Europas ältestes Blau kommt aus Hessen – und wirft Fragen zur Steinzeit auf

Ein Fund bei Mühlheim-Dietesheim zeigt erstmals: Blaues Pigment war Teil steinzeitlicher Kultur – und verändert unser Bild der Frühgeschichte.

Blaues Pigment aus Hessen zeigt: Die Steinzeit war nicht grau

Das blaue Kupfermineral Azurit könnte bereits vor 13.000 Jahren als Pigment verwendet worden sein – darauf deutet ein Fund aus der Steinzeit hin. (Symbolbild) © Wikimedia

Ein Fund aus dem hessischen Mühlheim-Dietesheim sorgt in der Archäologie für Aufsehen. Auf einer 13.000 Jahre alten Steinplatte haben Wissenschaftler ein blaues Pigment nachgewiesen – das Kupfermineral Azurit war in der europäischen Steinzeit bisher unbekannt. Die Farbe stammt nicht von Wandmalereien, sondern wurde offenbar auf dem Stein gemischt und verarbeitet. Das macht sie zum ältesten bekannten blauen Pigment Europas – und verändert unser Bild der Frühgeschichte.

Steinzeit überraschend bunt: Forscher hinterfragen altes Farbschema

Die Untersuchung war Teil des europaweiten Forschungsprojekts CLIOARCH, geleitet von einem Team der Aarhus University in Dänemark. „Dies stellt alles in Frage, was wir über die Verwendung von Pigmenten im Paläolithikum zu wissen glaubten“, sagt Projektleiterin Dr. Izzy Wisher.

Bislang gingen Fachleute davon aus, dass die Menschen der Altsteinzeit fast ausschließlich mit Rot- und Schwarztönen wie Ocker, Holzkohle oder Mangan arbeiteten. Diese Farben waren leicht verfügbar und an Felswänden gut sichtbar. Blau hingegen galt als schwer zugänglich, technisch anspruchsvoll – und in der Steinzeit schlicht nicht vorhanden.

Steinfund aus den 1970ern diente wohl zum Farbenmischen

Das Steinartefakt wurde bereits in den 1970er-Jahren bei Ausgrabungen am Ufer des Mains gefunden.

  • Es lag unterhalb der Ascheschicht des Laacher-See-Ausbruchs (13.006 ± 9 Jahre), was eine exakte Datierung erlaubt.
  • Die Fundstelle wurde zwischen 1976 und 1980 auf 63 Quadratmetern untersucht.
  • 2023 folgte eine ergänzende Grabung von 6 Quadratmetern.

Ursprünglich hielten Forscher den Stein für eine Art primitive Lampe. Doch seine konkave Oberfläche und feine Farbreste deuten auf eine andere Funktion hin: eine Mischpalette für Farben.

Aufgespürt mit Hightech: Blaues Pigment stammt aus der Region

Das Team nutzte moderne Analysemethoden wie Röntgenfluoreszenz (XRF), Infrarotspektroskopie (FTIR) und Elektronenmikroskopie, um das Pigment zu bestimmen. Die Ergebnisse zeigen eindeutig: Es handelt sich um Azurit, ein Kupfermineral mit leuchtend blauer Farbe. Das Pigment war oberflächlich aufgetragen – nicht natürlich entstanden.

Vergleichswerte deuten darauf hin, dass das Azurit aus einem nahegelegenen Vorkommen rund 20 Kilometer südöstlich stammt – entlang des Main. Das spricht dafür, dass die Steinzeitmenschen gezielt nach mineralischen Rohstoffen suchten.

Wozu diente das blaue Pigment?

Die Forscher gehen davon aus, dass das Blau nicht für Höhlenmalerei oder Schmuck verwendet wurde. Stattdessen vermuten sie andere Anwendungen:

  • Körperbemalung oder Hautgestaltung
  • Färben von Kleidung, Leder oder anderen organischen Materialien
  • Kosmetische oder rituelle Zwecke

„Der Fund von Azurit zeigt, dass Menschen im Paläolithikum ein tiefes Verständnis für mineralische Farbpigmente hatten und Zugang zu einer deutlich größeren Farbpalette, als wir bisher angenommen haben – und dass sie Farben möglicherweise ganz bewusst auswählten“, so Dr. Wisher.

Kunst in der Steinzeit war wohl mehr als Höhlenmalerei

Das Bild der „grauen“ Steinzeit gerät damit ins Wanken. Ob das Fundstück tatsächlich als Farbpalette diente oder eine andere Funktion erfüllte, bleibt offen.

Vielleicht war das, was wir bislang über steinzeitliche Kunst dachten, nur ein kleiner Ausschnitt. Denn der Fund legt nahe, dass sich ästhetischer Ausdruck nicht allein in Höhlenmalereien zeigte – sondern auch in Körperbemalungen, auf Textilien oder zerfallenen Materialien, die archäologisch kaum erhalten bleiben.

Kurz zusammengefasst:

  • In Mühlheim-Dietesheim entdeckten Forscher das bislang älteste blaue Farbpigment Europas – Azurit auf einem 13.000 Jahre alten Stein, vermutlich genutzt zum Mischen von Farbe.
  • Die Farbe stammt nicht aus Höhlenmalerei, sondern wurde vermutlich für Körperbemalung, Textilien oder Rituale verwendet – Hinweise auf eine kulturell vielfältigere Steinzeit, als bisher angenommen.
  • Ein blaues Pigment aus der Steinzeit zeigt, dass unsere Vorfahren verschiedene Farben kannten und sie gezielt nutzten – ein frühes Zeichen für künstlerischen Ausdruck und Symbolverständnis.

Übrigens: Auch an Portugals Küsten haben Neandertaler ihre Spuren hinterlassen. 80.000 Jahre alte Fußabdrücke an der Algarve zeigen, dass ganze Familien dort gemeinsam durch die Dünen zogen – auf der Suche nach Nahrung oder auf der Jagd. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Lanzi via Wikimedia unter CC BY-SA 3.0

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