Ameisen amputieren Beine ihrer Artgenossen – und retten ihnen so das Leben

Ameisen führen gezielt eine Amputation durch, wenn Artgenossen am Oberschenkel verletzt sind und erhöhen so deren Überlebenschance.

Ameisen retten Artgenossen durch Amputation

Florida-Holzameisen besitzen keine Drüse zur Wunddesinfektion – stattdessen übernehmen sie selbst die Rolle von Chirurgen und pflegen Verletzungen präzise mit dem Mund. © Wikimedia

Florida-Holzameisen wenden eine drastische Methode an, um verletzte Nestgenossinnen zu retten. Sie beißen gezielt das betroffene Bein ab – eine Amputation, die die Überlebenschance deutlich erhöht. Das zeigen Experimente der Universität Würzburg und der Universität Lausanne.

Entscheidend ist dabei die Lage der Verletzung. Nur bei Wunden am Oberschenkel führen die Ameisen eine Amputation durch. Ist dagegen der Unterschenkel betroffen, verzichten sie auf den Eingriff. Stattdessen setzen sie auf ausdauernde Wundpflege.

Amputation hilft nur bei Oberschenkel-Verletzungen

Im Labor erzeugten die Forscher gezielt Schnittwunden an den Beinen der Tiere. War der Oberschenkel betroffen, entfernten die Ameisen das Bein in drei Viertel der Fälle – meist innerhalb von vier Stunden. Zuerst lecken sie die Wunde, dann beißen sie das Gelenk am Trochanter durch, wo das Bein lockerer sitzt.

Bei Unterschenkelverletzungen verzichten die Tiere auf die Amputation. Sie reinigen die Wunde stattdessen über längere Zeit hinweg. Diese Pflege dauert im Schnitt doppelt so lang wie bei Oberschenkelwunden. Dennoch sterben mehr dieser Ameisen – ihre Überlebensrate liegt unter der der amputierten Tiere.

Amputation bei Verwundung: Eine Ameise beißt einer verletzten Artgenossin ein Bein ab. Danach versorgt sie die Wunde durch Belecken. © Hanna Haring
Amputation bei Verwundung: Eine Ameise beißt einer verletzten Artgenossin ein Bein ab. Danach versorgt sie die Wunde durch Belecken. © Hanna Haring

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend

Im Oberschenkel der Florida-Holzameisen befinden sich besonders viele kräftige Muskeln. Diese sorgen für die Bewegung des Beins – vor allem beim Klettern oder Tragen. Gleichzeitig drücken sie auf die Blutgefäße und verengen sie. Das führt dazu, dass die Hämolymphe – das Insektenblut – langsamer durch das verletzte Bein fließt. „Verletzungen am Oberschenkel beeinträchtigen die Muskeln und behindern die Zirkulation“, erklärt Studienleiter Dr. Erik Frank vom Biozentrum der Universität Würzburg. Die Folge: Krankheitserreger breiten sich dort nicht so schnell aus. Genau deshalb bleibt bei Oberschenkelwunden mehr Zeit für eine lebensrettende Amputation.

Im Unterschenkel fehlen solche Muskeln. Die Hämolymphe zirkuliert dort schneller – Krankheitserreger gelangen rascher in den Körper. Selbst eine experimentelle Amputation eine Stunde nach der Infektion konnte in den Versuchen keine höhere Überlebensrate erzielen.

Mikro-CT-Aufnahmen stützen die Beobachtungen. Die Oberschenkel enthalten zehnmal mehr Muskeln als der Unterschenkel. Zudem sind die Hämolymphe-Kanäle im Unterschenkel deutlich weiter.

Infizierte Ameisen überleben mit Amputation deutlich besser

Das Team testete auch, wie sich die Eingriffe auf infizierte Wunden auswirken. Dazu verabreichten sie ein bekanntes Bakterium (Pseudomonas aeruginosa). Die Bilanz:

  • Bei infizierten Oberschenkelwunden überlebten alle amputierten Tiere.
  • Drei nicht amputierte Tiere mit identischen Verletzungen starben.
  • Bei Unterschenkelwunden half auch eine spätere Amputation nicht.

„Unsere Studie zeigt erstmals, dass Tiere prophylaktisch amputieren“, sagt Frank. „Und dass sie die Behandlung an die Art der Verletzung anpassen.“ Koautor Prof. Laurent Keller von der Universität Lausanne ergänzt:

Dieses Verhalten war bislang nur vom Menschen bekannt.

Keine Desinfektionsdrüse – aber chirurgische Präzision

Warum sind ausgerechnet Florida-Holzameisen zu dieser Maßnahme fähig? Sie besitzen keine Metapleuraldrüse, die bei anderen Arten antibakterielle Sekrete produziert. Das macht sie anfälliger für Infektionen. Die Tiere leben in verrottetem Holz im Südosten der USA, wo Verletzungen durch Rivalenkämpfe häufig sind. In diesem Umfeld hat sich ihre präzise Wundbehandlung offenbar durchgesetzt.

Wie gehen andere Ameisenarten mit Verletzungen um?

Die Studie stammt aus der Emmy-Noether-Forschungsgruppe von Erik Frank, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für seine Arbeit zur Wundversorgung bei Tieren wurde Frank 2024 mit dem Hector Research Career Development Award ausgezeichnet.

Nun will sein Team untersuchen, ob auch andere Ameisenarten zu ähnlichem Verhalten fähig sind – etwa heimische Arten oder tropische Spezies, die mit Pflanzen zusammenleben. Im Zentrum steht die Frage, ob auch sie auf bestimmte Wunden mit gezielter Behandlung reagieren.

Kurz zusammengefasst:

  • Florida-Holzameisen führen gezielte Amputationen durch, um verletzte Artgenossinnen zu retten – bei Oberschenkelverletzungen beißen sie das betroffene Bein ab, wodurch rund 90 Prozent der Tiere überleben.
  • Bei Unterschenkelverletzungen verzichten die Ameisen auf die Amputation, weil sich Infektionen dort zu schnell ausbreiten; sie setzen stattdessen auf intensive Wundpflege mit einer Überlebensrate von etwa 75 Prozent.
  • Die Studie der Universität Würzburg und der Universität Lausanne zeigt, dass Ameisen zwischen Verletzungsarten unterscheiden und ihre Behandlung daran anpassen – ein bislang einzigartiges Beispiel für soziale Medizin im Tierreich.

Übrigens: Kein anderer Menschenaffe entwickelte sich so rasant wie der Mensch. Warum sich Schädel und Gesicht doppelt so schnell veränderten, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Bob Peterson via Wikimedia unter CC BY-SA 2.0

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