Der „Atem“ der Erde wird extremer – Klimamodelle unterschätzen CO2-Schwankungen
Die Erde „atmet“ immer unregelmäßiger: Forscher beobachten eine drastische Zunahme der saisonalen CO2-Schwankungen.

Nordische Wälder speichern im Sommer große Mengen CO2 und geben sie im Winter wieder ab – doch laut neuen Analysen wird dieser natürliche Rhythmus extremer, als Klimamodelle bislang vorhersagen. © Unsplash
Wie viel CO2 Pflanzen aufnehmen, hängt vom Jahresverlauf ab: Im Sommer binden sie große Mengen, im Winter geben sie wieder etwas davon ab. Forscher sprechen dabei vom „Atem der Erde“. Doch dieser natürliche Rhythmus gerät aus dem Takt. Eine aktuelle Analyse zeigt: Die CO2-Schwankungen in arktischen und borealen Regionen – etwa in Skandinavien, im Ural oder in Alaska – haben seit den 1960er-Jahren um 50 Prozent zugenommen. Diese Entwicklung gefährdet das globale Klimagleichgewicht.
Nordische Wälder atmen kräftiger – mit Folgen für alle
Längere Vegetationszeiten, wärmere Böden und ein höherer CO2-Gehalt in der Luft steigern die Produktivität der Pflanzen im Norden. Sie nehmen im Sommer mehr CO2 auf, setzen im Winter jedoch auch mehr davon frei. Die Differenz zwischen den Jahreszeiten wird größer. Die natürliche Senkenfunktion arktischer Ökosysteme droht dadurch zu kippen – aus Speicher wird Quelle.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die CO2-Schwankungen zwischen Sommer und Winter in den nördlichen Breiten seit den 1960er-Jahren um rund 50 Prozent zugenommen haben“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Buermann von der Universität Augsburg. Er war maßgeblich beteiligt an der Metastudie, die zahlreiche Einzelanalysen aus 15 Jahren Forschung zusammenführt.
Das Projekt bringt internationale Forschungsteams zusammen, um Veränderungen in arktischen und borealen Ökosystemen besser zu erfassen. Im Fokus stehen Regionen zwischen dem 50. und 65. Breitengrad – darunter große Teile Sibiriens, Skandinaviens, Kanadas und Alaskas. Diese Gebiete reagieren besonders sensibel auf den Klimawandel. In ihnen liegt ein Großteil der globalen Landkohlenstoffspeicher.

Wenn die „Atmung“ die Produktivität überholt
Das Forschungsteam nennt vier zentrale Auslöser für die verstärkten CO2-Schwankungen:
- Frühere und längere Vegetationszeiten durch milde Frühjahre und spätere Winter
- Mehr Produktivität durch CO2-Düngung und wärmere Temperaturen
- Aktivere Zersetzung von Pflanzenresten durch wärmere Böden im Winter
- Anthropogene Einflüsse wie Abholzung, Aufforstung oder veränderte Landnutzung
Diese Prozesse verstärken sich gegenseitig. „Wir haben überzeugende Nachweise dafür geliefert, dass ein aktiveres Pflanzenwachstum der Hauptgrund dafür ist, dass der Kohlenstoffkreislauf in den nördlichen Regionen schneller abläuft“, so Buermann.
Doch diese Entwicklung hat eine Kehrseite. Wenn die „Atmung“ – also die Freisetzung von CO2 – die Aufnahme übersteigt, wird das Ökosystem zum Nettoemittenten. Das gilt besonders dann, wenn noch weitere Faktoren hinzukommen.
Klimamodelle erfassen die Entwicklung kaum
Viele gängige Klimamodelle, die der Politik als Entscheidungsgrundlage dienen, unterschätzen diese Dynamiken. Insbesondere drei Punkte bleiben oft unberücksichtigt:
- Die verlängerte Vegetationszeit in nördlichen Regionen
- Die zunehmende CO2-Freisetzung durch mikrobielle Zersetzung
- Die Emissionen aus tauendem Permafrost
Dadurch könnten Berechnungen zur globalen Erwärmung zu optimistisch ausfallen. Das erschwert das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels erheblich.
Permafrost, Brände, Methan – unterschätzte Kipppunkte
Der auftauende Permafrost gibt nicht nur CO2, sondern auch Methan frei – ein Treibhausgas, das 25-mal stärker wirkt. Zugleich nehmen Waldbrände in Kanada, Alaska und Sibirien zu. Sie vernichten Pflanzen, Bodenleben und langfristig gespeicherten Kohlenstoff.
Die Studie warnt vor einer gefährlichen Wendung: „Arktische Ökosysteme verändern sich schneller als alle anderen auf der Erde, und die Rückkopplungseffekte können enorm sein – was realistische Ziele zur Reduzierung von CO2-Emissionen ernsthaft gefährden könnte“, erklärt der Wissenschaftler.
Was im Norden passiert, bleibt nicht dort
Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass die verstärkten CO2-Schwankungen langfristig das Risiko für extreme Wetterereignisse in Mitteleuropa deutlich erhöhen. Hitzewellen könnten häufiger auftreten und länger andauern, während gleichzeitige Dürreperioden die Landwirtschaft stark belasten. Auch die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse nimmt zu – mit steigender Gefahr für Überschwemmungen und Erdrutsche.
Hinzu kommt die gesundheitliche Belastung durch immer heißere Sommer, die besonders ältere Menschen, Kinder und chronisch Kranke treffen kann. Das CO2, das einst durch natürliche Senken gebunden wurde, gelangt heute verstärkt in die Atmosphäre zurück – und kehrt als Extremwetter mit doppelter Wucht zurück.
Kurz zusammengefasst:
- Die CO2-Schwankungen zwischen Sommer und Winter haben sich in den nördlichen Breiten seit den 1960er-Jahren um rund 50 Prozent verstärkt, weil Pflanzen länger wachsen, aber im Winter gleichzeitig mehr Kohlendioxid freisetzen.
- Dieser instabile Kohlenstoffkreislauf gefährdet die Funktion der Ökosysteme als CO2-Speicher – und könnte dazu führen, dass sie künftig selbst zum Klimaproblem werden, statt beim Klimaschutz zu helfen.
- Wenn Permafrostböden auftauen, mehr Waldbrände CO2 freisetzen und Klimamodelle diese Prozesse nicht einrechnen, geraten internationale Klimaziele wie das 1,5-Grad-Limit in ernste Gefahr – mit direkten Folgen für uns alle.
Übrigens: Mysteriöse Riesenkrater in Sibirien entstehen durch Methangas, das aus tieferen Erdschichten aufsteigt – und plötzlich explosionsartig entweicht. Warum das Klima und die Gasversorgung dadurch unter Druck geraten, mehr dazu in unserem Artikel.
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