Neue KI weiß Tage früher, wann Flüsse über die Ufer treten – und warnt rechtzeitig vor Hochwasser
Eine neue KI berechnet, wann Flüsse überlaufen – und erkennt Hochwasser und Dürren Tage früher als bisher.
Forscher der Pennsylvania State University nutzen künstliche Intelligenz, um Wasserflüsse weltweit zu berechnen – und Hochwasser Tage vor dem Anstieg der Pegel zu erkennen. © Unsplash
Hochwasser trifft Menschen weltweit immer häufiger – und die Schäden wachsen mit jedem Jahr. Längere Regenperioden, überforderte Flusssysteme und ausgetrocknete Böden verstärken sich gegenseitig. Während die einen mit Überschwemmungen kämpfen, ringen andere Regionen mit extremer Trockenheit. Der globale Wasserkreislauf gerät aus dem Takt – mit spürbaren Folgen für Landwirtschaft, Städte und Trinkwasserversorgung.
Forscher der Pennsylvania State University haben nun ein Modell entwickelt, das hilft, beide Vorgänge genauer zu erfassen: Wie sich Hochwasser ankündigt – und wo Dürren entstehen. Es verknüpft künstliche Intelligenz mit physikalischen Gesetzen und kann berechnen, wie Regen, Bodenfeuchte, Verdunstung und Flussabfluss zusammenwirken. Damit werden erstmals Prognosen möglich, die weltweit gelten und trotzdem lokal verlässlich sind.
Das neue Modell berechnet den Wasserkreislauf präziser
Herkömmliche Hochwasserprognosen stoßen oft an ihre Grenzen: Sie benötigen viele Messdaten, reagieren träge und liefern häufig ungenaue Werte, besonders in Regionen mit wenigen Pegeln. Das neue System, das in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellt wurde, löst dieses Problem mit einem lernfähigen Ansatz.
Die Forscher trainierten ihre künstliche Intelligenz mit Daten aus 4.746 Flussbecken weltweit. Das Modell erkennt Muster darin, wie Wasser durch Regen, Böden und Flüsse zirkuliert – und passt sich selbstständig an lokale Besonderheiten an. So kann es Vorhersagen für Gebiete mit einer Auflösung von nur sechs Quadratkilometern liefern. Das entspricht der Fläche eines kleinen Dorfes.
Das System ist damit nicht nur global einsetzbar, sondern auch praxisnah für Kommunen, Landwirte und den Katastrophenschutz. Es errechnet, wann Flüsse steigen, wie stark der Boden gesättigt ist und wie sich anhaltende Regenfälle auf Abflüsse auswirken – und das Tage im Voraus.
Physik und KI arbeiten erstmals Hand in Hand
Das Besondere an der neuen Technologie ist die Verbindung zweier Welten: neuronale Netze und Physik. Während die KI aus Daten lernt, sorgt der physikalische Teil dafür, dass die Berechnungen den Naturgesetzen folgen – also etwa dem Energie- und Wasserkreislauf.
„Dieses Modell verändert die globale Hydrologie. Es ist weltweit einsetzbar und kann gleichzeitig auf lokaler Ebene verlässliche Ergebnisse liefern“, sagt der Leiter der Studie, Professor Chaopeng Shen. Das System, so Shen, könne künftig sogar Regionen helfen, die bislang keine eigenen Warnsysteme besitzen.
Die KI berechnet in Echtzeit, wie sich Wasser zwischen Flüssen, Grundwasser und Landschaft verschiebt. Sie erkennt Veränderungen, die sonst erst Wochen oder Monate später messbar wären. Für viele Länder, in denen verlässliche Daten fehlen, könnte das ein entscheidender Fortschritt im Katastrophenschutz sein.
Klarer Nutzen für Planung, Landwirtschaft und Städte
Die Studie zeigt auch, dass sich der globale Wasserkreislauf seit 2001 messbar verändert hat – und zwar regional unterschiedlich.
- In Nordamerika und Asien fließt mehr Wasser an der Oberfläche ab, was das Risiko für Überschwemmungen erhöht.
- In Mitteleuropa, Südamerika und Australien nimmt dagegen die Verdunstung zu. Dadurch sinken die Flusspegel, Trockenzeiten werden häufiger.
- Besonders stark betroffen sind Küstenregionen an Nordsee und Ärmelkanal, wo die jährlichen Süßwasserzuflüsse in die Mündungsgebiete um bis zu 30 Prozent zurückgegangen sind.
Solche Verschiebungen beeinflussen nicht nur die Hochwassergefahr, sondern auch Trinkwasserreserven, Landwirtschaft und Ökosysteme. Wenn weniger Süßwasser in Flussmündungen gelangt, steigt dort der Salzgehalt – ein Risiko für Fische und Pflanzen.
Automatisierte Kalibrierung spart Zeit und Geld
Ein weiterer Vorteil des Systems liegt in seiner Effizienz. Früher mussten Forscher für jedes Flussbecken eigene Parameter berechnen – eine mühsame Arbeit, die oft Wochen dauerte. Shen erklärt: „Früher war die Kalibrierung eine Geschichte von Schweiß und Tränen. Jetzt kann die KI die Parameter automatisch erzeugen, während sie aus Beobachtungen lernt.“
Das Modell passt sich laufend an neue Wetterdaten an. Damit lassen sich Hochwasserwarnungen dynamisch aktualisieren, ohne dass Ingenieure jeden Pegel einzeln nachjustieren müssen. Das spart Ressourcen und ermöglicht schnellere Reaktionen – vor allem dort, wo Starkregen plötzlich auftritt.
Bis zu 40 Prozent genauere Prognosen mit neuer KI
Im Vergleich zu herkömmlichen globalen Wasser- oder Klimamodellen erzielt das neue System bis zu 40 Prozent genauere Prognosen. Es erkennt Trends im Abflussverhalten und kann saisonale Veränderungen besser darstellen. So reagiert es realistischer auf Extremereignisse, etwa anhaltende Regenfälle oder plötzlich austrocknende Böden.
Diese Genauigkeit ist entscheidend: Eine Warnung, die zwei Tage früher kommt, kann über Schäden in Milliardenhöhe entscheiden. Auch Versicherungen, Energieversorger und Landwirtschaftsbetriebe profitieren von diesen Daten – etwa beim Bewässerungsmanagement oder der Planung von Rückhaltebecken.
Die Experten arbeiten bereits daran, das Modell zu erweitern. In Zukunft soll es zusätzlich Wasserqualität, Nährstoffflüsse und Grundwasserbewegungen in drei Dimensionen erfassen. Damit ließen sich auch Verschmutzungen und Versalzungen früh erkennen.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher der Pennsylvania State University haben ein KI-Modell entwickelt, das Hochwasser und Dürren weltweit präziser vorhersagen kann als bisherige Systeme.
- Die neue Technik kombiniert künstliche Intelligenz mit physikalischen Klimagesetzen und liefert lokale Prognosen mit einer Genauigkeit von wenigen Quadratkilometern.
- Damit lassen sich Warnzeiten verlängern, Schäden verringern und Wasserressourcen gezielter steuern – ein wichtiger Schritt für Klimaanpassung und Katastrophenschutz.
Übrigens: Während beim Hochwasser ein KI-Modell schon Tage im Voraus vor steigenden Pegeln warnen kann, zeigt eine neue MIT-Studie das Gegenteil: Bei der Klimavorhersage schneiden einfache physikalische Modelle oft besser ab als komplexe KI-Systeme. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash
