Entwässerte Moore treiben Europas CO₂-Ausstoß heimlich nach oben – viele Klimasünder liegen in Deutschland
Entwässerte Moore setzen in Europa fast doppelt so viel CO₂ frei wie offiziell gemeldet. Große Emissions-Hotspots liegen in Deutschland.
Ein wiedervernässtes Moor im Anklamer Stadtbruch: Steigt der Wasserstand, stoppen Moorböden die CO₂-Freisetzung und werden wieder zum Klimaspeicher. © John Couwenberg
Moore gelten vielen als stille Naturräume, irgendwo zwischen Wiese und Sumpf. Doch wer sie nur als Biotope für seltene Pflanzen oder Vögel sieht, übersieht ihren wahren Einfluss auf das Klima. Denn Moorböden speichern enorme Mengen Kohlenstoff – mehr als Wälder, mehr als die meisten anderen Ökosysteme. Sobald sie entwässert werden, kehrt sich dieser Effekt um. Dann wird aus einem natürlichen Speicher eine dauerhafte Emissionsquelle.
Genau hier liegt ein Problem, das Europas Klimabilanzen seit Jahren verzerrt. Neue wissenschaftliche Berechnungen zeigen: Die Emissionen aus entwässerten Mooren liegen fast doppelt so hoch wie bisher offiziell gemeldet. Besonders brisant ist der Blick nach Deutschland. Mehrere Regionen gehören zu den größten Emissions-Hotspots Europas – mit Folgen für Klimaziele, Landwirtschaft und politische Planung.
Warum entwässerte Moore als Klimafaktor unterschätzt wurden
Laut einer neuen Studie verursachen entwässerte Moore in der EU rund 232 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr. In den offiziellen Meldungen der Mitgliedstaaten tauchen bislang nur etwa 119 Millionen Tonnen auf. Die Differenz ist enorm – sie entspricht in etwa den jährlichen Emissionen des gesamten europäischen Flugverkehrs.
Der Grund für diese Lücke liegt nicht in fehlender Messtechnik. Vielmehr mangelte es bisher an einer präzisen räumlichen Erfassung. Die Forscher kombinierten Boden- und Landnutzungsdaten mit Klimamodellen und erstellten erstmals eine kilometergenaue Hotspot-Karte für ganz Europa. Sie zeigt, wo die Belastung besonders hoch ist – und wo Klimaschutz am meisten bringen würde.
Ein zentrales Ergebnis: Die Emissionen verteilen sich nicht gleichmäßig. Im Gegenteil. 40 Prozent der gesamten Moor-Emissionen stammen aus nur 17 Prozent der Moorflächen. Kleine Regionen mit intensiver Nutzung fallen damit überproportional ins Gewicht.

Deutschland rückt bei entwässerten Mooren besonders in den Fokus
Deutschland spielt in dieser Karte eine Schlüsselrolle. Vor allem die Nordseeregion in Nordwestdeutschland sticht heraus. Dort entstehen rund 14 Prozent der EU-weiten Moor-Emissionen, obwohl die Fläche vergleichsweise klein ist. Ursache sind großflächig entwässerte Küstenmoore, die intensiv landwirtschaftlich genutzt werden.
Auch Ostdeutschland gehört zu den auffälligen Hotspots. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurden Moorflächen über Jahrzehnte tief entwässert, um sie als Acker oder Grünland zu nutzen. Regionale Vergleiche zeigen, dass die neuen Berechnungen gut mit vorhandenen Landesdaten übereinstimmen. Das macht die Ergebnisse für Deutschland besonders belastbar.
Auffällig ist dabei weniger die Größe der Moorflächen als ihre Nutzung. Je intensiver ein Moor entwässert und bewirtschaftet wird, desto höher fallen die Emissionen aus. Der gespeicherte Kohlenstoff im Torf reagiert sensibel auf sinkende Wasserstände – und entweicht dann über Jahre hinweg als Kohlendioxid.
Warum offizielle Klimabilanzen die Emissionen verfehlen
Ein Kernproblem liegt in der Art, wie Staaten ihre Emissionen melden. Die Berichte an die Vereinten Nationen entstehen im sogenannten Bottom-up-Verfahren. Jedes Land rechnet selbst. Dabei bleiben entwässerte Moore oft unsichtbar, weil sie statistisch als Wald, Wiese oder Acker gelten.
Hinzu kommen methodische Schwächen. Viele Länder arbeiten mit veralteten Emissionsfaktoren. Häufig fehlen Methan, Lachgas oder Emissionen aus Entwässerungsgräben in den Berechnungen. Das Ergebnis ist eine systematische Unterschätzung.
PD Dr. Franziska Tanneberger von der Universität Greifswald sagt dazu: „Unsere Daten zeigen sehr deutlich, dass weit bessere Informationen über die Verbreitung von Mooren verfügbar sind, als sie in vielen nationalen Inventaren genutzt werden.“ Karten seien entscheidend, um Emissionen sichtbar zu machen und gezielt zu handeln.
Wiedervernässung gilt als wirksamste Maßnahme
Fachlich gilt die Wiedervernässung als der effektivste Weg, um Moor-Emissionen zu senken. Steigt der Wasserstand, stoppt die Zersetzung des Torfs weitgehend, die CO₂-Emissionen brechen ein. Zwar kann Methan zunehmen, doch insgesamt sinkt die Klimabelastung deutlich.
Die Studie macht klar: Ein bloßer Wechsel der Nutzung reicht nicht aus. Bleibt die Entwässerung bestehen, emittieren Moore weiter – selbst unter Wald. Erst ein dauerhaft hoher Wasserstand bringt Entlastung.
Dabei geht es nicht um Stilllegung ganzer Regionen. Landwirtschaftlich genutzte Moorböden machen nur rund drei Prozent der Agrarflächen in der EU aus. Den Studienautoren zufolge hätte eine Umstellung daher kaum Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit.
Kurz zusammengefasst:
- Entwässerte Moore emittieren massiv: In der EU verursachen sie rund 232 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr – fast doppelt so viel wie offiziell gemeldet.
- Wenige Flächen, große Wirkung: 40 Prozent der Emissionen entstehen auf nur 17 Prozent der Moorflächen, viele Hotspots liegen in Deutschland.
- Fehler liegt in der Bilanz: Unvollständige Erfassung verschleiert das Problem; Wiedervernässung senkt die Emissionen am wirksamsten.
Übrigens: Während neue Daten zeigen, wie entwässerte Moore Europas Klimabilanz verzerren, unterschätzen viele CO₂-Rechner auch den Schaden durch Flugreisen. Warum Fliegen oft doppelt so klimaschädlich ist, mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © John Couwenberg
