Mini-Implantat bringt Sehvermögen zurück – Hoffnung für Millionen mit Makuladegeneration

Ein winziges Implantat ermöglicht erstmals, verlorenes Sehvermögen bei Makuladegeneration teilweise zurückzubringen – mit messbarem Erfolg.

Makuladegeneration: Mini-Implantat bringt Sehvermögen zurück

Links: So sieht ein Patient mit Makuladegeneration – rechts zeigt das PRIMA-Implantat, wie das Sehen wieder möglich wird. © Palanker Lab, Stanford University

Ein Implantat, kaum größer als eine Stecknadelspitze, gibt Menschen mit fortgeschrittener Makuladegeneration erstmals einen Teil ihres Sehvermögens zurück. In einer Studie konnten die meisten Patienten nach Jahren der Blindheit wieder Buchstaben, Gesichter oder Straßenschilder erkennen.

Das Implantat, genannt PRIMA, stammt aus einem Forschungsteam der Stanford University. Es besteht aus einem winzigen Chip, der unter die Netzhaut eingesetzt wird, und einer Brille, die Infrarotbilder an das Implantat sendet. Diese Lichtsignale werden dort in elektrische Impulse umgewandelt und aktivieren verbliebene Nervenzellen der Netzhaut – ähnlich wie natürliche Sehzellen.

Makuladegeneration-Implantat ermöglicht erstmals künstliches Sehen

So entsteht eine Art künstliches Sehen, das Patienten wieder Orientierung im Alltag ermöglicht. Anders als frühere Modelle, die nur Licht und Schatten wahrnehmen ließen, erzeugt PRIMA Formen und Buchstaben. „Wir sind die Ersten, die sogenanntes Formsehen ermöglichen“, sagte Daniel Palanker, Professor für Ophthalmologie an der Stanford University und Miterfinder des Chips.

Patienten können wieder lesen – wenn auch in Schwarzweiß

In der klinischen Studie nahmen 38 Menschen mit fortgeschrittener altersbedingter Makuladegeneration teil. Bei dieser Erkrankung sterben die Lichtrezeptoren im Zentrum der Netzhaut ab, wodurch Betroffene in der Mitte ihres Blickfelds nur noch einen dunklen Fleck sehen.

Ein Jahr nach der Operation konnten 27 der 32 ausgewerteten Teilnehmer wieder lesen – manche sogar mit einer Sehschärfe, die einer Sehleistung von 50 Prozent entspricht. Die Patienten nutzten das System im Alltag, um Bücher, Lebensmitteletiketten oder U-Bahn-Schilder zu lesen. Mithilfe einer Zoom-Funktion in der Brille konnten sie einzelne Buchstaben stark vergrößern, um Texte zu entziffern.

Experten loben Fortschritt, warnen aber vor falschen Erwartungen

Fachärzte sehen in den Ergebnissen einen bedeutenden Fortschritt, warnen aber vor überzogenen Hoffnungen. „Das ist die Spitze der Forschung“, sagte Demetrios Vavvas vom Massachusetts Eye and Ear Hospital, der nicht an der Studie beteiligt war, laut New York Times. Das Implantat sei keine Heilung, aber der Beginn einer Technologie, „die sich deutlich weiterentwickeln wird“.

Auch andere Experten äußern sich vorsichtig optimistisch. „Dass Patienten einen Teil ihres Sehvermögens zurückgewinnen können, ist erstaunlich“, sagte Ronald Adelman von der Mayo Clinic in Florida.

Winziger Chip ersetzt zerstörte Sehzellen

Das Implantat misst nur zwei Millimeter und arbeitet photovoltaisch – es braucht keine Drähte oder externe Stromquelle. Das Licht, das von der Brille auf die Netzhaut projiziert wird, reicht aus, um elektrische Signale zu erzeugen. So bleibt das System drahtlos und lässt sich dauerhaft im Auge belassen.

Das Design nutzt, was bei den Patienten erhalten bleibt: die funktionierende Peripherie der Netzhaut. So entsteht ein kombiniertes Sehen – das natürliche seitliche Sehen und das künstliche zentrale Bild. „Dass Patienten beides gleichzeitig nutzen können, ist entscheidend“, so Palanker.

Training bringt das Gehirn zurück ins Sehen

Nach der Operation dauerte es mehrere Wochen, bis das Gehirn die neuen Signale umsetzen konnte. Die Patienten mussten lernen, das künstliche Bild zu interpretieren. Das Training dauerte oft Monate. Palanker vergleicht das mit Hörübungen nach einem Cochlea-Implantat: Auch dort muss das Gehirn erst verstehen, was es wahrnimmt.

Von den 38 behandelten Personen zeigten 26 eine messbare Verbesserung der Sehschärfe – im Schnitt gewannen sie fünf Zeilen auf der üblichen Sehprobentafel. Einige Patienten erreichten sogar zwölf Zeilen Unterschied. Zwei Drittel äußerten laut Studienbericht eine mittlere bis hohe Zufriedenheit mit dem Ergebnis.

Makuladegeneration-Implantat übertrifft bisherige Therapien deutlich

Bisher konnten Medikamente wie Pegcetacoplan oder Avacincaptad den Krankheitsverlauf nur bremsen. „Man wird einfach langsamer schlechter“, sagte Royce W. Chen von der Columbia University in der New York Times. Das Implantat unterscheidet sich grundlegend, weil es verlorenes Sehen teilweise zurückbringt – etwas, das bislang als unmöglich galt.

Für viele ältere Patienten, die bisher keine wirksame Therapie hatten, bedeutet das eine neue Perspektive: Sie können wieder lesen, Gesichter erkennen und sich sicherer im Alltag bewegen.

Nebenwirkungen bleiben meist vorübergehend

Wie bei jeder Operation am Auge traten Nebenwirkungen auf. 19 der 38 Patienten entwickelten kurzzeitig erhöhten Augeninnendruck, Blutungen oder kleine Risse an der Netzhaut. Die meisten Komplikationen heilten innerhalb von zwei Monaten ab. Das natürliche Restsehen blieb unverändert.

Die Nachfrage nach wirksamen Behandlungen ist groß. Viele Betroffene hatten bislang zu teuren und wirkungslosen Stammzelltherapien gegriffen – oft für mehrere Tausend Euro pro Versuch. Für sie bedeutet das neue Verfahren eine echte Perspektive, statt falscher Versprechen.

Unternehmen plant Zulassung in Europa und USA

Entwickelt wurde das System ursprünglich vom französischen Unternehmen Pixium Vision. Nach dessen Insolvenz übernahm die kalifornische Firma Science Corporation die Technologie. Sie plant nun, das Implantat in Europa auf den Markt zu bringen und führt Gespräche mit der US-Zulassungsbehörde FDA.

Derzeit liefert das Implantat nur Schwarzweißbilder mit begrenztem Sichtfeld. Eine Software, die künftig Graustufen ermöglichen soll, befindet sich bereits in Entwicklung.

Neue Generation mit höherer Auflösung geplant

Das Team um Palanker arbeitet bereits an einer verbesserten Version. Der neue Chip soll deutlich mehr Pixel enthalten und so die Auflösung steigern. Während die aktuelle Variante 378 Pixel hat, ist beim Nachfolgemodell rund 10.000 geplant.

„Ganz oben auf der Wunschliste der Patienten steht das Lesen, gleich dahinter kommt das Wiedererkennen von Gesichtern“, sagte Palanker. Das Implantat bringt für viele schon heute ein Stück Selbstständigkeit zurück – und die Aussicht, wieder einen Teil der Welt zu sehen, den sie längst verloren glaubten.

Kurz zusammengefasst:

  • Das neue PRIMA-Implantat ermöglicht Menschen mit fortgeschrittener Makuladegeneration, Teile ihres Sehvermögens wiederzuerlangen – viele können wieder lesen und sich besser orientieren.
  • In einer klinischen Studie zeigten 81 Prozent der Teilnehmer eine messbare Sehverbesserung, die oft über mehrere Zeilen auf der Sehprobentafel hinausging.
  • Das System kombiniert ein photovoltaisches Netzhautimplantat mit einer Spezialbrille und gilt als erster funktionaler Ansatz, verlorenes Sehen technisch wiederherzustellen.

Übrigens: Nicht nur Technik, auch Ernährung kann über unser Sehen entscheiden. Eine neue Studie warnt, dass Instantkaffee das Risiko für altersbedingte Makuladegeneration um das Siebenfache steigern kann – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Palanker Lab, Stanford University

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