Krebs ohne Zerstörung stoppen: KI erkennt den Ruhemodus von Tumorzellen

Statt Krebszellen zu töten, macht KI sichtbar, wann sie in einen dauerhaften Ruhezustand übergehen. Ein neuer Ansatz der Krebsforschung.

Person in Laborkleidung schaut durch ein Mikroskop.

Die KI macht winzige Zellveränderungen sichtbar, die dem menschlichen Auge entgehen – und zeigt so, wann Krebszellen in den Alterungsprozess eintreten. © Pexels

Krebs zu bekämpfen, heißt bisher meist: Zellen vernichten. Chemotherapien und Bestrahlungen greifen Tumoren direkt an – oft mit schweren Nebenwirkungen. Doch Forscher gehen nun einen anderen Weg. Statt Krebszellen zu zerstören, wollen sie sie „altern“ lassen. Denn wenn Zellen altern, teilen sie sich nicht mehr. Ein Team der Queen Mary University of London hat dafür ein neues KI-System entwickelt, das genau diesen Prozess sichtbar macht – und dabei einen Wirkstoff entdeckt, der Tumoren in Schach hält, ohne sie zu töten.

Das Verfahren könnte die Art, wie wir Krebs behandeln, verändern. Die Idee dahinter: Der natürliche Alterungsprozess von Zellen – die sogenannte Seneszenz – kann gezielt genutzt werden, um Tumorwachstum zu stoppen. Die Künstliche Intelligenz erkennt winzige Veränderungen im Zellbild, die Menschen selbst unter dem Mikroskop nicht wahrnehmen können. Damit wird sichtbar, wann eine Krebszelle tatsächlich altert und in den Ruhezustand übergeht.

Wie eine KI erkennt, wann Zellen wirklich alt werden

Das Forschungsteam um Ryan Wallis und Cleo Bishop hat das System „SAMP-Score“ entwickelt. Es basiert auf maschinellem Lernen und analysiert Tausende hochauflösende Zellbilder. Jede Zelle besitzt dabei eine eigene „morphologische Handschrift“ – Form, Struktur und Oberfläche verraten, ob sie gesund, gestresst oder gealtert ist.

Die KI lernte, diese winzigen Unterschiede zu erkennen. Anhand der Daten konnte sie zuverlässig unterscheiden, ob eine Zelle in den Alterungsmodus übergegangen ist oder nur auf Stress reagiert. So lässt sich erstmals exakt bestimmen, ob ein Wirkstoff die Seneszenz wirklich auslöst. „Unser Modell kann unterscheiden, ob Zellen tatsächlich altern – oder einfach beschädigt wurden,“ so die Forscher.

Neuer Ansatz in der Krebsforschung

Mit der Methode testeten die Wissenschaftler rund 10.000 verschiedene Substanzen. Dabei stießen sie auf eine Verbindung namens QM5928. Diese Substanz stoppte das Wachstum von Tumorzellen, ohne sie zu zerstören – ein ungewöhnlicher Effekt. Besonders bemerkenswert: Der Wirkstoff wirkte auch bei basal-ähnlichem Brustkrebs, einer aggressiven Form, die häufig resistent gegen gängige Medikamente wie Palbociclib ist.

QM5928 sorgte dafür, dass das Protein p16, ein bekannter Seneszenz-Marker, in den Zellkern wanderte. Dort blockierte es die Zellteilung – ein Zeichen dafür, dass die Zelle inaktiv wurde. Dieser Effekt war so subtil, dass er nur mit der neuen KI sichtbar gemacht werden konnte.

Warum Altern zur Waffe gegen Krebs werden könnte

Seneszenz gilt als natürliche Schutzreaktion. Wenn Zellen altern, verhindern sie ihr eigenes unkontrolliertes Wachstum. Im Tumorgewebe kann dieser Prozess gezielt genutzt werden, um Krebs zu stoppen. Der Vorteil: Anders als bei klassischen Therapien werden die Zellen nicht zerstört – sie „schlafen“ gewissermaßen ein.

Das hat mehrere mögliche Vorteile:

  • Weniger Nebenwirkungen: Gesunde Zellen werden geschont.
  • Geringeres Risiko für Rückfälle: Seneszente Tumorzellen teilen sich nicht weiter.
  • Neue Chancen bei resistenten Tumoren: Auch Krebsarten, die gegen Standardmedikamente unempfindlich sind, könnten so behandelbar werden.

Die Londoner Forscher sehen darin einen wichtigen Schritt zu individuelleren Therapien. „Mit unserer Methode können wir gezielter prüfen, welche Wirkstoffe tatsächlich das Altern von Krebszellen auslösen“, heißt es in der Veröffentlichung.

KI macht Zellforschung schneller und präziser

Die Kombination aus maschinellem Lernen und Zellbiologie eröffnet völlig neue Möglichkeiten. SAMP-Score kann zwischen echten Alterungseffekten und bloßen Schädigungen unterscheiden. Das ist entscheidend, weil bisherige Marker in der Forschung oft unzuverlässig sind.

Durch die Bildanalyse der KI lassen sich riesige Datenmengen auswerten, für die Menschen Wochen oder Monate bräuchten. Gleichzeitig erkennt das System Muster, die manuell kaum zu finden wären. Damit verbessert sich nicht nur die Effizienz, sondern auch die Genauigkeit in der Wirkstoffforschung.

Das neue Verfahren könnte künftig auch in anderen Bereichen der Medizin helfen – etwa um zu verstehen, wie Zellen auf Stress, Medikamente oder Strahlung reagieren. Je mehr Bilddaten die KI erhält, desto besser kann sie erkennen, wann Zellen ihren Wachstumszyklus wirklich beenden.

Kurz zusammengefasst:

  • Ein Forschungsteam der Queen Mary University of London hat ein KI-System entwickelt, das erkennt, wann Krebszellen wirklich altern und aufhören, sich zu teilen.
  • So konnten die Forscher den Wirkstoff QM5928 finden, der Tumoren stoppt, ohne gesundes Gewebe zu zerstören – auch bei schwer behandelbarem Brustkrebs.
  • Der Ansatz zeigt, wie Künstliche Intelligenz helfen kann, schonendere und gezieltere Krebstherapien zu entwickeln.

Übrigens: Eine neue KI der Northwestern University kann sichtbar machen, welche Gene gemeinsam Krankheiten wie Asthma, Krebs oder Diabetes auslösen. Sie entschlüsselt damit erstmals komplexe genetische Muster – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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