Keime mit Licht töten – Schweizer Technik könnte Antibiotika bei gefährlichen Infektionen ersetzen

Licht an – Bakterien tot. Eine neu entwickelte Beschichtung vernichtet Keime in Minuten, ganz ohne Antibiotika. Ein möglicher Durchbruch im Kampf gegen Resistenzen.

Licht an – Bakterien tot. Eine neu entwickelte Beschichtung vernichtet Keime in Minuten, ganz ohne Antibiotika. Ein möglicher Durchbruch im Kampf gegen Resistenzen.

Empa-Forscher Paula Bürgisser und Giacomo Reina testen in St. Gallen eine neuartige Lichttechnik, die Keime ohne Antibiotika abtöten soll. © Empa

Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, wird selbst eine kleine Wunde zum Risiko. Weltweit sterben jedes Jahr Millionen Menschen an Infektionen, gegen die Medikamente machtlos sind. Die Weltgesundheitsorganisation zählt resistente Keime inzwischen zu den größten Bedrohungen für die globale Gesundheit. Schweizer Forscher haben nun einen völlig neuen Ansatz entwickelt: Eine spezielle Oberfläche, die allein durch Infrarotlicht Bakterien und Viren zerstört – ohne Antibiotika oder chemische Wirkstoffe.

Hitze und Sauerstoff greifen Keime an

Die Beschichtung basiert auf einem bioverträglichen Kunststoff, der mit Graphensäure-Nanomaterialien angereichert wurde. Wird er mit Infrarotlicht bestrahlt, setzt eine doppelte Wirkung ein: Die Oberfläche erhitzt sich lokal innerhalb kürzester Zeit, und zugleich entstehen aggressive Sauerstoffmoleküle. Diese beiden Effekte greifen die Zellhüllen von Mikroorganismen an und zerstören sie innerhalb weniger Minuten.

„Das neue Material ist so konzipiert, dass Mikroorganismen lokal und schnell abgetötet werden“, erklärt Empa-Forscher Giacomo Reina.

Bioverträglich: Stabil und sicher eingebettet in einen bioverträglichen Kunststoff wirkt Graphensäure tödlich für Keime. © Empa
Graphensäure tötet Keime ab, sobald sie in einen bioverträglichen Kunststoff eingebettet und mit Licht aktiviert wird. Das Material bleibt dabei stabil und gut verträglich. © Empa

Hohe Wirksamkeit im Labor bestätigt

Wie stark die Wirkung ist, zeigten erste Labortests: Bereits fünf Minuten Bestrahlung mit Infrarotlicht genügten, um verschiedene Krankheitserreger fast vollständig zu beseitigen. Beim gefährlichen Krankenhauskeim Staphylococcus aureus lag die Abtötungsrate bei 90,9 Prozent, bei Pseudomonas aeruginosa bei 99,99 Prozent. Auch Viren lassen sich so ausschalten – ein getesteter Coronavirus-Stamm wurde zu 99,97 Prozent abgetötet.

Bemerkenswert ist zudem die Stabilität: Die Oberfläche konnte mindestens 20-mal nacheinander aktiviert werden, ohne an Wirksamkeit zu verlieren.

Ein großer Vorteil dieser Methode liegt darin, dass sie nicht wie Antibiotika auf chemischen Substanzen basiert. Da Bakterien ihre Strategien nicht an Hitze oder Sauerstoffradikale anpassen können, ist Resistenzbildung ausgeschlossen. Tests mit künstlichem Schweiß und menschlichen Hautzellen belegen außerdem, dass die Beschichtung gut verträglich ist.

Erste Tests in der Zahnmedizin

Als erstes Anwendungsfeld wird derzeit eine Zahnschiene entwickelt, die im Mund getragen und von außen mit Infrarotlicht bestrahlt wird. Gerade in der Zahnmedizin gilt das Verfahren als besonders wertvoll: Die Mundflora bildet dichte Biofilme, die Antibiotika kaum durchdringen. Infektionen in diesem Bereich stehen zudem im Verdacht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu begünstigen. Bisherige Therapien zeigen oft nur kurzfristige Effekte.

„Derartige neue und innovative Lösungen werden einen großen Mehrwert für Patienten bieten“, sagt Ronald Jung, Klinikdirektor an der Universität Zürich.

Einsatz auch im Alltag denkbar

Das Potenzial der neuen Oberfläche geht weit über Zahnschienen hinaus. Überall dort, wo viele Menschen dieselben Flächen berühren oder wo sterile Bedingungen entscheidend sind, könnte sie das Infektionsrisiko deutlich verringern. Dazu zählen etwa Türklinken und Haltegriffe in Krankenhäusern, medizinische Geräte wie Katheter oder Endoskope sowie häufig genutzte Lichtschalter im öffentlichen Raum. Die Wirkung hält mindestens 20 Tage an und lässt sich jederzeit erneut aktivieren.

Nachhaltige Alternative zu Metallen

Viele bisherige keimtötende Beschichtungen enthalten Metalle wie Silber oder Titan. Diese wirken zwar zuverlässig, können aber bei häufiger Anwendung Umweltprobleme verursachen oder Hautreizungen auslösen. Das Empa-Material verzichtet komplett auf Metalle. Es ist kostengünstig herstellbar, hinterlässt keine giftigen Rückstände und behält seine Eigenschaften auch bei längerer Lagerung.

Die neue Lichtbeschichtung ersetzt Antibiotika nicht, könnte aber deren Einsatz deutlich verringern. Gerade in Krankenhäusern, wo multiresistente Keime ein wachsendes Problem darstellen, ist das entscheidend. Prävention statt Behandlung lautet hier die Devise.

Sollte sich die Methode in der Praxis bewähren, wäre das ein wichtiger Schritt im weltweiten Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Denn sie zeigt, dass es möglich ist, Keime mit Licht zu töten – schnell, zuverlässig und ohne Nebenwirkungen.

Kurz zusammengefasst:

  • Eine neue Lichtbeschichtung der Empa zerstört Keime durch Hitze und Sauerstoffradikale – ganz ohne Antibiotika und in nur wenigen Minuten.
  • Diese Methode lässt sich mehrfach aktivieren, ist hautverträglich und könnte helfen, Antibiotikaresistenzen effektiv zu bekämpfen.
  • Besonders in der Zahnmedizin und auf häufig berührten Flächen wie Türklinken bietet das Material praktische Vorteile für Alltag und Klinik.

Übrigens: Während Forscher in der Schweiz Keime mit Licht töten, setzt ein Team in Boston auf Echtzeit-Diagnostik. Ein neu entwickelter Schnelltest soll Antibiotikaresistenzen innerhalb von Minuten sichtbar machen – und damit Leben retten. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Empa

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