Unsere Vorfahren kamen aus der Kälte – nicht aus dem Dschungel

Wo lebten die ersten Primaten wirklich? Neue Analysen deuten auf Kältegebiete hin als Ursprung, nicht auf warme Regenwälder.

Primaten kamen aus der Kälte – nicht aus dem Dschungel

Japans Schneemakaken leben in frostigen Regionen, ähnlich den frühen Primatenvorfahren, die sich in kalten Klimazonen entwickelten. © Unsplash

Lange schien klar: Die frühen Primaten entstanden in üppigen tropischen Regenwäldern – dort, wo Nahrung reichlich vorhanden ist und das Klima konstant warm bleibt. Dieses Bild prägt seit Jahrzehnten unser Verständnis vom Ursprung jener Tiergruppe, aus der später auch der Mensch hervorging. Doch eine neue internationale Studie wirft dieses Bild nun über den Haufen.

Ein Forschungsteam hat fast 900 heutige und fossile Arten untersucht und ihre Entwicklungsgeschichte über 56 Millionen Jahre rekonstruiert. Die Ergebnisse überraschen: Die Wiege der Primaten lag nicht im tropischen Dschungel, sondern in deutlich kälteren, wechselhaften Klimazonen – also in Regionen, in denen Tiere mit extremen Jahreszeiten und stark schwankenden Bedingungen zurechtkommen mussten.

Fossilien und Klima-Daten erzählen eine andere Geschichte über die Evolution der Primaten

Geleitet wurde die Arbeit von Jorge Avaria-Llautureo von der University of Reading. Das Team kombinierte Fossilfunde mit modernen geografischen Modellen. Dabei flossen auch Daten zu Kontinentalverschiebungen und Klimaänderungen ein.

Die Auswertung ergab:

  • 70 Prozent der Modelle verorten den Ursprung in Nordamerika
  • 30 Prozent in Westeuropa

Unterstützt wird das durch Fossilien, die auf beiden Kontinenten gefunden wurden. Hinweise deuten zudem auf ein sogenanntes Dfa-Klima hin, ein humides kontinentales Klima mit heißen Sommern über 22 Grad, frostigen Wintern unter null und ganzjährig relativ gleichmäßigem Niederschlag.

Schwankendes Klima als Motor der Evolution

Die Forscher zeigen in ihrer Studie, dass nicht die weltweite Durchschnittstemperatur, sondern lokale Klimaschwankungen die Evolution der Primaten vorantrieben. Wechsel zwischen trockenen und feuchten Phasen bestimmten, wie schnell sich Arten entwickelten und ausbreiteten.

  • 19 Prozent der Unterschiede bei der Ausbreitungsgeschwindigkeit hingen mit Temperaturänderungen zusammen
  • 14 Prozent der Artbildungsrate ließen sich durch Niederschlagsveränderungen erklären

Wanderungen über Hunderte Kilometer

In instabilen Regionen mussten die frühen Primaten große Distanzen überwinden, um geeignete Lebensräume zu finden. Der Übergang von trockenen in tropische Regionen bedeutete Wanderungen von im Schnitt 561 Kilometern. Entscheidend war ihre Fähigkeit, sich an kalte und gemäßigte Zonen anzupassen – erst dadurch konnten sie später auch tropische Wälder erobern.

Um extreme Bedingungen zu überleben, könnten sie zeitweise in eine Art Winterschlaf gefallen sein. Den Beleg dafür liefern heutige Arten wie der Mausmaki auf Madagaskar, der sich in den Boden eingräbt, um Kälteperioden zu überstehen.

Klimawandel und Abholzung – warum Primaten jetzt an ihre Grenzen stoßen

Je stärker die Umweltbedingungen schwankten, desto schneller entstanden neue Arten. In stabilen Regionen verlief die Evolution dagegen deutlich langsamer. „Primaten entwickelten sich häufiger zu neuen Arten, wenn sich die jährliche Niederschlagsmenge schneller veränderte“, schreiben die Autoren.

Genau hier liegt der Bezug zur Gegenwart: Auch heute verändern sich Lebensräume durch Abholzung und Klimawandel rasant. Doch anders als ihre Vorfahren haben viele Primaten heute kaum noch Ausweichmöglichkeiten.

Die Zahlen sind alarmierend:

  • Über 60 Prozent aller Primatenarten stehen auf der Roten Liste
  • Abholzung und Klimawandel verringern ihre genetische Vielfalt
  • Dabei war es gerade diese Vielfalt, die ihre Vorfahren einst überleben ließ

Anpassungsfähigkeit bleibt der Schlüssel, erklären die Forscher. Doch sie kann nur wirken, wenn Arten überhaupt noch genügend Lebensraum haben. Für den Menschen bedeutet das: Wer Regenwälder schützt und Klimaveränderungen eindämmt, sichert auch das Überleben unserer nächsten tierischen Verwandten – und erhält ein Stück der Geschichte, aus der wir selbst hervorgegangen sind.

Kurz zusammengefasst:

  • Klimaschwankungen waren ein entscheidender Motor der Evolution und prägten, wie sich die frühen Primaten entwickelten und anpassten.
  • Frühe Primaten mussten sich ständig neuen Bedingungen stellen: Veränderungen bei Temperatur und Niederschlag führten zu weiten Wanderungen und förderten die Artenvielfalt.
  • Für den heutigen Artenschutz sind die Ergebnisse wichtig: Über 60 Prozent aller Primatenarten gelten weltweit als bedroht, ihre Zukunft hängt von ihrer Anpassungsfähigkeit ab.

Übrigens: Unsere Vorfahren scheiterten mehrmals daran, Afrika zu verlassen – bis eine besondere Anpassungsfähigkeit alles veränderte. Wie diese Fähigkeit das Überleben des Homo sapiens sicherte, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert