regen macht den Unterschied
An heißen, trockenen Tagen lagen die Werte im Mittel bei 33 ng/l. Nach Regen stiegen sie auf 166 ng/l – im Landwehrkanal auf Spitzenwerte von über 1.400 ng/l. Ursache ist der sogenannte First-Flush-Effekt: Bei Trockenheit sammeln sich Kippen auf Straßen und Plätzen an. Fällt dann starker Regen, werden sie in kurzer Zeit in großer Zahl ausgespült.
Besonders problematisch: In dicht bebauten Stadtgebieten mit vielen Haltestellen und hoher Besucherfrequenz steigt die Wahrscheinlichkeit, dass große Mengen Kippen gleichzeitig ins Wasser gelangen.
Risiko für Mensch und Umwelt
Für viele Fischarten liegen die gemessenen Werte unterhalb der akuten tödlichen Dosis (2.210–8.450 ng/l). Aber:
- Für Wasserflöhe (Daphnien) liegt der Schwellenwert für „keine schädlichen Effekte“ (PNEC) bei 100 ng/l – dieser wurde nach Regen mehrfach überschritten. Der sogenannte PNEC-Wert gibt an, ab welcher Konzentration eines Stoffes in der Umwelt keine Schäden bei einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart zu erwarten sind. Liegt der gemessene Wert darüber, können die Tiere bereits spürbar beeinträchtigt werden, auch wenn sie nicht sofort sterben.
- Chronische Effekte sind möglich: Bei längerem Kontakt können selbst niedrigere Werte Fortpflanzung und Entwicklung von Wasserorganismen beeinträchtigen.
Und auch wenn für Menschen beim Baden keine unmittelbare Vergiftungsgefahr besteht, ist die Belastung ein Indikator für eine ganze Palette weiterer Schadstoffe aus Kippen – Stoffe, die sich im Ökosystem anreichern können.
Sauber wirkende Seen, versteckte Gefahr: Folgen für Freizeit, Tourismus und Gesundheit
Die Studie zeigt klar: Nikotin ist kein rein ökologisches Problem.
- Badegewässer wie Krumme Lanke oder Rummelsburger Bucht können auch dann belastet sein, wenn sie sauber aussehen.
- Tourismus und Freizeitqualität leiden, wenn die Wasserqualität sinkt.
- Kosten für Aufbereitung und Reinigung trägt am Ende die Allgemeinheit.
- Kinder können an belasteten Uferbereichen leicht mit Nikotin und anderen Giften in Kontakt kommen – etwa beim Spielen im Sand oder Planschen im Flachwasser.
Was die Forscher empfehlen
Weil Nikotin vor allem aus achtlos weggeworfenen Filtern stammt, sehen die Wissenschaftler Prävention als wichtigsten Hebel. Sinnvolle Maßnahmen:
- Mehr Abfallbehälter an Hotspots und Haltestellen
- Häufigere Reinigung in belasteten Bereichen
- Mitnahme-Aschenbecher für unterwegs
- Sammelaktionen an Ufern und in Parks
- Konsequente Ahndung von Verstößen – Berlin erhebt zwar Bußgelder zwischen 80 und 120 Euro, doch Kontrollen sind selten
Langfristig schlagen Experten sogar ein Pfandsystem für Zigarettenfilter vor – ähnlich wie bei Flaschen – um das achtlose Wegwerfen unattraktiv zu machen.
Kurz zusammengefasst:
- In allen untersuchten Berliner Gewässern fand das IGB Nikotin, vor allem aus weggeworfenen Zigarettenkippen, die Regen in Flüsse, Seen und Kanäle spült.
- Nach Starkregen steigen die Werte teils um das 16-Fache, besonders in Kanälen und dicht besiedelten Gebieten, was empfindliche Arten wie Wasserflöhe gefährdet.
- Zigarettenstummel setzen neben Nikotin auch andere Giftstoffe frei, die zusammen die Wasserqualität und das städtische Ökosystem stark belasten können.
Übrigens: Immer weniger Jugendliche rauchen Zigaretten – doch süße Aromen und knallige Designs führen sie direkt zur E-Zigarette. Mehr dazu in unserem Artikel.
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